Kuatsu

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Artikel aus: Lexikon der Kampfkünste<br.>Nachbearbeitet von: Dr. Kai Just

Kuatsu (活) (auch kwatsu, kappō oder kwappō) bezeichnet die japanische Kunst der Ersten Hilfe, die bei Bewusstlosigkeit infolge von Würgegriffen, bei Traumatismen und Schocktechniken auf das Vitalpunkt- oder Nervensystem angewendet wird. Ursprünglich wurden seine Verfahren aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) vor allem Akupunktur, Akupressur und ànmó abgeleitet. Das Studium des kuatsu wird ausschließlich fortgeschrittenen Übenden vorbehalten (Erläuterungen über Geschichte und Tradition siehe kappō).

Definition des Begriffes

Das Wort kuatsu setzt sich aus den japanischen Schriftzeichen kua („Leben“) und tsu („Technik“ - als Silbe aus jutsu) zusammen. Der Begriff kuatsu lässt sich somit als „Technik des Lebens“, „Rückkehr des Lebens“ oder „Wiederbelebung“ übersetzen. Für die gesamte Anwendung des kuatsu wird auch der Begriff kappō (kwappō) verwendet - eine Zusammensetzung der Begriffe kuatsu und ho („Methode“) - übersetzt als „Methode der Wiederbelebung“.

Allgemeines

In allen Kampfkünsten, in denen mit Negativstimulationen von Vitalpunkten oder Vitalzentren gearbeitet wird, gibt es auch eine fortgeschrittene Wissenschaft der Wiederbelebung, der Aufhebung von negativ stimulierten Punkten und Verfahren längerfristiger Heilungsprozesse. Kappō, kwappō oder kuatsu beinhaltet Methoden, die man zur Wiederbelebung und Ersten Hilfe nach Vitalpunktstimulation, Würger, Verletzungen usw. anwendet. Kuatsu kann aber auch in nicht kampfkunst-spezifischen Situationen angewendet werden, z.B. bei Erstickungsfällen, Nasenbluten, Übelkeit und Erbrechen, zur Erstversorgung Ertrunkener usw. Es ist eine erste Hilfeleistung, die ggf. eine erforderliche Weiterbehandlung durch einen Arzt nicht ersetzt.

Methoden des Kuatsu

Grundsätzlich kann man sagen, dass die chinesischen Kampfkünste (jap. kenpō) die Punktstimulationen der Akupunktur bevorzugen, während die meisten japanischen Stile etwas anders arbeiten. Die Kappo-Methode arbeitet nur selten mit einzelnen Akupunkturpunkten, sie bevorzugt ganze Reflexzonen. Man unterscheidet somit die positive (kappō) und die negative (sappō) Stimulation und beide fanden breite Anwendung in allen japanischen ryū (Stilen).
Eine Vielzahl der Techniken des kappō oder kuatsu umfassen Methoden des Schlagens, Pressens und Massierens auf Reflexzonen des Körpers. Diese Zonen stimmen nur bedingt mit den bekannten Akupunkten überein. Während in der Akupunktur die entsprechenden Punkte für eine Behandlung sehr genau geortet werden müssen, behandelt man im kuatsu ganze Zonen, in denen auch mehrere Akupunkte liegen können. Auch das grundlegende Wirkungsprinzip von vielen Kuatsu-Techniken weist deutliche Unterschiede zur Akupunkturbehandlung auf. Während es in der Akupunktur - wie in allen chinesischen und japanischen Gesamtheilverfahren - darum geht, Ungleichgewichte im -Fluss (jap. ki) zu regenerieren, werden bei vielen Kuatsu-Techniken entsprechende Nervenzentren kurz stimuliert, um das gehemmte Organsystem wieder anzuregen.
Im kuatsu stimuliert man durch einen Schlag mit der Handfläche, der Faust, dem Ellbogen, dem Knie und der Ferse. Auch das zweite Gelenk des Zeigefingers (ipponken) oder des Mittelfingers (nakadakaken) können zum Einsatz kommen. Man presst mit der Handfläche, massiert mit den Fingerspitzen oder mit dem Daumen. Die Dosierung der Kraft sowie die Häufigkeit der Anwendung spielen hierbei eine bedeutende Rolle.

Kuatsu-Behandlungen lassen sich - entsprechend ihrer therapeutischen Zielsetzung - grob in mehrere Teilgebiete aufteilen und werden untenstehend genauer beschrieben.

