Ablage Hara

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Einleitung

Die budōmäßigen Prinzipien zum Erlernen des kumite beruhen nicht allein auf technischen Fähigkeiten, sondern sind eine eigene Wissenschaft. Diese bedarf der jahrelangen Begleitung durch einen erfahrenen Lehrer, denn um in einem echten Kampf bestehen und überleben zu können, reicht das Techniktraining nicht aus. Auch darf man nicht nur die Methoden des Wettkampfsportes betrachten, denn sie verzerren erheblich die Fähigkeit zu Selbstverteidigung.

Die Fähigkeit zum realistischen Kämpfen in einer Situation der Selbstverteidigung kann nur über die Integration aller dafür nötigen Verfahren erreicht werden. Deshalb muss das alltägliche Training einer Kampfkunst als Weglehre (dō) stattfinden, die alle nachher aufgeführten Betrachtungen beachtet.

Philosophie und Kämpfen

Viele fragen sich „was hat Philosophie mit Kämpfen zu tun?“. Sehr viel, denn die geistige Integrität ist die Grundlage zum Kämpfen.

Illusion

usw.

Die Lehre vom Kämpfen

Die Lehre des realistischen Kämpfens muss die Ideologie des Wettkämpfens überschreitet und auf den Prinzipien der klassischen Kampfausbildung aufbauen. Dazu nötig ist vorneweg das Verständnis des hara. Versteckt im Hintergrund unterrichtet ein erfahrener sensei in jedem Training, in jeder Technik und im Alltag dieses wichtige Grundprinzip. Wird es zu Gunsten der reinen Formausbildung verlassen, entsteht kein budō sondern Sport.

Im Weiteren hängt das Selbstverteidigungspotenzial eines budōka maßgeblich von der Zusammenführung der dreigeteilten Empfindung (shin gi tai) seines Selbst ab: der Geist (shin) lenkt die Handlung, die Technik (gi) liefert das Werkzeug und der Körper (tai) führt sie aus. Er darf keines bevorzugen - er darf keines benachteiligen. Nur zusammen führen diese Prinzipien zur Ganzkörperbewegung (shitai undō), die Essenz jeder kämpferischen Fähigkeit.

Auf philosophischer Ebene kreist die Übung einer Kampfkunst daher stets um zwei Begriffe:

  • Hara - das Beherrschen des energetischen Zentrums des Menschen
  • Shingitai - die Vereinigung der drei Pole (Geist, Technik und Körper)

Diese zu erreichen und im eigenen Selbst zu verwirklichen, sind die eigentlichen Ziele jeder Budō-Übung. Jedes Bestreben, den Kampf durch andere Praktiken zu erlernen, führt an der Lehre des budō vorbei.

Aus diesem Grund konzentriert sich jede Lehre des budō auf diese Prinzipien. Darum wissende Lehrer unterrichten sie stets im Hintergrund und vernachlässigen sie nie zugunsten der reinen Technik.


Hara 腹 - die Erdmitte des Menschen

Den Begriff hara (auch fukubu oder onaka) übersetzt man wörtlich mit 1. „Erdmitte“ (肚) oder 2. „Bauch“ (腹) und meint damit die Körpergegend vom Magen (i, 胃) bis zum Unterleib (tanden, 丹田).

  • Erdmitte - Im alten kanji für hara (肚) bedeutet das rechte Radikal „Erde“, das linke „geöffneter Körper“. Das Zeichen drückt sowohl die Zentriertheit als auch das Bodenverhaftete des hara aus und wurde von Dürckheim kongenial als „Erdmitte“ übersetzt.
  • Bauch - Die kalligraphische Deutung des neuen kanji von hara (腹) bezeichnet ein „Anschwellen des Körpers“ oder ein Behältnis, in dem alle lebenswichtigen Energien aufgenommen, kontrolliert und angewendet werden können. Sie können - auf den Körperkreislauf übertragen - entweder zur Steigerung der inneren Vitalität (qigong) oder zum Vollbringen einer äußeren Handlung (waza) gelenkt werden.

Jede Aktivität entsteht im hara. Hara ist der Sitz der Seele, das Medium aller logischen Beweggründe, Gefühle und Absichten, eine übergeordnete Leitinstanz des Lebens und die intuitive Erkenntnis aller Wahrnehmungen. Das Prinzip des hara ist keineswegs nur Theorie, sondern wird in der praktischen Übung des budō zum Zentrum jeder Übung. Hara ist die versteckte (okuden) Grundsubstanz jeder Budō-Übung, durch die die Einheit von Geist, Technik und Körper (shin gi tai) herangebildet werden kann.

Hara in der ostasiatischen Lebensanschauung

Fragt man in den westlichen Kulturen nach dem Sitz des Lebens, werden die Menschen auf den Bereich des Kopfes oder des Herzens deuten. Stellt man diese Frage in den ostasiatischen Kulturen, deuten die Menschen auf den Bauch.

Hara hat im ostasiatischen Raum eine vollkommen andere Bedeutung als der westliche Bauchbegriff. In Japan bezeichnet hara den individuellen Ausdruck eines Menschen und zeugt von seiner seelischen Grundbeschaffenheit, worauf viele Wortverbindungen und Redewendungen hinweisen. Diese deuten stets darauf hin, ob ein Mensch in seiner "Mitte" ist oder nicht.

In allen Kulturen kennt man entsprechende Unterschiede im körperlichen Ausdruck der Menschen. So ist der moderne Körperfetischist (z.B. ein Bodybuilder) nicht bloß ein körperbetonter Mensch. Sein Ich manifestiert sich oberhalb seiner körperlichen Mitte im überbetonten Brust-Schulter Bereich, in dem sich sein Selbstgefühl konzentriert. Unterbewusst oder bewusst lehnt er ein naturgemäßes Leben ab, sein dezentriertes Ich will gelten. Der Typ eines Priesters oder erfahrenen Handwerkers hingegen erlaubt seiner inneren Haltung, sich zu setzen, und versammelt sich auch körperlich viel weiter unten - er passt sich seiner von der Natur auferlegten Bestimmung an und vereinigt im Gleichgewicht in sich beide Bestimmungspole menschlichen Lebens - streben und achten.

