Bewegungslehre im Budō

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Artikel von: Werner Lind

In allen Künsten des budō ist die Technik ein wichtiges Element der Übung. Bis zum Erreichen des ersten Schwarzgurtes (shodan) steht sie für jeden Übenden der Kampfkünste als formales System im Vordergrund. Es gibt keine Möglichkeit, über sie hinauszugehen, weil der Geist des Anfängers untrennbar an ihr haftet und eine Befreiung in den Ha-Abschnitt des Weges nicht zulässt. Die erste Phase der technischen Kampfkunstübung (omote) umfasst deshalb ausschließlich das Erlernen spielraumloser Grundformen, die als Voraussetzung für jeden weiteren Fortschritt gelten.<br.>Um Zugang zum Weg des budō zu finden, muss der Übende jedoch letztendlich das elementare Formensystem überschreiten, denn das ausschließliche Befassen mit der Formenvielfalt hält ewig gefangen im System (shu). Die heutzutage häufige Vorstellung, dass die Jagd nach ständig neuen Formen im Shu-Abschnitt Fortschritt gewährt, ist grundlegend falsch. Die früheren Meister beschränkten sich auf wenige Formen und gingen in die Tiefe. Die Intensivierung der Formenvielfalt für Fortschritt zu halten, ist vergleichbar mit der Vorstellung, dass das Werk eines Dichters besser wird, wenn dieser mehrere Sprachen lernt.<br.>Alles Wertvolle, das je von Menschen erschaffen wurde, musste immer den Weg über ein Formsystem gehen. Vor dem Können kommt das Lernen. Die danach in allen Bereichen entwickelbare „Übertechnik“ (okuden) entsteht nicht aus der erlernten Form (omote) selbst, sondern vielmehr dank der erlernten Form aus dem Menschen. Das Ziel des Dichters liegt nicht darin, die Vielfalt der Sprachen zu studieren, sondern sich durch die Sprache auszudrücken.

Dasselbe gilt auch für die Kampfkünste, in denen die Technik vergleichbar ist mit der Sprache. Der Übende muss sie lernen, doch ihr Sinn ist nicht die Vervielfältigung ins Unendliche, sondern ein Ziel im Menschen selbst. Nicht in der Beherrschung der äußeren Form liegen Sinn und Zweck ebensowenig wie der Wert eines Dichters an seiner Rechtschreibung gemessen wird, sondern an seiner individuellen künstlerischen Ausdruckskraft. Der Meister der Kampfkünste befreit sich daher aus seiner Abhängigkeit von der Formschablone (shu) und schafft jede Technik hier und jetzt aufs neue (ha). Er ruft sie nicht aus dem erlernten System ab, sondern aus einer durch sie begründeten kreativen Fähigkeit, ähnlich dem Dichter, der die Sprache einsetzt, um sein inneres Erleben auszudrücken. Der Meister ist nicht abhängig vom System – er hat es überschritten, selbst wenn er es aufs genaueste beachtet. Der Schüler jedoch muss das System lernen, weil ihm jede darüber hinausgehende Möglichkeit fehlt.

Für den Meister besteht die Übung nicht aus dem Nachahmen vorgegebener Formaspekte, ebensowenig wie der Dichter es als seine Aufgabe betrachtet, fremde Gedichte abzuschreiben. Der Meister des Weges übt die Technik als Mittel zum eigenen Sinn. Diese Technik hat über die zu erlernende Form hinaus einen Übungsinhalt, der nach innen zielt. Darin besteht der Unterschied zwischen der bereits „vollendeten Technik“ (okuden) und der nur „gekonnten Technik“ (omote). Die wahre Technik des budō muss nicht schneller, höher, stärker, besser usw. als eine andere sein, sondern sie muss richtig sein. Um richtig sein zu können, reicht die Formperfektion nicht aus.

