Diskussion:1. Kyu - Bereitschaft und persönliche Initiative zum Studium

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Isshin denshin

Vielen Dank Matthias für dieses interessante Wegkonzept. Viele dieser Fragen haben auch mich zum Nachdenken angeregt.

Gerade das beschriebene Isshin denshin: Von Herz zu Herz wirft hier einige Fragen in mir auf. Mir ist die Wichtigkeit dessen durchaus bewusst und viele Dinge habe ich schon gelesen die vor allem immer das was Isshin denshin ist beschreiben, aber nicht wie man es durchführt bzw. spürt. Vielleicht weil es kein wirkliches „tun“ gibt, da es nichts mit dem Verstand zu begreifen ist?

Nun bin ich auf einen Text gestoßen, der es doch vielleicht schafft den Zustand so gut es geht zu beschreiben. Er lautet:

...Echt ist eine Beziehung dann, wenn sie nicht vom Ego mit seiner Imagepflege und seiner Selbstsuchtdominiert wird. In einer echten Beziehung strömt dem anderen eine wache Aufmerksamkeit zu, ohne dass irgendwelche Forderungen daran geknüpft werden. Diese wache Aufmerksamkeit ist die Präsenz. Sie ist die Voraussetzung für jede authentische Beziehung. Das Ego will entweder etwas vom anderen oder verfällt in völlige Gleichgültigkeit, wenn es glaubt, dass nichts bei ihm zu holen ist: Es empfindet nichts für ihn. Und so herrschen in Egobeziehungen drei Zustände vor: Verlangen, frustriertes Verlangen(Wut, Groll, Schuldzuweisungen, Klagen) und Gleichgültigkeit.

Ein Ego, das etwas von einem anderen Ego will - und welches Ego will das nicht -, spielt normalerweise eine bestimmte Rolle, damit seine »Bedürfnisse« befriedigt werden, seien es materieller Gewinn, ein Gefühl der Macht, Überlegenheit oder Besonderheit oder irgendeine Art von physischer bzw. psychischer Befriedigung. Für gewöhnlich ist den Leuten gar nicht bewusst, welche Rollen sie spielen. Sie sind diese Rollen. Einige Rollen sind unauffällig; andere sind überdeutlich, nur nicht für die Person, die sie spielt. Manche Rollen sind einfach dazu gedacht, Aufmerksamkeit zu erregen. Das Ego blüht auf, wenn ihm Aufmerksamkeit gewidmet wird, die ja eine Form von psychischer Energie ist. Das Ego weiß nicht, dass die Quelle aller Energie im Innern liegt, daher sucht es draußen. Es ist nicht formlose Aufmerksamkeit, also »Präsenz«, wonach das Ego sucht, sondern Aufmerksamkeit in irgendeiner Form wie etwa Anerkennung, Lob, Bewunderung oder auch einfach nur beachtet und in seiner Existenz bestätigt zu werden.

Müssen wir um Herz zu Herz zu erlangen nun komplett frei von Ego sein? Oder verschwindet das Ego auf eine Art und Weise zwischen diesen Menschen wenn Sie sich Herz zu Herz gegenüberstehen? An welchen Dingen muss ein Mensch arbeiten um in diesen Zustand zu kommen?

Vielleicht kann man die Frage eigentlich nicht beantworten, weil es mit dem Kopf nicht zu erfassen geht. Wenn doch wäre ich für eine Erklärung (so gut es geht) dankbar.

--Daniel Lorenz 13:17, 24. Sep. 2012 (CEST)


Hallo Daniel, unter dem Punkt ishin denshin habe ich ein Link zum zugehörigen Artikel bei Budopedia gesetzt. Im Folgenden versuche ich mal aufzuschreiben, was ich unter ishin denshin verstehe. Vielleicht hilft es Dir, beim Beantworten Deiner Fragen.