Das im Ausdruck sichtbare Gleichgewicht eines Menschen (der vollendete hara) wird in den asiatischen Kulturen keineswegs als naturgegebene Veranlagung, sondern als das Ergebnis einer lebenslangen Übung (geiko) in einer Wegkunst (dō) begriffen. Als Zentrum des intuitiven Wahrnehmens und Handelns ist der Bauch jedoch auch in der westlichen Kultur nicht unbekannt. Wir haben in bestimmten Situationen „Bauchschmerzen“ oder „Schmetterlinge im Bauch“, auch entscheiden wir zuweilen „aus dem Bauch heraus“.

Hara im Budō

Die Lehre über hara liegt allen Wegkünsten (dō) als physo-psychische Übung zugrunde und wird bereits in die japanische Erziehung als grundlegendes Prinzip integriert. Von klein an werden japanische Kinder zum hara gemahnt und in diesem Kontext ausgebildet. In demselben Sinn werden Schüler der Kampfkünste dazu angehalten, ihre Kraft aus der Lendengegend über die Hüftbewegung zu entwickeln und nicht über die Schultern. Damit soll ein Ausgleich zwischen dem Ich und den natürlichen Anlagen des Menschen erreicht oder durch Übung korrigiert werden. Sich als Selbst zu gestalten und gleichzeitig die natürlichen Bedingungen des „Werdens und Vergehens“ zu akzeptieren, wird im budō als Grundlage zur Entwicklung jeder Persönlichkeit angesehen.

Der körperliche Ausdruck des Menschen ist ein Abbild seiner inneren Haltung (shisei) und zeugt von seiner persönlichen Weise, dem Leben zu begegnen.

Doch auch schon der Anfänger in den Budō-Künsten sollte sich darum bemühen, zumindest die über die Sinnesreize empfangenen Wahrnehmungen auf die richtige Weise zu tragfähigen Erkenntnissen zu kombinieren. Er kämpft unter der oft kritischen Anleitung eines Lehrers stetig gegen seine Selbstgefälligkeit, lernt Situationen richtig einzuschätzen und versteht letztlich, wann er von anderen gebraucht wird, wann er stört, wie er sich in Situationen heraus- und hineinbegeben muss, wie er eine Situation durch Bekenntnis mitverantworten kann, und wie er überhaupt von einem passiven Mitläufer zu einem aktiven Mitgestalter wachsen kann.

Fortschritt im budō definiert sich im Grunde genommen im Erreichen einer höhere Verwirklichungsstufe des hara, weshalb hara das Zentrum jeder körperlichen und geistigen Übung sein muss. Hara wo neru, d.h. „den Bauch üben", oder hara gei ist so selbstverständlich in den Wegkünsten enthalten, dass der Japaner es überhaupt nicht mehr gesondert erwähnt. Gleich welche Übung man wählt, ob es Kampfkunst, Zen, Blumenstecken oder Teetrinken ist, nie wird die Technik ohne hara geübt.

Das Ziel ist immer der ganze Mensch. Daher kommt das Sprichwort „ob Teetrinken, Blumenstecken oder Sitzen, es ist immer das gleiche" oder „was richtig geschieht, muss immer mit hara geschehen.“

Hara bezeichnet die Organisation des Menschen auf seiner vertikalen Achse in Bezug auf seine Körperhaltung (shisei), Spannung (kinchō) und Atmung (kokyū). Die Verwirklichung von hara ist in allen ostasiatischen Wegkünsten ein Zeugnis von menschlicher Reife. Jede Wegübung (dō) - also auch budō - zielt dementsprechend vor allem auf die Persönlichkeitsbildung und auf die Entwicklung der inneren Werte des Übenden. Ohne hara wird die Kampfkunst zum Wettkampfsport.

Nur im Rahmen der Wegausbildung kommen sie zur Geltung, nicht aber im bloßen Formtraining.

Das Zentrum im Bauch (hara), in dem sich die vitale Energie (ki) konzentriert, nennt man tanden.

Die Lehre über Hara

Das Konzept über den energetischen Mittelpunkt des Menschen (hara) stammt nicht aus Japan, sondern aus den frühen chinesischen Philosophien des Daoismus. Bereits 5000 v.Chr. stellten die Chinesen die Abhängigkeit des Menschen von den natürlichen Gesetzen des „Lebens und Sterbens“ fest und gründeten körperlich/geistige Übungen (früher daoyin, heute qigong), durch die eine bestmögliche Vereinbarkeit mit den naturbestimmten Lebensgesetzen zu verwirklichen war. Diese ersten psycho-physischen Übungen legten den Grundstein für eine spätere ganzheitliche Übungsmethode für Körper und Geist, die bis heute die gesamte Kultur Chinas durchzieht und auch die Philosophie von hara inbegreift.

Bereits früh erkannte man, dass der Mensch mit dem Geist (shin) entscheidet und mit Technik (gi) handelt, die mit dem Körper (tai) umgesetzt werden. Gleichzeitig aber erkannte man in dieser Dreiteilung (shingitai) auch eine gravierende Disharmonie, wenn der Mensch - losgelöst vom übergeordneten Verständnis der Zusammenhänge - ständigen Irrtümern und Illusionen unterliegt.

Auf dieser Basis entstand das „Prinzip der Mitte“, mit dem man ein psycho-physisches Zentrum im Menschen suggerierte, durch dessen Verständnis man das Vermeiden aller menschlichen Fehlhaltungen und Falschentscheidungen üben konnte. In China entstand entsprechend die Lehre über das dantian, in Japan bezeichnete man desselbe Prinzip als tanden.

Dāntián 丹田 - chinesische Ursprungslehre

Dāntián qì 丹田氣 (chin): ®qi, das im ®dantian gespeichert wird.

Es entsteht aus dem yuanjing (®jing) und wird „Wasser Qi“ oder „vorgeburtliches Qi“ genannt. Dieses qi hat die Fähigkeit, das qi, das aus der Nahrung entsteht (®huoqi) abzukühlen und den Geist zur Ruhe und Gelassenheit zu bringen.

Hua Tuo lehrte, dass die irdischen Gesetze des „Werdens und Vergehens“ nach wie vor auch für den zum Bewusstsein befähigten Menschen gelten, und plädierte dafür, die Handlungsweise der Natur im persönlichen Leben nachzuvollziehen, um durch die Konformität mit den natürlichen Wandlungsgesetzen eine größere vitale Kraft (qi) zu erreichen.