Deshalb ist waza im budō nicht dasselbe wie Technik im Sport. In den Kampfkünsten ist waza ein Mittel, im Sport ist es ein Ziel. Der Unterschied liegt nicht in der Form selbst, sondern in dem Sinn, den der Mensch sich selbst gibt.

Die Entwicklung der Ganzkörperbewegung

Die Übung der Technik im budō beinhaltet als eines ihrer wichtigsten Ziele die Entwicklung der Ganzkörperbewegung. Das Verständnis solcher Bewegungen entsteht jedoch nicht durch die geistlose Muskelarbeit im Formtraining, sondern indem der Lehrer das Bewusstsein des Übenden zu den richtigen Inhalten und Zielen führt.

Die Ganzkörperbewegung hat ihren Ursprung in der rechten Haltung (shisei). Ihre Entwicklung im Bewegungsbild eines Menschen hängt vom psychischen Standpunkt gegenüber dem Leben in einem weit höheren Maß ab als vom rein äußerlichen Formtalent. Um sie im Training des budō zu verwirklichen, ist es notwendig, dass das Bewusstsein des Übenden auf jene Punkte gelenkt wird, die die Grundvoraussetzungen dieser Entwicklung bilden.

Die rein motorische Übung der Formen führt nicht zu jener Technik, die im budō gemeint ist. In der Technik des budō geht es nicht nur um die Leistung, sondern vor allem um die richtige Haltung. Hier spricht man von der inneren Haltung (ki gamae) und der äußeren Haltung (mi gamae). Jede ausgeführte Handlung hat einen äußeren Aspekt und einen inneren Ursprung. Ganzkörperbewegung entsteht nur im Ausgleich der beiden, das heißt im ausgewogenen Verhältnis von mi gamae (körperlicher Form) und ki gamae (innerer Haltung). Im harmonischen Gleichgewicht der beiden lernt der Mensch, sich in seiner Umwelt zu befinden (anzupassen) und sich mit ihr auseinanderzusetzen (zu wirken). Die rein motorische Technik berücksichtigt nur den zweiten Punkt. Der Situation gegenüber unangepasst, rückt sie das Nichtpassende durch ein Übermaß an Kraft zurecht, um auf diese Weise ihr Ziel zu erreichen.

Deshalb ist in der technischen Übung des budō noch vor der Leistung die aus der rechten Haltung entstehende Ganzkörperbewegung das wichtigste Ziel. Sie ist das Zentrum der physischen Übung, denn durch sie entsteht die Verbindung zum Geist, wodurch letztendlich anpassungsfähiges Verhalten ermöglicht wird. Die Ganzkörperbewegung ist der Ausdruck eines von innen heraus gereiften Zustandes der Einheit zwischen Körper und Geist (shintai). Diese Einheit ist gefährdet, wenn die Technik nur auf den motorischen Fähigkeiten des Körpers (Schnelligkeit, Ausdauer, Kraft) aufgebaut gnd die Perfektion der Haltung missachtet wird. Die Entwicklung zum Ganzen hängt von der Perfektion der idealen Grundschule (kihon) ab, weswegen in den Künsten des budō die Genauigkeit der Form vor der Leistung kommt.

Der Weg zum Verständnis der Ganzkörperbewegung ist in der Übung der Technik nicht automatisch enthalten. Der Schüler strebt in der Ausführung der Technik nach der Wirkung und benutzt dazu die ihm eigenen Bewegungsgewohnheiten. Diese jedoch lassen die Entwicklung der Ganzkörperbewegung nicht zu. Der Lehrer muss das Bewusstsein des Schülers von der Wirkung weg und auf die Grundlagen der natürlichen Bewegung (Haltung, Spannung, Atmung) hinlenken. Dies geschieht, indem er auf äußerst genaue Ausführung der Grundschultechniken besteht. Der Schüler kann darin wegen seines anfänglich rein leistungsorientierten Wollens keinen Sinn erkennen, mit der Zeit wird er dadurch jedoch ein vollkommen neues Bewegungsbewusstsein entwickeln.