Ishin denshin ist nicht etwas, was man lernt, um es zu wissen. Ich glaube auch nicht, dass es eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für ishin denshin gibt. Ishin denshin ergibt sich von alleine, wenn eine richtige Lehrer-Schüler-Beziehung besteht. <br.> Trotzdem finde ich es wichtig, dass gerade die zukünftigen Schwarzgurte und Übungsleiter von ishin denshin gehört haben, damit sie dies in ihrer eigenen Trainingsführung beachten. Wissen und Intellekt reichen nicht aus, um Verständnis in einer Kampfkunst zu erhalten. Zwar kann das Wissen um die Prinzipien, die Geschichte und Philosophie einer Kunst als Unterstützung für das Verständnis dienen, aber man kann eine Kunst nicht allein aus einem Buch erlernen. Kampfkunst muss man erfahren, durch regelmäßigen Umgang mit seiner Kunst, mit der Gemeinschaft und dem Lehrer, sowie konstanter Übung. Vieles wird nonverbal gelehrt, weshalb der Kontakt mit dem Lehrer so wichtig ist. Der Übungsleiter muss wissen, dass es nicht ausreicht nur Techniken und Formen zu korrigieren. Er muss das Feuer in den Schülern wecken und den Schüler im Inneren erreichen. Dies ist, wie ich finde, nicht einfach, und ich denke, man muss seiner Intuition folgen, um zu entscheiden, wie man das macht, auch weil das Unterrichten eines Schülers nicht immer gleich, sondern vom Charakter des Schülers abhängig ist. Das eigene Feuer darf dabei natürlich nicht erloschen, sondern hell erleuchtet sein. Ein Kampfkunstlehrer ist jedoch kein Animateur oder Motivationstrainer (obwohl er durch seine beispielgebende Haltung auch Antrieb und Motivation sein kann). <br.> Der Lehrer muss mit "ganzen Herzen" seine Kunst ausüben und mehr durch das, was er tut, und durch die Art, wie er ist, unterrichten, als durch das, was er sagt und predigt. Der Schüler wiederum kann die Kunst nur erlernen, wenn er sein volles Glas leert und sein "Herz öffnet". Wir alle spielen unsere Rollen im Leben und tragen Masken, die unser Innerstes vor anderen schützen. Das finde ich auch vollkommen in Ordnung. Man muss nicht jedem, alles von sich preisgeben. Für eine tiefe Lehrer-Schüler-Beziehung müssen die Masken jedoch fallen gelassen werden. Beide, Lehrer und Schüler, dürfen sich nicht verschließen, damit die Tradition der Kunst von einer Generation zur nächsten übertragen werden kann. Dazu gehört beiderseitiges Vertrauen. Ishin denshin kann man nicht erzwingen. Normalerweise ist es der Lehrer, der beginnt sich zu öffnen. Dies macht der Lehrer auch nicht bei allen, sondern nur bei jenen, bei denen er denkt, dass sie das Potential haben, zu einem wirklichen Schüler der Kunst zu werden. Da man durch das Fallenlassen seiner Masken auch seine Fehler zeigt, ist man sehr angreifbar (dies gilt für Lehrer und Schüler). Um dies zu tun, darf das Ego nicht völlig dominieren, da das Ego versucht, Verletzungen und Angriffspunkte zu vermeiden. Ich glaube aber nicht, dass es ishin denshin nur gibt, wenn man frei von Ego ist. Dies wäre ja schon ein sehr großer Schritt zur Meisterschaft. Ich glaube eher, dass sich die Lehrer-Schüler-Beziehung und die Arbeit an der Überwindung des Egos gegenseitig beeinflussen. <br.> Ishin denshin hat also viel damit zu tun, dass man sich selbst nicht so wichtig nimmt, dass man also sein Ego überwindet. Gleichzeitig muss man aber sehr wichtig nehmen, was man tut. Man muss also Verantwortung übernehmen und Achtsamkeit für die kleinen und großen Dinge haben. <br.> Was kann der Schüler tun, damit ishin denshin entstehen kann? Irgendwann reicht es nicht aus, dass man zweimal die Woche regelmäßig ins Training kommt. Ein wichtige Rolle spielt deshalb meiner Meinung nach das Trainingslager. Im Trainingslager ist man über eine längere Zeit zusammen und "hockt" aufeinander. Man kann dem anderen nicht ausweichen und man übt nicht nur körperlich miteinander, sondern macht auch alle anderen auszuführenden Arbeiten gemeinsam. Natürlich feiert man auch gemeinsam. Zum einen lernt man sich dadurch besser kennen, was ein wichtige Grundlage für Vertrauen ist, aber außerdem kann man den notgedrungen dabei entstehenden Konflikten nicht aus dem Weg gehen. Der Umgang mit Konflikten kann eine Lehrer-Schüler-Beziehung festigen (dies geschieht leider nicht immer). Trainingslager sind für mich entscheidende Schritte hin zu ishin denshin, aber auch der normale Umgang im dōjō ist wichtig. Ich finde nicht, dass es ausreicht, dass man einfach ins dōjō kommt, sich hinsetzt und wartet, dass der Lehrer irgendetwas Erhellendes tut oder sagt. "Von Herz zu Herz" ist keine Einbahnstraße. Bei einer guten Lehrer-Schüler-Beziehung kommt auch etwas vom Schüler zum Lehrer. Ich persönlich finde ein besserer Weg, den Kontakt mit dem Lehrer zu verstärken, ist es, wenn man als Schüler in irgendeiner Weise Verantwortung für das dōjō übernimmt. <br.> Ishin denshin ist keine rein rationelle Entscheidung. Wenn man nur nach Kosten und Nutzen abwägt, dann ist dies kein ishin denshin. Eine Lehrer-Schüler-Beziehung entsteht auch nicht über Nacht, sondern langsam. Man muss sich erstmal kennenlernen. Wenn eine richtige Lehrer-Schüler-Beziehung besteht, dann ist dies natürlich etwas Besonderes. Mit den meisten Menschen hat man ja eher oberflächlich Kontakt. Trotz allem würde ich bei alldem nicht zu viel hineininterpretieren. Dass die reine Anwesenheit des Lehrers die eigentliche Lehre ist, verstehen viele meiner Meinung nach falsch. Man muss dem Lehrer nicht ununterbrochen auf der Backe hängen. Lehrer und Schüler brauchen auch Freiräume. Gleichzeitig sollte man nicht denken, dass jeder Satz und jede Tat vom Lehrer mit Weisheit erfüllt ist. Man sollte auch nicht hoffen, dass man vom Lehrer "den einen" Satz gesagt bekommt, der alles im Leben klar und einfach macht. Verständnis der Kampfkünste muss man sich erarbeiten. Und natürlich macht auch der Lehrer Fehler und profane Dinge. Wir alle sind nur Menschen. Auch ist eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung nicht immer gleich. Sie kann eine Zeit lang so sein, dass man sehr viel Zeit miteinander verbringt. Zu einem späteren Zeitpunkt kann es vielleicht sein, dass man sich nicht mehr so oft sieht, aber die Beziehung trotzdem viel enger ist.

Daniel, ich hoffe, ich konnte Dir ein wenig weiterhelfen.


--Matthias Degen 18:27, 05. Okt. 2012 (CEST)


Danke Matthias für die ausführliche Antwort. Das hat mir auf jeden Fall weiter geholfen.

--Daniel Lorenz 12:40, 8. Okt. 2012 (CEST)