Dazu studierte er die Verhaltensweise verschiedener Tiere, da er bei diesen einen weit höheren Wirkungsgrad in ihren Handlungen feststellen konnte als beim Menschen. Er kam zu dem Schluss, dass der sich seiner selbst bewusst gewordene Mensch zwar Städte erbauen und Technologien erfinden konnte, dass ihn aber eben dasselbe Bewusstsein (das Wissen um seine Vergänglichkeit) in seinem Handeln beeinträchtigte. Dadurch reifte seine Idee und Lehre, den Menschen in den Ursprung seines natürlichen Seins zurückzuführen, wodurch er sein Leben mit Vitalität füllen und unbeschwert wirken kann.

Als körperlichen Ausdruck seiner Philosophie gründete er das „Spiel der fünf Tiere“ (wuqinxi), eine Übung zur Nachahmung des Affen, des Tigers, des Hirschs, des Bären und des Kranichs. Die Tierstile waren jedoch nicht nur körperliche Übungen, sondern ein Versuch, das entsprechende Tier in seinem Wesen zu verstehen und seine gesamte Art und innere Handlungweise nachzuahmen. Nicht nur die Bewegung wurde nachgeahmt - der Übende sollte das „Wie“ und „Warum“ im Wirken der Tiere ergründen.

Diese ersten psycho-physischen Übungen legten den Grundstein für eine spätere ganzheitliche Übungsmethode für Körper und Geist (qigong), die bis heute die gesamte Kultur Chinas durchzieht und sechs Jahrtausende später zur Entstehung der ersten shaolinischen Bewegungsform führte. Auch wenn die wuqinxi keinerlei kämpferische Inhalte hatten, sind sie doch als die ersten Formen im Sinne des Begriffs kata zu betrachten. Erst im Shaolin-Kloster wurden sie in ein kampforientiertes Körpertraining umgewandelt, behielten aber nach wie vor ihre philosophischen Bewegungsmerkmale bei. Man kann sagen, dass die chinesisch-daoistische Gymnastik die den Energiefluss fördernde Bewegungsgrundlage in allen kämpferischen Stilen des quanfa (Überbegriff für die chinesischen Kampfkünste) bildet und lediglich hinsichtlich der technischen und taktischen Konzepte des Kämpfens ergänzt wurde. Erst durch das ganzheitliche Studium von Philosophie, Technik, Kampftaktik und Energiefluss kann eine kata verstanden werden.

Wegen seiner besonderen Intelligenz ist der Mensch das einzige Wesen, das sich willentlich und wissentlich von seinem naturbestimmten Lebensweg entfernen kann. Doch wenn er es tut, verliert er seine Fähigkeit „aus dem Bauch heraus“ zu handeln, also seinem von der Natur gegebenen ursprünglichen Instinkt oder seiner Intuition zu folgen. Durch die hinzu gewonnene Kraft seines Intellektes ist er in der Lage, sein Leben durch die Erfindung vieler schöner und praktischer Dinge zu erleichtern, doch von seiner natürlichen Bestimmung entfernt er sich dadurch immer mehr. Er verliert seine Instinkte und seine Intuition, durch die er erkennen könnte, was in seinen Handlungen wichtig und richtig ist, und ersetzt sie mit rationalem Denken.

Diese Lebenshaltung, die ihn in seiner individuellen Selbstverwirklichung erhöht, aber zugleich von seinem natürlichen Ursprung entfernt, löst Seelennöte in ihm aus und war seit jeher der Antrieb für alle Religionen und Philosophien, die die Ganzwerdung des Menschen in Harmonie mit allen ihn bestimmenden Mächten beabsichtigen. In seiner seelischen Not begibt er sich auf die Suche nach dem „Jenseits“, d.h. nach der „jenseits all seiner rationalen Erkenntnisse“ empfundenen universellen Wahrheit, die er nie intellektuell begreifen, aber auch nicht verleugnen kann, ohne sich selbst zu verlieren.

Trotz seines Intellektes sucht jeder Mensch instinktiv den Weg zur Harmonie mit seiner Bestimmung, doch dies misslingt stets dort, wo er von seinem Ego beherrscht wird. Überheblichkeit, Selbstdarstellung, Habgier usw. verhindern seine Integration in das Gleichgewicht des Lebens und zugleich das Reifen seiner Persönlichkeit. In einer solchen Haltung misstraut der Mensch seinem Urgrund und zieht sich physisch und psychisch in die Regionen seines Ego zurück. In diesem Fall entspricht sein Bild dem Menschen mit hochgezogenem Schwerpunkt, mit Spannungen im Brust-, Hals- und Nackenbereich und mit oberflächlicher Atmung. In einer solchen Haltung entstehen Lebensängste und Seelennöte.

Der in Not geratene Mensch sucht immer nach Wegen, sein verlorenes Gleichgewicht wieder herzustellen, denn seine Lebensqualität hängt ausschließlich davon ab. Zu diesem Zweck kann er viele Wege gehen. Einer dieser Wege ist der Weg des budō, der diesbezüglich die Ganzwerdung des Menschen durch die kontemplative Betrachtung seiner selbst in der technischen Bewegung (waza) lehrt.

Ein Meister der Kampfkünste strebt immer danach, die Konzentration seiner vitalen Kraft (ki) im dantian groß zu halten. Alle Techniken (waza) werden von dort aus koordiniert, und die Kampfkraft (kime) geht von hier aus. Über bestimmte Schlüsselpunkte an Händen und Füßen kann das qi in der Technik übertragen werden und diese in ihrer Wirkung vielfach verstärken. Durch Konzentration und Gedankenführung wird es an jede beliebige Stelle des Körpers bewegt und verstärkt dort die Handlung. Um dies zu ermöglichen, geht die Aufmerksamkeit (chūi) immer der Technik (waza) voraus. So wird das dantian auch mit Autosuggestion und Vorstellungskraft gestärkt und mit zunehmender Übung deutlich als Mittelpunkt des Menschen empfunden. Dadurch, dass der Schwerpunkt aus dem Kopf nach unten verlagert wird, stellt sich automatisch eine Veränderung in der geistigen und körperlichen Haltung, Spannung und Atmung des Menschen ein.