Rumpf- und Extremitätenbewegung

Nach Horst Tiwald, der sich in seinen sportwissenschaftlichen Werken eingehend mit der Ganzkörperbewegung befasst hat, hängt die Fähigkeit des Menschen zur Ganzkörperlichkeit vom harmonischen Zusammenspiel zwischen Geschicklichkeitsbewegung und Gewaudtheitsbewegung ab. Mit Geschicklichkeit bezeichnet er die arbeitverrichtenden Bewegungen der Extremitäten, während Gewandtheit die vom Rumpf ausgehende Schwerkraftüberwindung und Gleichgewichtserhaltung in der Bewegung ist.

Durch die Harmonie zwischen Geschicklichkeit und Gewandtheit entsteht die Ganzkörperbewegung. Um diese in der Übung zu vermitteln, muss die Aufmerksamkeit des Schülers auf die richtigen Schwerpunkte in der Technik gelenkt werden. Dies erfordert die Umstellung herkömmlicher Denkgewohnheiten und Zweckvorstellungen, die unter anderem auch das Bewegungsbild im Menschen beeinflussen und es in einer für ihn typischen Weise stabilisieren. Jedem erfahrenen Lehrer ist dies bekannt. Er kennt den Bewegungsausdruck des aktiv Wollenden beziehungsweise des passiv Duldenden, er weiß um den Bewegungsunterschied zwischen verschiedenen Mentalitäten oder Berufsgruppen. Der Sport fordert in all seinen Formen eine meßbare Leistung, und dort, wo die Basis gestört ist, führt Leistung zur Krankheit. Im budō kann dies nicht geschehen. Denn vor einer Steigerung der Leistung wird hier die Bewegungsgrundlage korrigiert und dadurch die Harmonie zwischen Geist und Körper hergestellt. Erst auf dieser Basis kann im Budō „Leistung“ entstehen.

Die Fähigkeit zur Leistung ist über den Weg des Sports schneller zu erreichen als über den Weg des budō, da der Sport die Technik im konditionellen Routinetraining wettbewerbsfähig macht. Auf dem Weg jedoch ist die schnelle Leistung vollkommen unwichtig. Dem Sport ist jede Haltung recht, im budō jedoch wird in einem langjährigen Grundschultraining unter Beachtung der Haltungsprinzipien erst einmal eine gesunde Bewegungsbasis angestrebt. Sie ist wichtig, da sie die Verbindung zwischen Technik und Weg schafft.

Erst wenn diese Grundvoraussetzung im Übenden existiert, erwächst daraus die wahre Technik. Dieser Technik sind keine Grenzen gesetzt, sie verfeinert sich bis ins hohe Alter. Im Sport ist die Grenze der Technik in der notorischen Höchstleistung erreicht – sie erlaubt älteren oder schwächeren Menschen kein Wachsen. Dagegen liegt ein weiterer großer Wert der Budō-Übung gerade darin, dass die auf der Basis der natürlichen Bewegungsprinzipien aufgebaute Technik die Gesundheit des Körpers und die Vitalität des Geistes fördert und von jedem Menschen ausgeführt werden kann. Die korrekte Budō-Technik enthält in ihren Bewegungsstrukturen Stimulationen der verschiedenen Vitalpunkte, Formen der Massage der inneren Organe und Wirkungen auf den Geist. Nicht durch die Leistungstechnik des Sportes, sondern durch die wohlverstandene Technik des budō ist die Gesundheit von Körper und Geist zu erhalten.