  • Techniken zur Behandlungen von Bewusstlosigkeit (Reanimation)
  • Schmerzstillende Verfahren/Techniken zur Nachbehandlung einer Bewusstlosigkeit
  • Techniken zur direkten Behandlung von Knochenbrüchen, Verrenkungen, usw.
  • Zusätzliche Methoden

Eine genaue Klassifizierung der Verfahren innerhalb dieser Teilgebiete ist schwierig, da sie in der Regel von jedem Meister anders vermittelt werden. In der einschlägigen Literatur finden sich daher sowohl unterschiedliche Kategorisierungen als auch teilweise verschiedene Namen für gleiche Techniken. Von den oben genannten Teilgebieten sind im Westen häufig nur Techniken zur Reanimation bekannt und auch hier wiederum hauptsächlich nur spezielle Schlagtechniken auf Reflexzonen, da sie eine schnelle und spektakuläre Wirkung auf Außen­stehende haben: mit einem präzisen Schlag auf einen bestimmten Bereich kann eine bewusstlose Person unmittelbar aus der Ohnmacht geholt werden. Zu einer Reanimation mit Hilfe von kuatsu gehört jedoch weit mehr als das vermeintliche Wissen um ein paar Schläge auf Reflexzonen. Die Ursache als auch der Schweregrad einer Ohnmacht müssen genau erkannt werden, da sich hiernach die Behandlung und somit die Auswahl der Techniken richtet. Der Behandelnde muss demnach eine Ohnmacht in all ihren Formen eindeutig von z.B. einer Epilepsie oder einem schon eingetretenen Tod unterscheiden können.

Techniken zur Behandlung von Bewusstlosigkeit (Reanimation)

  1. Tsuki-Kuatsu: Schlag/Stoß/Druck auf Reflexzonen
    1. Te-Kuatsu: Kurzzeitiger Druck auf oberen Rückenbereich
    2. Seoie-Kuatu: Schlag auf oberen Rückenbereich
    3. Ura-Kuatsu: Leistenschlag
    4. Kami-Kuatsu: Stoß auf den Oberbauchbereich
  2. Haï-Kuatsu: Wiederbeatmungstechniken
    1. Aiki-Kuatsu: Mund-zu-Mund-Beatmung
    2. Sasoi-Kuatsu: Unterleibsmassage/Druck
    3. Eri-Kuatsu: Unterleibsmassage/Druck mit gleichzeitiger dorsaler Stimulation
    4. Jinko-Kuatsu: Wiederbeatmung mit zwei Hilfspersonen
  3. Shinzo-Kuatsu: Herzstimulierende Techniken
  4. So-Kuatsu: Integrative Techniken: Kombination von mehreren Effekten
    1. Tanden-So-Kuatsu: Beidseitige Stimulation des Unterbauchs
    2. Agura-So-Kuatsu: Ventraler (bauchseitiger) Druck mit Ausatmungsbewegung
  5. Spezielle Kuatsu Techniken
    1. Amon-Kuatsu: Schädel/Nacken-Trauma
    2. Kin-Kuatsu: Becken/Unterleibs-Trauma

Die Schlag-, Druck- und Stoßtechniken können mit einem kiai (stimmloser oder stimmhafter Kampfschrei) kombiniert werden: der Behandelnde sammelt seine geistigen und körperlichen Kräfte und versucht sie konzentriert auf die bewusstlose Person über die entsprechende Kuatsu-Technik mit einem begleitenden kiai zu übertragen.

Für viele Anwendungen des kuatsu gibt es mehrere Möglichkeiten der Positionierung (Bauchlage, Rückenlage etc.) sowie verschiedene Arten der Stimulation. Weiterhin kann man mit einer Technik unterschiedliche Symptome in der gleichen Reflexzone behandeln – hierbei ist dann die Häufigkeit und Intensität der Anwendung unterschiedlich. Aufgrund dieser Vielzahl von Möglichkeiten erlaubt kuatsu daher eine individuelle Anpassung an die jeweilige körperliche Konstitution sowohl des Behandelnden als auch des Empfangenden und muss genau studiert werden. Bei manchen Anwendungen ist eine genaue Abfolge von Techniken sehr hilfreich, da eine isolierte Stimulation nicht ausreichend ist (integrative Techniken). So kann z.B. bei starken Hirnverletzungen zunächst die Person in Bauchlage behandelt werden. Anschließend bringt man sie in Sitzposition und führt in einer festen Reihenfolge verschiedene Schlag- und Massagetechniken im Nacken- und Kopfbereich aus.