Dantian ist ein Sinnbild der Stabilität und verwurzelten Kraft im eigenen Selbst. Seine Stärke drückt sich darin aus, dass der Mensch „mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht“. Die Bereitschaftshaltung yōi ist ein Abbild dafür. In Asien gilt ein fülliger oder gar dicker Bauch als Zeichen eines starken dantian und damit als äußerliches Merkmal von starker Erdverbundenheit (肚 - altes kanji für hara). Es wird gleichzeitig auch als Voraussetzung für seelische und körperliche Gesundheit und Stabilität verstanden. Buddha, Konfuzius, Laozi und viele andere asiatische Weise werden meist mit dickem Bauch dargestellt, um so ihre besondere innere Stabilität und Ruhe, Vitalität, Ausgeglichenheit und Harmonie zu zeigen. Der gerundete Unterbauch ist ein Zeichen für geistig und körperlich hoch entwickelte Menschen, die zu großen Taten fähig sind. Ihre Lebensenergie wurzelt in einer Wegübung, über die sie ihr dantian lenken und beherrschen lernen.

1. Shang dantian: Das obere dantian befindet sich über der Nasenwurzel zwischen den Augenbrauen und ist mit dem Akupunkturpunkt yintang verbunden. Andere bezeichnen den Punkt baihui als wesentlich. Eine Stimulation dieses Vitalpunktes erfordert jedoch den ungebrochenen Energiekreislauf auf dem Meridian dumai, über den er mit dem qi der unteren Regionen versorgt wird. Wird dieses dantian vom Ego isoliert, entsteht der „Kopfmensch“ - jener, der alles besser weiß, alles kritisiert und nichts gelten lässt.

2. Zhong dantian: Das mittlere dantian wird meist zwischen den Brustwarzen auf dem Brustbein lokalisiert und ist mit dem Akupunkturpunkt tanzhong verbunden. Manchmal wird es auch in der Mitte des Solarplexus lokalisiert. In ihm wird das qi gespeichert, das aus Luft und Nahrung gewonnen wird. Dieses dantian wird stark von den Gefühlen, dem Charakter und der Qualität der Ernährung beeinflusst.

3. Xia dantian: Das untere dantian wird als das Wichtigste angesehen. Sein Zentrum ist der Punkt qihai (Meer der Energie), etwa drei Fingerbreit unter dem Bauchnabel, der als direkter Zugang zu diesem Energiezentrum gilt. Über ihn kann qi akkumuliert und koordiniert werden, wenn der Übende die Prinzipien der Haltung, Spannung und Atmung beachtet. Durch die Hinzunahme des Punktes guanyuan (renmai 4) wird dieses dantian mit einer Beuteltasche verglichen, in der vitale Energie gesammelt werden kann. Weitere Vitalpunkte von Bedeutung sind shimen (renmai 6) und zhongji (renmai 3).

Die Vorstellung, die persönliche „Mitte“ durch eine Übung des dantian zu finden, bezeichnet den Kernpunkt aller ostasiatischen Weglehren (dō). Ausdrücklich wird in diesem Konzept jedoch immer wieder erwähnt, dass die alleinige intellektuelle Auseinandersetzung mit der „Philosophie der Mitte“ stets zu Fehlinterpretationen führt. Als einzige Möglichkeit zum Fortschritt gilt die Kombination aus philosophischem Studium und Erfahrung in der Praxis - unter der Anleitung eines Lehrers.

Wie gesehen, gibt es dazu viele Methoden. Die Methode des budō ist es, durch die Kontemplation in der Bewegung den Geist-Körper (shintai) zu schaffen. Wird die technische Bewegung (waza) jedoch nicht als Mittel zu diesem Zweck, sondern als Selbstzweck verwendet und nur als Leistungsprinzip aufgebaut, sprechen die Meister von der „leeren Technik“. Unabhängig von ihrem Aussehen, ihrer Wirkung und ihrer Virtuosität bleibt eine solche Technik leer und hat keinerlei Wirkung auf die Ganz-Werdung des Menschen.

Tanden 丹田 - Lehre in Japan

Der Begriff tanden bezeichnet den Unterbauch als Schwerkraftzentrum des hara. Im tanden befindet sich etwa 2 cm unter dem Nabel kikai (Meer der Energie), das Energiezentrum des hara.

Der japanische Begriff tanden leitet sich aus dem chinesischen Wort dantian ab und bezeichnet den Unterbauch des hara als das Schwerkraftzentrum des Menschen. Während in der chinesischen Ursprungslehre mehrere tanden existieren, steht in den japanischen Weglehren das untere tanden im Mittelpunkt der Betrachtung.

Im unteren tanden wird ein Mittelpunkt klassifiziert, den man als „Meer der Energie“ (kikai) bezeichnet. Dieser ist gleichzeitig der sechste Akupunkturpunkt auf dem Renmai-Meridian. Das gesamte Feld des tanden umfasst noch weitere drei Vitalpunkte, unter deren Hinzunahme dieses Körpergebiet mit einer Beuteltasche verglichen wird, wodurch der Übende lernt, vitale Energie (ki) zu sammeln und durch sie zu wirken. Bleibt dieses Reservoir leer, ist die Handlung wirkungslos.

Die japanische Philosophie über tanden (Unterleib) und kikai (Meer der Energie) stammt ursprünglich aus China, wo man dafür die Parallelbegriffe dantian und qihai verwendet. Dantian bedeutet im Chinesischen wörtlich „Zinnoberfeld“ und bezeichnet mehrere wichtige Körpergebiete zur Speicherung der Lebensenergie (qi). Zinnober war früher ein wertvoller Stoff und galt darüber hinaus in seiner alchimistischen Deutung als Stoff der Unsterblichkeit.