Die Erklärung für die im Laufe der Zeit erkrankte Bewegungsauffassung des Menschen liegt in seiner Evolution: Infolge der Entwicklung des logischen Denkens begann der Mensch, die Geschicklichkeitsbewegung (machen, gestalten, verändern) gegenüber der Gewandtheitsbewegung (lassen, dulden, bewahren) zu überakzentuieren. Durch das logische Denken, verbunden mit der Geschicklichkeit seiner Extremitäten, erleichterte er sein Leben und begann eine seinen Zielen und Vorstellungen entsprechende Welt aufzubauen, durch die er in Widerspruch zur Anpassung fordernden Natur geriet. Das sich durch Bewusstsein verwirklichende Leben begann in einem immer größeren Maße von der logischen Beurteilung einer Situation abzuhängen. Überhaupt bedingen diese im Geschicklichkeitstun verflochtenen Prozesse des Erkennens, der Analyse und nutzbringenden Arbeit das Werden jenes Lebens, das sich vom duldenden, der Natur unterworfenen unterscheidet. Doch dies ist nur der vom Bewusstsein erkannte Auftrag des Lebens, sich durch Strebsamkeit gegen die Natur durchzusetzen, sich durch Arbeit zu verwirklichen und die Welt im Werk zu gestalten. Dieser Sinn ist es, dem der Anfänger ausschließlich gehorcht, wenn er ein dōjō betritt.

Das logische Denken ist eng mit der arbeitverrichtenden Extremitätenbewegung verbunden und erkennt als einziges Ziel die Leistung. Im logischen Denken ist daher jede Übung eine Übung zu einem Zweck, das heißt eine Übung zur Steigerung eines erkennbaren Formwertes. Die Motivation eines in der Logik gefangenen Menschen zu einer Handlung wird genährt durch die Hoffnung, eine objektive Wertsteigerung zu erreichen. Das logische Denken kann eine Übung als Selbstzweck weder verstehen noch akzeptieren. Daher werden die eigentlichen Werte der Budō-Übung zumeist schon im Ansatz verkannt, wenn nur die Ratio verstehen will.

Der Antrieb zu jeder Zweckübung ist die Konzentration der logischen Aufmerksamkeit auf die in der Geschicklichkeitsbewegung erreichbare Leistung, und dies ist der hauptsächliche Motor für jeden Schritt, den ein Anfänger in einem dōjō tut. Mit anderen Worten, der Anfänger konzentriert sein Wollen auf die Bewegung seiner Extremitäten und interessiert sich in erster Linie für den unmittelbaren Erfolg seiner Handlung. Durch diese Denkund Bewegungsgewohnheit jedoch kann er den Weg () des budō nicht verstehen.

Die Gewandtheit hingegen bezeichnet die Bewegung des Rumpfes, des tragenden Teils jeder extremen Beweglichkeit. Während die Geschicklichkeit von der Logik gesteuert wird und vor allem vom visuellen Erkennen des Raumes abhängt, ist die Gewandtheit die Parallele zum Urzustand des an die Natur angepaBten Lebens und vorwiegend verbunden mit dem intuitiven Empfinden der Umgebung. Die Überwindung der Schwerkraft und die Erhaltung des Gleichgewichts werden von ihr gesteuert. Man „sieht um sich“ und „hört in sich hinein“. Ersteres ist ein Ausdruck der Gestaltung, der Aktivität, der Auflehnung; letzteres ein Ausdruck der Bewahrung, der Passivität, der Anpassung.

Die Bewegung der Gewandtheit ist zu verstehen als Sinnbild für das angepasste Sich-Befinden in der Welt. Die Gewandtheit unterliegt hauptsächlich der Intuition und entwickelt einen ausgeprägten Sinn für inneres und äußeres Gleichgewicht, für die Orientierung in der Umgebung und den Umgang mit sich selbst. Als fundamentale Form der Bewegung hat sie eine intensive Verbindung zu den tiefsten Schichten der Seele, deren Eigenschaften sie in demselben Maße beeinflusst, wie der Mensch es vermag, Bewegung zuzulassen, statt zu machen, das heißt Vertrauen in seinen natürlichen Ursprung zu finden. Dies steht im Gegensatz zu dem Auftrag an das bewusste Leben, sich gegenüber der Natur zu behaupten. Es ist die tragende und zugleich grundlegende Seite des Lebens, die für den Menschen ebenso wichtige, ohne die er nicht existieren kann. Es ist der Auftrag, in allem Streben die Achtung vor dem Urgrund zu erhalten, in jedem Anspruch das Gleichgewicht zu wahren und in jedem Gestalten dem Sinn des natürlichen Lebens zu gehorchen. In dem Maße, in dem der Mensch die Welt durch dieses Bewusstsein erkennt, lebt er im Gleichgewicht seiner beiden Bestimmungspole. Er kann sich anpassen, und er kann wirken. Dieses Bewusstsein wird im budō durch die Übung der korrekten Technik vermittelt.

