Geschichte der Karate-Kata

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Version vom 9. August 2011, 11:33 Uhr von Stephanie Kaiser (Diskussion | Beiträge) (Die komplexe chinesische Form)
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Artikel aus: Lexikon der Kampfkünste<br.>Nachbearbeitet von: Werner Lind

Mit kata (型) bezeichnet man in Japan die Form (formale Übung) im karate (空手). Sie ist das Herz jeder Karate-Übung, die Grundlage zur Erforschung von Geschichte, Tradition und Hintergrund und gleichzeitig das Zentrum zur Entwicklung von Technik (waza), Geist (shin) und Energie (qi), zusammengefasst als shingitai. Ihr vertieftes Studium bezeichnet man als kata bunkai (Zerlegung, Analyse), wodurch in ihrer Weiterentwicklung kihon (Grundschule) und kumite (Partnerübung) entstanden.

Entstehung in China

Lange bevor es die Kampfkünste gab, entstand in China die Idee der kata (chin: dàolù), als körperlicher Ausdruck der dort vorherrschenden daoistischen Lebensanschauung. Der Daoismus lehrt, dass die Qualität des irdischen Lebens in großem Maß davon abhängt, ob der Mensch die natürlichen Gesetze des „Werdens und Vergehens“ in seine Haltung integrieren kann und durch seine alltäglichen Handlungen den Zugang zu jener universellen Energie (qi) verwirklicht, die auch den Rhythmus aller natürlichen Veränderungen bewirkt.

Daoistische Bewegungslehren in chinesischer Vorzeit

Hauptartikel: Wǔqínxì | Huá Tuó

Bereits um 5000 v.Chr. stellten die chinesischen Daoisten die Abhängigkeit des Menschen von den natürlichen Gesetzen des „Lebens und Sterbens“ fest, und gründeten zur optimalen Lebensbewältigung eine Vielzahl von Übungen (qìgōng - 氣功, Kultur der vitalen Energie). Später lehrte der Arzt Huá Tuó seinen Anhängern, durch körperlich/geistige Übungen und philosophische Erkenntnis eine bestmögliche Vereinbarkeit mit den naturbestimmten Lebensgesetzen zu verwirklichen. Hua Tuo lehrte, dass die irdischen Gesetze des „Werdens und Vergehens“ nach wie vor auch für den zum Bewusstsein befähigten Menschen gelten, und plädierte dafür, die Handlungsweise der Natur im persönlichen Leben nachzuvollziehen, um durch die Konformität mit den natürlichen Wandlungsgesetzen eine größere vitale Kraft (qi) zu erreichen.<br.>Dazu studierte er die Verhaltensweise verschiedener Tiere, da er bei diesen einen weit höheren Wirkungsgrad in ihren Handlungen feststellen konnte als beim Menschen. Er kam zu dem Schluss, dass der sich seiner selbst bewusst gewordene Mensch zwar Städte erbauen und Technologien erfinden konnte, dass ihn aber eben dasselbe Bewusstsein (das Wissen um die eigene Vergänglichkeit) in seinem Handeln beeinträchtigte. Dadurch reifte seine Idee und Lehre, den Menschen in den Ursprung seines natürlichen Seins zurückzuführen, wodurch er sein Leben mit Vitalität füllen und unbeschwert wirken kann.<br.>Als körperlichen Ausdruck seiner Philosophie gründete er das „Spiel der fünf Tiere“ (wǔqínxì), eine Übung zur Nachahmung des Affen (), des Tigers (), des Hirschs (), des Bären () und des Kranichs (). Diese ursprünglichen Tierstile waren jedoch nicht nur körperliche Übungen, sondern ein Versuch, das entsprechende Tier in seinem Wesen zu verstehen und seine gesamte Art und innere Handlungweise nachzuahmen. Nicht nur die Bewegung wurde nachgeahmt - der Übende sollte das „Wie“ und „Warum“ im Wirken der Tiere ergründen.<br.>Diese ersten psycho-physischen Übungen legten den Grundstein für eine spätere ganzheitliche Übungsmethode für Körper und Geist (qìgōng), die bis heute die gesamte Kultur Chinas durchzieht und sechs Jahrtausende später zur Entstehung der ersten shaolinischen Bewegungsform führte.<br.>Auch wenn die wuqinxi keinerlei kämpferische Inhalte hatten, sind sie doch als die ersten Formen im Sinne des Begriffs kata zu betrachten. Erst im Shaolin-Kloster wurden sie in ein kampforientiertes Körpertraining umgewandelt, behielten aber nach wie vor ihre philosophischen Bewegungsmerkmale bei. Man kann sagen, dass die chinesisch-daoistische Gymnastik die den Energiefluss fördernde Bewegungsgrundlage in allen kämpferischen Stilen des quánfǎ (Überbegriff für die chinesischen Kampfkünste) bildet und lediglich hinsichtlich der technischen und taktischen Konzepte des Kämpfens ergänzt wurde. Erst durch das ganzheitliche Studium von Philosophie, Technik, Kampftaktik und Energiefluss kann eine kata verstanden werden.