Der Zen-Meister Sato Tsuji schreibt: „Die Meisterschaft des tanden besteht darin, alle im Körper vorhandenen Kräfte zu befreien, sie zu leiten und dann im tanden wieder zu vereinigen; diese Kunst wurde schon immer gelehrt, im budō (Weg des Kriegers), im geidō (Weg der Künste) und im zadō (Weg des Sitzens).“

Okada Torajiro, ebenfalls ein Meister des zen, schreibt in „Worte des Meisters“: „Tanden ist der Schrein des Göttlichen. Wenn seine Burg herrlich gebaut ist und das Göttliche in uns wächst, dann ist ein wahrer Mensch vollendet. Wenn man die Menschen in Ränge einteilt, so ist der niedrigste der, der seinen Kopf werthält.

1. Der Kopf (oberes tanden) ist von geringem Rang - er sieht nur zu, häuft Wissen an und wird größer und größer, bis er schließlich ins Wanken gerät wie eine umgekehrte Pyramide. Im Nachahmen anderer ist er groß, aber weder Originalität noch ein eigenes Werk sind seine Sache.

2. Die Brust (mittleres tanden) ist von mittlerem Rang. Das Bekenntnis zu ihr erzieht Menschen mit Selbstkontrolle, Enthaltsamkeit und asketischen Tugenden. Solche Menschen haben einen vordergründigen Mut, aber keine wirkliche Stärke. Viele der so genannten „großen Männer“ sind von dieser Klasse. Aber das genügt nicht.

3. Erst diejenigen, die den Unterbauch (unteres tanden) als den wichtigsten Teil ansehen und also die Burg gebaut haben, worin das Göttliche wachsen kann, sind die von oberstem Rang. Solche Menschen haben sowohl den Geist als auch den Körper in der rechten Weise entwickelt. Energie (ki) durchströmt sie und erzeugt eine seelische Verfassung von großer Gelassenheit. Sie tun, was ihnen beliebt, ohne das Gesetz zu verletzen.

Der Erste denkt, dass Wissenschaft die Natur beherrschen kann. Der Zweite hat einen Scheinmut und weiß hart zu kämpfen. Der Dritte ist der, der um die wahre Wirklichkeit weiß. Alle Laster der Menschen kommen vom Verlieren des Gleichgewichts aus dem hara. Um dieses zu halten, muss man sich einen gesunden Leib (tai) und ein aufrechtes Herz (shin) bewahren. Das aber kann nur auf dem Weg (dō) geschehen.“

Worte des Meisters, Okada Torajiro

Tanden

Zinnoberfeld“, Unterleib, Schwerezentrum, Gebiet, ca. 2 Finger unter dem Nabel, der Mittelpunkt (chin. ®dantian) des zenbuddhistischen ®hara, dem geistigen und körperlichen Zentrum des Menschen.

Allgemeines

Der japanische Begriff tanden leitet sich aus dem chinesischen Wort ®dantian ab und bezeichnet den Unterbauch des ®hara als das Schwerkraftzentrum des Menschen. Während in der chinesischen Ursprungslehre mehrere tanden existieren, steht in den japanischen Weglehren das untere tanden im Mittelpunkt der Betrachtung.

Im unteren tanden wird ein Mittelpunkt klassifiziert, den man als „Meer der Energie“ (®kikai) bezeichnet. Dieser ist gleichzeitig der sechste Akupunkturpunkt auf dem Renmai-Meridian. Das gesamte Feld des tanden umfasst noch weitere drei Vitalpunkte, unter deren Hinzunahme dieses Körpergebiet mit einer Beuteltasche verglichen wird, wodurch der Übende lernt, vitale Energie (®ki) zu sammeln und durch sie zu wirken. Bleibt dieses Reservoir leer, ist die Handlung wirkungslos.

Sato Tsuji über Tanden

„Die Meisterschaft des tanden besteht darin, alle im Körper vorhandenen Kräfte zu befreien, sie zu leiten und dann im tanden wieder zu vereinigen; diese Kunst wurde schon immer gelehrt, im ®budō (Weg des Kriegers), im ®geidō (Weg der Künste) und im ®zadō (Weg des Sitzens).“

Okada Torajiro über Tanden

Der ein Meister des zen, schreibt in „Worte des Meisters“: „Tanden ist der Schrein des Göttlichen. Wenn seine Burg herrlich gebaut ist und das Göttliche in uns wächst, dann ist ein wahrer Mensch vollendet. Wenn man die Menschen in Ränge einteilt, so ist der niedrigste der, der seinen Kopf werthält.

· Der Kopf (oberes tanden) ist von geringem Rang - er sieht nur zu, häuft Wissen an und wird größer und größer, bis er schließlich ins Wanken gerät wie eine umgekehrte Pyramide. Im Nachahmen anderer ist er groß, aber weder Originalität noch ein eigenes Werk sind seine Sache.

· Die Brust (mittleres tanden) ist von mittlerem Rang. Das Bekenntnis zu ihr erzieht Menschen mit Selbstkontrolle, Enthaltsamkeit und asketischen Tugenden. Solche Menschen haben einen vordergründigen Mut, aber keine wirkliche Stärke. Viele der so genannten „großen Männer“ sind von dieser Klasse. Aber das genügt nicht.

· Erst diejenigen, die den Unterbauch (unteres tanden) als den wichtigsten Teil ansehen und also die Burg gebaut haben, darin die Gottheit wachsen kann, sind die von oberstem Rang. Solche Menschen haben sowohl den Geist als auch den Körper in der rechten Weise entwickelt. Energie (ki) durchströmt sie und erzeugt eine seelische Verfassung von großer Gelassenheit. Sie tun, was ihnen beliebt, ohne das Gesetz zu verletzen.

Der Erste denkt, dass Wissenschaft die Natur beherrschen kann. Der Zweite hat einen Scheinmut und weiß hart zu kämpfen. Der Dritte ist der, der um die wahre Wirklichkeit weiß. Alle Laster der Menschen kommen vom Verlieren des Gleichgewichts aus dem hara. Um dieses zu halten, muss man sich einen gesunden Leib (tai) und ein aufrechtes Herz (shin) bewahren. Das aber kann nur auf dem Weg (dō) geschehen.“

Yōi 用意 - generelle Bereitschaft

Die Entwicklung von vitaler Energie (ki) beginnt immer im Körper (Rumpf). Ki wird vom hara ausgehend in die Extremitäten gelenkt. Das Sich-Befinden in der persönlichen Mitte, die auf einer vertikalen Achse zentriert, mit entspannter Stärke und Aufmerksamkeit gefüllt ist und in ruhiger Atmung verharrend die vitalen Kräfte sammelt, kontrolliert und lenkt, bildet die erste Voraussetzung zur Entwicklung von kime in den Handlungen. Dieses konzentrierte Verharren in der eigenen Persönlichkeitsmitte erzeugt das Gefühl von präsenter Stärke des GANZEN. Es ist die Grundlage der stabilen Körperhaltung in den Ständen und organisiert sämtliche Spannungsverhältnisse auf der vertikalen Achse des Körpers. Sie sollte schon in der Bereitschaftshaltung (yōi) geübt und später in alle Stände, (tachi) Bewegungen (sabaki) und Techniken (waza) übertragen werden.