Leistung (Geschicklichkeit) und Reife (Gewandtheit) stehen sich in jeder Wegübung gleichberechtigt gegenüber. Der Sinn der Übung liegt in der Verbindung der beiden und führt den Menschen auf jenen Weg (), auf dem er beide gleichermaßen verwirklicht: Er erfüllt seinen Auftrag zur gestaltenden Leistung und gehorcht dennoch dem Aufruf der Natur zu Anpassung und Unterwerfung. Erst damit rechtfertigt er seine Existenz und vermag das volle Ausmaß seiner Bewusstwerdung zu verstehen: die Welt zu gestalten und zu erhalten. Zwischen diesem philosophischen Prinzip und der Übung der Technik gibt es eine intensive Beziehung, die durch den nach Selbsterkenntnis strebenden Geist hergestellt wird. Um sie zu erkennen, muss der Mensch sein Denken zurechtrücken, seine Ansprüche ausgleichen, sein Streben lenken und seinen Zielen den rechten Sinn geben.

Jede Übung ist neutral und hat nur so viel Sinn, wie der Mensch ihr zu geben vermag. Der Sinn des alten budō lässt sich auf einen Menschen nur dann übertragen, wenn er zum eigenen Sinn fähig ist. Nur die objektive Form wurde überliefert, ihr Sinn muss von jedem Menschen neu entdeckt werden. Im sinnlosen Üben von Kampftechniken liegt kein Wert.

In der praktischen Übung des budō wird daher der Schwerpunkt von der Extremitätenbewegung weg und hin zum Empfinden des Rumpfes gelenkt. Das bedeutet: Der Lehrer wacht darüber, dass der Übende den Sinn der Technik nicht in der Leistung sucht, sondern im intuitiven Empfinden seiner aufrechten Gestalt (Haltung), im Umgang mit seinen Spannungsveränderungen und in der Harmonie zwischen Bewegung und Atmung. Das Üben ohne Nützlichkeitsdenken (mushotoku), der Geist ohne Zielvorstellungen (hishiryo) führen auf den Weg. Die Leere (ku) selbst ist der Weg.

In der Übung des karate-dō steht die virtuose Extremitätenbewegung erst an zweiter Stelle. Vorher muss der Übende lernen, korrekt mit der Schu erkraft seines Körpers umzugehen, in allen Situationen das Gleichgewicht des Körpers zu erhalten, seine körperlichen Grundspannungen zu korrigieren und richtig zu atmen. Ausgehend von diesen Prinzipien (zusammengefasst unter Haltung, Spannung, Atmung), kann er die Techniken der Extremitäten entwickeln und diese über die Atmung in ein harmonisches Verhältnis zu seinem Geist versetzen.

Man kann dies als Grundsatz für jedes sinnvolle Üben im budō betrachten. Die traditionelle Lehre, dass jede Handlung sich immer einer zentralen Mitte (hara) im Menschen bedient, aus der heraus sie entsteht, gesteuert und kontrolliert wird, ist für jeden wirklichen Lehrer des budō der Leitgedanke bei all seinen Anweisungen. Die Auffassung von der einzig und allein zweckorientierten Technik, die viele Lehrer des Sport-Budō vertreten, ist nicht nur falsch, sondern verletzt die elementaren Grundregeln des Weges. Eine Technik mit verspannten Schultern und verkrümmtem Oberkörper ist im wollenden Ich gefangen und bewirkt, wenn sie durch Routineübung zur Leistung gebracht wird, ein dem budō entgegengesetztes Bewusstsein. All ihre Wirkungen dienen dem Ego und verhindern den Weg, da sie im Menschen eine falsche Haltung, einen falschen Geist und ein falsches Ziel begründen.