Bodhidharma im Shaolin-Kloster

Hauptartikel: Bodhidharma | Shaolin-Kloster

Jahrtausende nach Hua Tuo kam der 28. Nachfolger Buddhas und gleichzeitig der erste Patriarch des zen, der indische Mönch Bodhidharma (470 - 543), ins Shaolin-Kloster und beeinflusste die dort bislang vorherschenden daoistischen Lehren durch seine eigene Philosophie. Er lehrte die Mönche, dass das Leben vergänglich ist und dass es darauf ankommt, sich im irdischen Leben durch höchste Wirksamkeit auf einem „mittleren Weg“ (im Gleichgewicht zwischen Askese und Selbstgestaltung) zu verwirklichen. Nachdem er Abt des Klosters geworden war, gab er dem Dasein der Mönche, das bislang nur aus Beten und Übersetzen alter Schriften bestand, neue Impulse. Er verordnete ein tägliches körperliches Training zur Stärkung der vitalen Energie (qi), in dem er gleichberechtigte Schwerpunkte zwischen der Ausbildung des Körpers und des Geistes einforderte.<br.>Als tägliche Pflichtübung für die Mönche gründete er zwei Qigong-Übungen - das yìjīnjīng (Buch der leichten Muskeln - eine Methode zur Lockerung und Gesunderhaltung) und das xǐsǔijīng (Buch der Wäsche des Knochenmarkes - eine Übung zur Entwicklung von vitaler Energie und geistiger Reife).<br.>Bodhidharma, der auch Erfahrung im indischen Kampfsystem vajramushti (später kalaripayat) hatte, initiierte zusätzlich 18 kämpferische Übungen, die er shíbā luóhànshŏu (18 Hände der Buddha-Schüler) nannte. Diese drei Systeme bildeten die Grundlagen des späteren shǎolín quánfǎ (少林拳法) und aller nachher entstandenen kata.<br.>Nahezu ein halbes Jahrtausend galten Bodhidharmas Qigong-Prinzipien, verbunden mit den 18 Methoden der Selbstverteidigung (shíbā luóhànshŏu) als Zentrum aller mönchischen Übungen im Shaolin. Doch als die Mönche sich später zunehmend gegen Überfälle verteidigen mussten, stellte sich heraus, dass ihre Wehrhaftigkeit nicht ausreichend war, um sich gegen kampferprobte Angreifer verteidigen zu können. Die luohan hatten gravierende Lücken im Bereich der Technik und Taktik des Kämpfens. Doch dies sollte sich bald ändern.


Wǔxíngquán 五行拳 (chin): ....