Die Entwicklung, Kontrolle und Lenkung der vitalen Energie (ki) beginnt vor der Ausführung der Technik bereits in der Positionierung des Körpers in Stand und Stellung. Folgendes ist zu beachten:

· Die Zehen greifen den Boden, die Beine bleiben in den Knien locker, aber stabil. Man stellt sich vor, dass Energie über den Punkt yongquan am Fußballen aus dem Boden gezogen wird und sich im hara sammelt. Dazu bedarf es keiner willentlichen Spannung, man „fühlt sich im hara stark“ und füllt diesen mit Konzentration.

· Die Kopfspitze (baihui) wird etwas nach oben gestoßen (damit die Atmung frei fließen kann), die Schultern sind entspannt, die Wirbelsäule wird aufgerichtet. Der Oberkörper ruht völlig entspannt auf einer vertikalen Achse im hara. Ebenso, wie man einen aufrechten Stock auf der Hand balanciert, trägt der mit Energie gefüllte hara den entspannten Oberkörper in einem perfekten Gleichgewicht.

· Die Atmung geht ruhig und tief und sammelt durch Bewusstseinskonzentration die Energie (ki) im hara. Dieses Sammeln und Halten von vitaler Energie im hara, ist die Grundlage zur Entwicklung von kime in der auszuführenden Technik des karate. Im Fall von Kime-Übertragung auf ein Ziel wird immer ausgeatmet. Gleich, ob es sich um Techniken mit den Armen oder den Beinen handelt, das Prinzip bleibt immer dasselbe.

Naka 中 - das Prinzip der Mitte

Raumauffassung, Richtungsverständnis und Wirkungskraft

Naka, das „Prinzip der Mitte“ ist keine bloße Theorie, sondern bestimmt weitgehend das gesamte ostasiatische Leben und weiterführend alle Bereiche der asiatischen Kampfkünste. Bereits im alten China, das man nach wie vor als „Land der Mitte“ bezeichnet, empfand sich der Mensch selbst als Mittelpunkt und organisierte sein Leben ausgehend aus seiner persönlichen Mitte (zhong), die er in seinem dantian lokalisierte.

So verstand man seit Anbeginn das chinesische Reich als Zentrum der Welt und orientierte sich von ihm ausgehend in die vier hauptsächlichen Himmelsrichtungen. Der Mensch als Individuum begriff sich darin immer selbst als das Zentrum seiner Wirkungskreise, musste aber durch eine zusätzliche energetische Übung (qigong) seine persönliche Mitte (dantian) finden, wahrnehmen und kontrollieren lernen, um in der Welt wirkungsvoll handeln zu können.

Auf dieser Philosophie baut das chinesische qigong (Kultur der vitalen Energie) auf. Im karate wird diese Übung durch das korrekte Verständnis des kihon gewährleistet. Schreitet ein Mensch in dieser Übung fort, kann er sich zunehmend in „alle Richtungen“ der Welt bewähren und stets wirkungsvoll handeln: „Der Mensch kann vor, zurück, nach links oder nach rechts gehen“ - der Erfolg seiner Handlungen bleibt nicht aus, solange er „alles mit hara tut“.

Verbindet man die vier Pole mit Linien, entsteht ein Kreuz, das die vier elementaren Bewegungsmöglichkeiten beschreibt: A - nach vorn (Norden); E - zurück (Süden); C - nach rechts (Osten); G - nach links (Westen). In Japan bezeichnet man sie als shihō (vier Richtungen) oder yonshinden (vier Ecken). Den Begriff finden wir heute in den Kampfkünsten als shihō wari (Bruchtest in vier Richtungen), shihō waza (Techniken in vier Richtungen), shihō kumite (Kämpfen in vier Richtungen), usw.

Shihō 四方 - vier Pole

Das Symbol des Prinzips shihō ist ein einfaches Kreuz. Auf dem Schnittpunkt der Linien (kiten) steht der Mensch, mit beiden Beinen verwurzelt im Boden, aber mit aufstrebender Gestalt. Dadurch bezeugt er das durch eine Übung erreichte Verständnis seiner zweipoligen Lebensbestimmung: das Unterworfensein gegenüber der Natur und das Streben nach unabhängiger Individualität. Über sein psycho-physisches Zentrum (hara) verdeutlicht er durch Haltung (shisei), Spannung (kinchō) und Atmung (kokyū) sein Verständnis in der Gleichgewichterhaltung seiner Lebensführung. In den Kampfkünsten steht dafür sein Ausdruck in der natürlichen Bereitschaftshaltung (yōi shizentai). Darin ist er bereit (yōi), sein Leben anzunehmen und auf die rechte Weise zu bewältigen.

Deshalb ist yōi shizentai nicht bloß eine traditionelle Floskel, sondern die alles entscheidende Verbindung zwischen Form und Weg (dō). Ein erfahrener Lehrer kann aus dem yōi eines Übenden dessen Fortschritt auf dem Weg herauslesen.

Einfache Grundlage zur Entwicklung des enbusen in den kata. Happō 八方 – acht Pole

Fügt man dem Kreuz zwei Diagonalen hinzu, ergeben sich vier weitere Bewegungsrichtungen, die sich aus den erstbeschriebenen grundlegenden Richtungen ableiten: B - schräg vor nach rechts (Nordosten); H - schräg vor nach links (Nordwesten); D - schräg zurück nach rechts (Südosten); F - schräg zurück nach links (Südwesten). Die sich so ergebenden Möglichkeiten werden im Japanischen als happō (acht Richtungen) oder hasshinden (acht Ecken) bezeichnet. Der Begriff happō symbolisiert gleichermaßen ALLE möglichen Bewegungsrichtungen und steht in der kata für ALLE möglichen Angreifer. Aussagen wie, „...die kata lehrt den Kampf gegen acht Gegner“, bedeuten also „...gegen beliebig viele Gegner“.