Schmerzstillende Verfahren

Ein zweiter großer Bereich des kuatsu befasst sich allgemein mit schmerzstillenden Verfahren. Diese Verfahren dienen sowohl zur Vorbeugung als auch zur Nachbehandlung einer Bewusstlosigkeit. So folgt z.B. einer Ohnmacht, hervorgerufen durch eine Atemi-Technik zur Schläfe, häufig einen lang anhaltenden Kopfschmerz, der durch entsprechende Kuatsu-Techniken behandelt werden kann. Daher ist es grundsätzlich nicht nur wichtig, eine unmittelbare Bewusstlosigkeit zu behandeln, sondern auch die möglichen Nachwirkungen lindern zu können. Andererseits aber kann Schmerz selbst eine Ohnmacht auslösen, so dass unmittelbar mit entsprechenden Verfahren gearbeitet werden muss, damit die Bewusstlosigkeit erst gar nicht eintritt. Ein stärkerer Treffer z.B. in die Hoden kann zu solchen Schmerzen führen, die eine Bewusstlosigkeit oder sogar einen Zusammenbruch des Herz-Kreislauf-Systems auslösen. Schmerzen sollten daher direkt behandelt werden, damit eine Bewusstlosigkeit als mögliche Folge erst gar nicht eintritt.

Im Gegensatz zu den oben genannten Kuatsu-Techniken zur Reanimation, bei denen meistens schnell und kurzzeitig die entsprechenden Nervenzentren durch einen starken äußeren Reiz stimuliert werden, zeigen die schmerzstillenden Verfahren deutliche Parallelen zu den bekannten östlichen Verfahren wie shiatsu oder anmo. Dabei werden bestimmte Punkte und/oder Zonen mit bekannten Massagetechniken mit Hilfe des Daumens, der Handfläche oder der Fingerspitzen lokal oder auf deren Verbindungslinien längerfristig stimuliert.

Techniken zur Behandlung von Knochenbrüchen und Verrenkungen

Ein weiterer Komplex geht auf die Behandlung von Knochenbrüchen, Verstauchungen, Verrenkungen, Zerrungen und Hämatomen ein. Diese Verfahren, u.a. kombiniert mit westlichen Methoden kommen heute in Japan offiziell in speziellen Kliniken zum Einsatz (siehe seifuku).

Zusätzliche Techniken

Zu diesen Techniken zählt man Methoden, die sich weder therapeutisch noch funktionell zusammenfassen lassen, jedoch trotzdem zu den traditionellen Kuatsu-Behandlungen zählen lassen, wie z.B. Stoppen von Nasenbluten, Hilfe bei Erstickung, Erstversorgung Ertrunkener und Erhängter, Behandlung bei Stirnhöhlenvereiterung usw.

Kuatsu in Deutschland

In Deutschland wird kuatsu bereits seit Mitte der 80er Jahre als Prüfungsbestandteil für Schwarzgurte im Kun Tai Ko, von Norbert Punzet unterrichtet. Nachdem die Notwendigkeit der Kenntnisse über kuatsu auch von anderen Verbänden erkannt wurde, begann Punzet seine Kunst auf verschiedenen Seminaren vorzustellen. Seine Methode umfasst moderne wissenschaftliche Erkenntnisse, kombiniert mit alten Shiatsu-Systemen. Seit mehreren Jahren ist Punzet der Lehrbeauftragte für Kuatsu-Seminare in mehreren Organisationen, die seine „Seminare für Erste Hilfe und Wiederbelebung im Kampfsport“ als Grundvoraussetzung zur Zulassung ihrer lizenzierten Trainer voraussetzen.

Studien Informationen

Siehe auch: Shiatsu | Seifuku | Ànmó | Kappō

Literatur

  • Eric de Winter: Kuatsu (Band 1 und 2), Edition Chiron 1991.
  • Virgil Dr. Crisan: Kuatsu, Garell Publishing House 1997.
  • Eckhard Strohm: Kuatsu, Licht Verlag 1996.
  • Hancock, H. J. und Katsukuma Higashi: Kano Jiu-Jitsu (letztes Kapitel)

Weblinks

Kuatsu