Sprachlich unterscheidet man die wǔqínxì (五禽戲 - „5 Tiere-Spiel“) und wǔxíngxì (五行戲 - „5-Formen-Spiel“). Wobei in China v.a. Wu Qin Xi gebräuchlich ist. Die Übungen gehen auf die alten Praktiken der „WU“ zurück, der Schamanen und Seher. Diese benutzten (und benutzen teilweise noch heute) die „Geister“ der Tiere für den Seelenflug. Um diese innere Verbindung zu erreichen, mussten sie viele Stunden durch Rhythmus, Tanz und Trance in einen Zustand gelangen, um sich mit den nicht sichtbaren Kräften zu verbinden. Die Übungen waren dazu nicht festgelegt, sondern entstanden in diesem Zustand spontan (es gibt bis heute qigong, das auf diesem alten Prinzip aufbaut und fast alle alten Stile haben für die Fortgeschrittenen noch Übungen mit diesem Elementen). Daraus entstanden vor ca 3000 Jahren die davon abgeleiteten Bewegungsübungen, teilweise mit festgelegten Bewegungen. Der Unterschied besteht hier darin, dass die Übungen nicht zu Trance führen (Trance fachlich „Extase“), sondern zu einem zentrierten, meditativen Ruhen, „Entase“ genannt. Interessant ist bei den Übungen die Kombination von Qigong-Zustand (-Geist) und das Nachahmen des entsprechenden Tieres. Das Nachahmen betrifft die Körperhaltung, Atmung, den Blick und typische Verhaltensweisen, so wie das Selbstverständniss des Tieres. Jedes Tier ist dabei mit einer Wandlungsphase (wǔxíng, 五行) verbunden und den entsprechenden Meridianen, geistigen Aspekten und emotionalen Wirkungen zugeordnet. Man unterscheidet die Tiere:

  • Hirsch (Holz, Frühling, Leber/Gallenblase)
  • Affe (Feuer, Sommer, Herz/Dünndarm, Dreifacher Erwärmer/Herzbeutel)
  • Bär (Erde, Übergangszeiten, Magen/Milz)
  • Vogel (Metall, Herbst, Lunge/Dickdarm) - Vogel, hier meist im Sinne eines kleinen Vogels, nicht unbedingt ein Kranich
  • Tiger (Wasser, Winter, Niere/Blase)

Die Übungen können bei psychischen und körperlichen Leiden eingesetzt werden oder alle zusammen...

Gründung der shaolinischen Kata

Hauptartikel: Shǎolín quánfǎ | Jue Yuan | Li Cheng

In der Song-Dynastie (960-1278) kam Jue Yuan (覺遠), ein adeliger Schwertkämpfer ins Shaolin-Kloster und bat um Aufnahme. Als Novize lernte er schnell die 18 Kampftechniken der Shaolin-Mönche, doch er gründete beständig neue Verfahren, und als er später Lehrer im Kloster wurde, führte er 72 Kampfverfahren in die Übung der Mönche ein. Diese waren zumeist Hebel- und Immobilisationstechniken, die unter dem Oberbegriff qínná („zwingen und kontrollieren“) als verschiedene Methoden (zuokushou, fengjinshou, dishashou, shuaijiao, u.a.) bekannt wurden und sich später auch in Japan als jūjutsu verbreiteten. Im okinawanischen karate konstituieren sie das breite Gebiet der Greif- und Drucktechniken auf Vitalpunkte (tuite), die in Japan als torite bezeichnet werden.<br.>Doch Yuans System fehlte die taktische Linie, und so beschloss er, sich auf die Wanderschaft zu begeben, um von Kämpfern außerhalb des Shaolin-Klosters zu lernen. Auf seinen Reisen beobachtete er eine Begebenheit, die seine Kampfkunst nachhaltig beeinflussen sollte: ein alter Mann namens Li Cheng wurde von einem Raufbold belästigt, den er mit wenigen Griffen außer Gefecht setzte. Darauf angesprochen erklärte Li Cheng, dass er nur ein Arzt sei und vom Kämpfen wenig verstehe. Er hätte nur die Vitalpunkte des Angreifers stimuliert, worauf dieser kampfunfähig wurde.<br.>Jue Yuan war von dieser Methode fasziniert und wollte das Wissen des Arztes in die shaolinischen Kampfsysteme integrieren. Er bat Li Cheng, ihn ins Shaolin-Kloster zu begleiten, um von ihm zu lernen. Doch Li Cheng erklärte, dass nur äußerst glückliche Umstände dazu führen, die Vitalpunkte eines Angreifers stimulieren zu können. Um diese Umstände herbei zu führen, bedarf es einer wohldefinierten Taktik im Kampfverhalten, um in den Nahbereich des Angreifers zu gelangen. Er schlug vor, einen ihm bekannten Kampfexperten namens Bai Yu Feng aufzusuchen und diesen diesbezüglich um Rat und Hilfe zu bitten.<br.>Bai Yu Feng willigte ein und zog mit den beiden ins Shaolin-Kloster. Er brachte seine taktische Kampferfahrung mit ein und erweiterte die shaolinischen Kampfmethode in mehreren Abschnitten schließlich auf 170 Aktionen. Nach eingehender Analyse des neu entstandenen Systems schlug er vor, die alten Tiersysteme (wǔqínxì) von Hua Tuo aufzunehmen und auf deren psycho-physischer Basis (qìgōng) zusätzlich die Taktik des Kämpfens und die Vitalpunktlehre zu verschlüsseln. Damit entstanden die fünf Tierstile (wǔqínxì), und das Grundlagensystem der shaolinischen kata war geboren.<br.>Über seinen neugegründeten Stil schrieb er ein Buch, Wuquan jingyao (die „Essenz der fünf Fäuste“), in dem er die Übung und Anwendung der klassischen fünf Tierstile beschreibt. Auch dokumentiert er darin, dass im Jahre 1312 der japanische Mönch Da Zhi ins Kloster kam und 13 Jahre lang wǔxíngquán (五行拳, Boxen der fünf Wandlungsphasen) und Stocktechniken lernte. 1335 kam ein weiterer japanischer Mönch, Shao Yuan, ins Kloster und lernte dort Kalligraphie, Malen, Chan und Kampfkunst. 1347 kehrte er nach Japan zurück und legte den Grundstein für die Entstehung des japanischen jūjutsu.