Eine weitere numerische Differenzierung für die in der Praxis des kihon, der kata und vor allem im kumite durchaus existierenden weiteren Zwischenrichtungen wird nicht standardisiert - ihre Verwendung liegt im systemunabhängigen intuitiven Anpassen des Übenden an die real existierenden Gegebenheiten.

Erweiterte Grundlage zur Entwicklung des enbusen in den kata. In den Kampfkünsten entwickelten sich viele Prinzipien, die erst durch die Betrachtung dieser alten ostasiatischen Lebensauffassung zu verstehen sind. Das im karate verwendete Karategramm ist in seiner einfachen Form ein Bewegungssymbol für vier Richtungen (shihō) und in seiner erweiterten Form für acht Richtungen (happō). Beide stehen symbolisch für die Möglichkeiten der Orientierungen und Richtungsänderungen im Raum.

Happō verbindet also die vier Hauptlinien (A - Norden, vor; E - Süden, zurück; G - Westen, links; C - Osten, rechts) mit zusätzlich vier Nebenlinien (H - Nordwesten, schräg vor links; B - Nordosten, schräg vor rechts, F - Südwesten, schräg zurück links, D - Südosten, schräg rechts zurück). Die Buchstaben L (links) und R (rechts) bezeichnen die Position der Füße in der natürlichen Bereitschaftsstellung (yōi shizentai). LH bedeutet dementsprechend, mit links auf der Achse H schräg vorzugehen, RE besagt, mit rechts auf der Achse E gerade zurückzugehen.

Die natürliche Bereitschaftshaltung (yōi shizentai), die auf dem Punkt kiten des Karategramm eingenommen wird, beinhaltet sowohl den im Boden verwurzelten Stand (Akzeptanz der Unterwerfung unter die natürlichen Gesetze des „Werdens und Vergehens“) als auch die individuelle Bemühung zur unabhängigen Individualität (Streben nach Selbstverwirklichung). Beides lässt sich aus der im yōi gezeigten Bereitschaft eines Übenden herauszulesen.

Shin Gi Tai 心技体 - die Dreieinheit

von Geist, Technik und Körper

Es ist der Mensch, der sich übt, und alles, was er übt, hat ein Zentrum, aus dem heraus er sich gestaltet und bewährt: hara. Karate ist eine Kunst, in deren Übung und Ausdruck der Mensch nicht äußere, sondern innere Vervollkommnung sucht. Er vollendet seine Technik wie der Künstler sein Werk, er drückt sich durch sie aus, kehrt sein Inneres nach außen und zeigt in der Technik seine Seele. In einer solchen Übung kann er reifen, darin findet er zunehmend zu seiner „Mitte“ und vervollkommnet sich selbst durch das Ideal des Weges.

Kunst ist ein Ausdruck der Kultur und seit Alters her ein bewährtes Mittel zur Erhöhung und Vervollkommnung des menschlichen Geistes. Kunst ist der Ausdruck menschlichen Empfindens und Verstehens, spricht jedoch in erster Linie zur Seele und weniger zum Intellekt. Durch sie bildet und vervollkommnet sich der Mensch und gelangt so zu einem höheren Verständnis seiner inneren Zusammenhänge. Die Fähigkeit zum philosophischen Denken, die Intuition und die Vorstellungskraft gehören dazu.

Shitai undō – die Ganzkörperbewegung

In den Weg-Künsten beachtet man die Vervollkommnung der Dreieinheit von Geist (shin / kokoro), Technik (gi / waza) und Körper (tai / karada) zusammenfassend als shin gi tai. Das Prinzip bezieht sich auf die Einheit von Geist, Körper und Technik und ermöglicht die Ganzkörperbewegung (shitai undō).

Shin (kokoro) 心 - der Geist

Shin (auch kokoro) bedeutet Geist, Herz oder Gemüt. In den Kampfkünsten steht der Begriff für die geistige Haltung und bildet eines der drei grundlegenden Prinzipien in der Verwirklichung von hara. Wie es die Bedeutungen „Herz“ und „Gemüt“ schon andeuten, ist shin nicht das intellektuelle Verstehen bzw. der analytische Geist. Shin meint vielmehr eine von Klarheit geprägte Geisteshaltung, mit der man in allen Situationen bestehen kann. Die Bildung einer solchen Geisteshaltung erfordert den Blick nach innen. Nur so besteht die Möglichkeit, die unzähligen Unebenheiten der Seele, wie Illusionen, Vorurteile, Ängste, Erwartungen, unüberwundenes Ego und anderes, was den Geist trübt und die Wirklichkeit verzerrt, zu bewältigen. In allen Entscheidungen führt ein getrübter Geist zu Fehlern, in der Selbstverteidigung kann er fatale Folgen haben. Deshalb muss ein Kampfkunstübender lernen, mit kritischen Situationen flexibel umzugehen. Durch die rechte Übung erreicht er eine Geisteshaltung, in der er Sachverhalte so sehen kann, wie sie wirklich sind - frei von Vorurteilen, Ängsten und Selbstbetrug.

Der Geist des Weges hat nur wenig mit der theoretischen Philosophie zu tun. Er bedarf des Antriebs zum inneren Kampf um eigenes Denken und Erkennen. Der Weg ist eine beständige Suche nach Wahrheit und kein Nachahmen von vorgedachtem Wissen. Wahrheit ist kein Fakt, sondern eine Relation. Der Sinn des Weges zu ihr liegt im Werden, nicht im Erreichen.

Die Philosophie des karate dō hat deshalb nicht im intellektuellen Verstehen, sondern nur im Erüben einer ihr angepassten inneren Haltung einen Wert. Zum Erüben dieser Haltung dient die dōjōkun. Erst der Ausdruck der philosophischen Inhalte in der Haltung und im Verhalten des Menschen zeugt von einer echten Geistesbildung.

