Ryū

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Ryū (jap. 流), auch ru, nagare, nagasu, bedeutet Schule, Strom, Strömung, Kunstrichtung, Fachrichtung, Stilrichtung, Fließen, Strömen, und ist eine Schulungsmethode der Stile in der Tradition des bujutsu und budō.

Die Situation der Kampfkünste in Japan

Der Begriff bujutsu bezeichnet die japanische Kriegskunst und ist vom Anbeginn der japanischen Geschichte zusammen mit den Begriffen kyūba no michi (Weg des Bogens und des Pferdes) und später bushidō (Weg des Kriegers) der wesentliche Leitfaden in der Entwicklung der japanischen Gesellschaft. Die samurai, die bujutsu praktizierten und sich durch bushidō läuterten, waren der Inbegriff für alle gesellschaftlichen Ideale - sie standen an der Spitze der sozialen Hierarchie und beeinflussten über zwei Jahrtausende als einzige die Geschicke des japanischen Reiches.

Die alten japanischen Ryū

Die Hauptstile des japanischen bujutsu werden als ryū (Fachrichtung, Stilrichtung oder Schulungsmethode) bezeichnet. Traditionell enthält jedes japanische ryū eine große Anzahl von bewaffneten (buki no bu) und unbewaffneten (toshu no bu) Verfahren. Entsprechend dem Meister, der sie lehrt, unterteilen sie sich in verschiedene Zweige, die ryū ha.

Mehr als ein Jahrtausend gründeten die japanischen Meister unaufhörlich neue Kampfmethoden. Vor der Meiji-Restauration (1868) gab es eine große Anzahl von ryū (etwa 9.000), von denen viele geheim waren und nur wenige Schüler (ryūsha) hatten, während andere öffentlich unterrichtet wurden. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts zählte man immer noch über 1.000 ryū in Japan, von denen die meisten dem kenjutsu (Schwertkampf) angehörten. Die Mehrzahl dieser ryū wurde von adeligen bushi (Krieger) gegründet, manch andere aber auch von rōnin (herren- und daher arbeitslose Krieger) oder von „gewöhnlichen“ Menschen aus der unteren Bevölkerungsschicht. Jedes ryū bezog seine Anhänger aus jener sozialen Schicht, aus der auch der Gründer stammte. Der Sitz befand sich dort, wo sich der Stilgründer (shosei oder shodai) aufhielt. Die meisten dōjō befanden sich aber in der Nähe der Regierungssitze der Landesfürsten (daimyō) oder in den großen Städten.

Die Ryū der Krieger

Dementsprechend gehörten die meisten japanischen ryū zu den Familien der japanischen Fürsten (daimyō) und enthielten ein breites Spektrum an bewaffneten und unbewaffneten Kampftechniken, vor allem aber auch Taktiken der Kriegsführung. Die maßgeblichen Meister dieser ryū befanden sich im Dienste der daimyō und hatten am Hof die Funktion eines persönlichen Beraters und die Aufgabe, den Generalstab des Heeres im Kampf und in der Kriegsführung auszubilden. Sie galten als weise Menschen, waren allseits umworben und stets hoch verehrt. Es gab in Japan kaum einen gesellschaftlichen Status, der den ihrigen übertraf. Manchmal hinterließen sie Schriften (makimono und densho), die ihre Überlegungen und Techniken enthielten, denn ihre Ansichten waren sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten sehr gefragt.

Jeder dieser Meister vertrat seinen persönlichen Stil (ryū) oder eine Abzweigung aus dem Stil seines Lehrers (ryūgi), dessen Geheimnisse (hiden) er nur an wenige Auserwählte weitergab. Die ihm zugehörige große Mehrheit waren gewöhnliche samurai, die jedoch nur in praktischen Kriegstechniken für das Schlachtfeld ausgebildet wurden. Sie hatten Teil an der „oberflächlichen Lehre“ (omote), d.h. sie erhielten lediglich einen militärischen Drill.

Die unabhängigen Ryū

Manche ryū wurden von rōnin (herrenlosen Samurai), ninja (Geheimagenten) oder (Bauern) gegründet und waren als solche von den politischen Machthabern Japans unabhängig. Die Lehrer dieser ryū nahmen oft nur einen oder zwei Schüler an, andere gründeten Schulen und unterrichteten öffentlich für Geld.

Schließlich gab es noch die ryū der Kriegermönche (sōhei), die in den buddhistischen und shintoistischen Klöstern (ji) ihren Sitz hatten. Hozoin ryū, kashima shin ryū und tenshin shōden katori shintō ryū sind drei Beispiele dafür. Auch die Einsiedler in den Bergen (yamabushi) hatten ihre eigenen ryū. Sie beeinflussten die Entstehung der vielen ninjutsu ryū, die sich später mit den Kampfkünsten am Hofe der daimyō verbanden (z.B. yoshitsune ryū oder takeda ryū). Daraus entstanden die meisten ryū der Tokugawa-Polizei (metsuke), die noch heute in den japanischen Polizeisystemen eine wichtige Rolle spielen.