Die Art und Weise, wie ein Mensch seinen Körper hält, spannt und bewegt, ist kein Zufall, sondern wird von inneren Prinzipien bestimmt. Man kann das beobachten, wenn man den körperlichen Ausdruck verschieden gepolter Menschen vergleicht (z. B. Rocker und Priester). Die Übung der Mitte (hara gei) ist keine wirklichkeitsfremde Theorie. Sie muss von den Lehrern der Kampfkünste beachtet werden, denn das Lehren allein zweckorientierter Techniken führt in eine Sackgasse. Die rechte Übung des budō beginnt immer im Zentrum einer natürlichen Lebensauffassung und erweitert sich erst von dort aus in ihre praktische Zweckerfüllung. Will Formvollendung ihren Sinn behalten, muss das Leben ihr Maßstab sein. Jedes andere Ziel, das sie verfolgt, und jeder andere Sinn, den der Mensch ihr gibt, sind letztendlich gegen das Leben. Auch die sportlichen Systeme müssen sich daran messen. Ihr Wert ist genauso groß wie der Wert der von ihnen ausgebildeten Menschen.

Deshalb ist es wichtig, dass sich den Übenden von Anfang an das Verständnis für die Mitte einstellt, denn ohne sie ist die Gefahr groß, dass er dem Geschicklichkeitsrausch der Formen verfällt. Wird seine Übung von einem wirklichen Meister gelenkt, kann er ein Grundverständnis für seinen ganzen Körper entwickeln. Nur auf diese Weise hat er die Chance, jemals die wirkliche Technik des budō zu verstehen.

In der traditionellen Übungsauffassung, die die Mitte (hara) als Ausgangspunkt jeder Bewegung betrachtet, ist die Einheit zwischen Körper und Geist entscheidend. Die korrekt ausgeführte Technik besitzt eine starke Verbindung zur inneren Haltung und bewirkt so das physische und psychische Gleichgewicht. Die aus dem hara heraus gesteuerte Bewegung ist der Schlüssel zum Verständnis des budō als Kunst und die Basis jener Verfassung, aus der heraus der Übende eigenständig in die Tiefe forscht und Oberflächliches ablehnt. Nicht durch Leistungstechnik, sondern durch den Weg des budō ist Persönlichkeitsbildung durch Bewegung möglich.

Ein guter Lehrer lenkt die Aufmerksamkeit seiner Schüler auf die Prinzipien der natürlichen Bewegung (Shisei (Haltung), Kinchō/Kanwa (Spannung/Entspannung), Kokyū (Atmung)). Von dort ausgehend, kann der Übende Technik mit einem vollkommen neuen Bewusstsein verstehen. Durch die rechte Orientierung des Geistes in der Technik lernt ein Mensch, den Weg zu sehen. Der Übende muss wissen, dass es das Problem der Formgefangenheit durch den Wettbewerb gibt und dass das Überschreiten dieser Grenze vom Geist abhängt. Deshalb muss die Übung der Technik und des Geistes durch einen Lehrer angeleitet und gelenkt werden. Geschieht dies nicht, treibt die Kampfkunst den Unerfahrenen in den Leistungsrausch der Formen, indem er den Sinn seiner Übung im Gewinnen sucht – mit schrägem Oberkörper und verspannten Schultern.

Studien Informationen

Siehe auch: Rumpfbewegung | Extremitätenbewegung | Ganzkörperbewegung | Hara | Tanden | Naka |

Literatur

  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.

Weblinks

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