Meditation, Kontemplation, philosophisches Denken und die Beschäftigung mit den Künsten sind Methoden, die den Geist vervollkommnen. Meister eines Weges ist jener, der mit seinem Herzgeist (shin) das Wesen der Dinge (yūgen) unter ihrer Oberfläche erkennt.

Gi (waza) 技 - die Technik

Gi (auch waza) bedeutet im Japanischen „Technik“ (gijutsu), in der Weiterführung auch „Fähigkeit“ „Geschicklichkeit“ (ginō), „Kunstgriff“ (), „Aufführung“, „Darstellung“, „Spiel“ (engi) oder „Wettkampf“ (kyōgi), und ist ein Paralellbegriff zu jutsu (gesamtmenschliche Fähigkeit). In den Kampfkünsten bezieht sich jutsu auf ein komplexes Techniksystem (ninjutsu, karatejutsu, aikijutsu, kenjutsu, u.a.), während waza die Techniken innerhalb des Systems bezeichnet (kihon waza, nage waza, kansetsu waza, u.a.).

In den Kampfkünsten steht der Begriff (waza / gi) für die Übung der körperlichen Technik und bildet damit eine der drei Grundsäulen in jeder Übung des dō. Unter der Anleitung eines sensei kann sich das Prinzip in ein Lehrkonzept für Schüler verwandeln, dass das menschliche Wirken in allen lebenswichtigen Situationen meint.

Philosophische Betrachtung des Begriffes

Gi ist wie der nahezu bedeutungsgleiche altgriechische Begriff téchnê - von dem sich unser Wort „Technik“ ableitet - in seinem Charakter ambivalent. Ohne das kontrollierende Element des verantwortungsbewussten menschlichen Geistes (shin) birgt jedes Streben nach technischer Perfektion ein latentes Gefahrenpotential. Welche Techniken soll der Mensch entwickeln: die zu einem bedingungslosen technischen Fortschritt oder die zur Erhaltung seiner Art? Ist er in seinem Ego zentriert, und sucht aufgrund seiner unüberwundenen Tiefen wie Goethes Faust nur nach Befriedigung seines Erkenntnistriebes? Oder ist er durch eine kulturelle Übung zu Erkenntnis und Selbsterkenntnis fähig und versteht wie Lessings „Nathan der Weise“ übergeordnete Zusammenhänge, die menschliches Überleben ermöglichen?

Habgier, Selbstsucht und Geltungsbedürfnis sind in allen Kulturen die Auslöser für menschliche Tragödien, die Gründe für alle Kriege und für das Scheitern jeder bisher existierenden Gesellschaftsordnung. Dieses unüberwundene Versagen des Menschen gegenüber dem Leben manifestiert sich seit Jahrtausenden im egoistischen Missbrauch der jeweils zur Verfügung stehenden Technik seitens der gesellschaftlichen Eliten zur Erhaltung der Macht. Technik ohne geistige Vervollkommnung ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in der Evolution, gleich wie hoch die Technik entwickelt sein mag. Sie kann nur dann ein Fortschritt sein, wenn die Menschen bereit sind, ihre Wirkung zu verantworten, nicht aber, wenn Technik als Monopol zum Gewinn von Macht und Reichtum verwendet wird. Wo dies geschieht, gibt es einen erheblichen Mangel an Selbsterkenntnis, Bildung und Kultur.

Um sich in besagter Weise geistig zu vervollkommnen, muss der karateka nach einer gewissen Zeit des Übens die Stufe des elementaren Techniksystems (shu) überschreiten, denn das ausschließliche Befassen mit der Formenvielfalt hält ihn ewig gefangen im System. Die heutzutage häufig anzutreffende Vorstellung, dass die Jagd nach beständig neuen Formen Fortschritt gewährt, ist falsch. Die früheren Meister beschränkten sich auf wenige Formen und gingen in die Tiefe. Die Idee der Erweiterung der Formenvielfalt mit dem Ziel, die Qualität der Übung zu steigern, ist vergleichbar mit der Vorstellung, dass das Werk eines Dichters zwangsläufig besser wird, wenn er mehrere Sprachen lernt.

Der Meister ist nicht im Technik-System verhaftet - er hat es transzendiert - selbst wenn er seine Formen aufs Genaueste beachtet. Der Schüler jedoch muss das System lernen, weil ihm jede darüber hinausgehende Möglichkeit zum Fortschritt noch fehlt. Der Meister des Weges übt die Technik als Mittel zur Sinnfindung, der Schüler auf dem Weg übt die Technik um ihrer selbst willen. Darin besteht der Unterschied zwischen der „vollendeten Technik“ und der bloßen technischen Fertigkeit. Die vollendete Technik des karate dō muss nicht schneller, höher, stärker, besser usw. als eine andere sein, sondern sie muss richtig sein. Die Voraussetzung dafür ist die Korrelation von shin, gi und tai.

Deshalb ist gi im karate dō nicht dasselbe wie Technik im Sport. In den Kampfkünsten ist gi ein Mittel, im Sport ist sie ein Ziel. Der Unterschied liegt nicht in der Form selbst, sondern im Sinn, den der Mensch ihr verleiht.

Enbusen 演武線 - Bodenlinien

Ein enbusen (Linie der kriegerischen Übung) oder dōsen ist ein auf die jeweilige kata reduziertes Karategramm und bezeichnet die Bodenlinien, die den Verlauf ihrer Bewegungen und Richtungsänderungen symbolisieren. Im Vergleich zu einem vollständigen Karategramm sind im enbusen all jene Linien eliminiert, die im Ablauf der kata nicht vorkommen. Dadurch entsteht ein auf die jeweilige kata zugeschnittenes und vereinfachtes Bodendiagramm.

Jedes enbusen hat, wie das Karategramm, einen markierten Punkt (kiten), auf dem die kata beginnt und endet. Meister Funakoshi erläutert dies am Beispiel eines bedeutungsvollen Gesetzes der Natur: „Was immer geht, kommt auch zurück. Im immerwährenden Prozess des Werdens und Vergehens geht nichts verloren, das Eine entsteht aus dem Anderen im vollkommenen Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen, im ewigen Rhythmus der Natur, in dem alles gebunden ist. Der Anfang ist das Ende, und das Ende ist der Anfang.“

Beispiel eines komplexen enbusen in der taikyoku shodan. Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4