Die Reformation der japanischen Ryū

Jahrhundertelang lang war Japan eine Militärdiktatur, in der die Kriegssysteme einen hohen Stellenwert hatten. Die darin ausgebildeten samurai wurden zu einem bedingungslosen Leben und Sterben für ihren Herrn erzogen, aber auch Philosphie und andere Künste wurden zumindest den höheren Rängen nicht vorenthalten. Bereits 792 ließ Kammu Tennō den butokuden (Halle der Kriegstugenden) in Kyōtō errichten, der mehr als ein Jahrtausend hindurch Orientierung und Maßstab für die japanischen ryū war. Respekt, Hingabe, Dankbarkeit, Integrität und Ehre waren die Tugenden dieses ehrwürdigen Instituts.

Im April 1895 wurde der butokuden im Auftrag der Regierung reformiert, und 1899 wurde in Kyōtō eine neue Halle gebaut, in der der neu gegründete dai nippon butokukai untergebracht wurde. Diese von der Regierung finanzierte Institution wurde den bujutsu ryū als zentrales Forum vorgesetzt und hatte den Auftrag, alle japanischen Stile zu kontrollieren. Der butokukai sollte als politische Organisation den japanischen ryū übergeordnet sein, ihre Kampfkraft testen und sie dem japanischen Militär zugänglich machen. Dazu wurde ein Komitee gegründet, das die budō menjo (Rangbescheinigungen der Meister) und die shihan menjo (Lehrerlizenzen) vergab. Alle Stilvorstände, die nicht bereit waren, sich dem butokukai unterzuordnen, standen plötzlich außerhalb des offiziellen Rahmens.

Aus bujutsu wurde budō, und alle bisher gültigen Stilbezeichnungen (kenjutsu, aikijutsu, usw.) wurden entsprechend in kendō, aikidō usw. geändert. Die Organisation betonte zunächst den Wert des budō in der Erziehung der Jugendlichen, doch im Jahre 1911 gründete der butokukai mit finanzieller Unterstützung der Regierung eine akademische Militärschule (budō senmon gaku), in der Eliteoffiziere in einem Programm von zwei, bzw. vier Jahren ausgebildet wurden. Die Absolventen dieser Elite-Universität, später bekannt als busen galten als die hochangesehensten Kampf- und Militärexperten ihrer Zeit.

Die mächtige Organisation überwachte peinlichst genau das gesamte japanische Kampfkunstgeschehen. Innerhalb der Lehrerlizenzen wurden offizielle Titel wie renshi, kyōshi und hanshi vergeben, wodurch die Institution ihre politische Macht zu festigen versuchte. Die Meister der traditionellen ryū wurden dadurch gezwungen, sich der staatlich verordneten Ideologie zuzuordnen oder mit ihrem Stil unterzugehen.

Das Ende der traditionellen japanischen Ryū

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden von den Siegermächten zunächst alle Kampfkünste in Japan verboten. 1946 durfte das japanische budō in einem kleinen, von den Amerikanern kontrollierten Maß wieder betrieben werden, und 1953 erhielt auch der als subversiv geltende butokukai überraschend die Genehmigung zu seiner Neugründung. Doch seine Glanzzeiten waren vorbei. Während der Olympischen Spiele 1964 in Tokyō wurden die Kampfkünste bereits vom neugegründeten budōkan vertreten.

Die meisten japanischen ryū, die noch bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg existierten, sind heute verschwunden. Die letzten Meister sind häufig ohne Nachfolger verstorben, weil viele sich weigerten, in dem sportlich ausgerichteten System des budōkan zu unterrichten und Nachfolger zu hinterlassen. Von den ehemals 9.000 traditionellen japanischen ryū waren nach dem Krieg nur noch etwa 1.000 in kontinuierlichen Lehrertradionen vertreten, und davon folgten lediglich 46 ryū dem Aufruf des budōkan zur reorganisierten Vereinheitlichung des japanischen bujutsu zum budō.

Bujutsu und Budō

Die japanischen ryū sind durch ihre Umbenennung von jutsu zu inhaltlich nicht verbessert worden. Auch die klassischen Stile enthielten das Prinzip , doch dieses war weit mehr an den Unterricht des Lehrers gebunden als an das Stilsystem. (Weg) ist ein alter Begriff, der die chinesischen, okinawanischen und japanischen Kampfkünste seit Jahrhunderten begleitet. Die heute oft propagierte Theorie, bujutsu sei per se nur kämpferisch gewesen und erst durch budō befriedet worden, ist historisch und inhaltlich nicht korrekt.

Die Weglehre () ist auch heute nur unter einem sensei der klassischen Stile zu erlernen. Die meisten modernen Systeme des budō enthalten keine Weglehre, sondern betreiben Kampfkunst lediglich als Sport.

Studien Informationen

Siehe auch: |

Literatur

  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.

Weblinks