Entwicklung der shaolinischen Tierstile

Hauptartikel: Shǎolín wǔqínxì | Bai Yu Feng

Der Kampfkunstexperte Bai Yu Feng kam zusammen mit seinem Sohn in den Shaolin-Tempel und arbeitete zehn Jahre lang an der Reformation des shaolinischen Kampfsystems. Auf seine Initiative wurden die ursprünglichen shíbā luóhànshŏu (18 Hände der Buddha-Schüler) mit ausgedehnten Bereichen des qínná (Drücken der Vitalpunkte, Hebel und Festlegegriffe) und den wuxingquan (Tierstilen) bereichert. Während Li Cheng den Tempel bald verließ, blieb Bai Yu Feng (er nahm später den Namen Qiu Yue Chan Shi an) zusammen mit seinem Sohn im Kloster, und beide wurden Mönche.<br.>Sein wichtigster Beitrag zur Reformation des shaolinischen quánfǎ bestand in der Idee, die alten Tierspiele (wǔqínxì) von Hua Tuo als formale Grundlagenübung (kata) aufzunehmen und darin die bereits bestehenden Methoden des qigong und zusätzlich die Kampftaktik und die Vitalpunktlehre zu verschlüsseln. Dazu wurden fünf Tiere ausgewählt (lóng - Drache, - Tiger, shé - Schlange, - Kranich und bào - Leopard), die noch heute als die shaolinischen Standards gelten und das gesamte chinesische quánfǎ und das okinawanische karate bis in die Gegenwart beeinflusst haben.

Die komplexe chinesische Form

Hauptartikel: Dàolù

In ihrer Gesamtheit ist die chinesische dàolù (套路) (im Japanischen kata) ein in körperliche Übung umgesetztes philosophisches Ganzheitskonzept des qigong und somit ein Objekt des ständigen und nie endenden Studiums.

Sie enthält:

  • Philosophie und Ethik - die Grundlage des menschlichen Befindens und Verhaltens, das als Etikette (jap. reigi) in allen Kampfkünsten festgeschrieben ist.
  • Positive Vitalpunktlehre (kihon) - die Bewegungsprinzipien des qigong, die unter der Aufsicht eines sensei in jeder Übung verwirklicht werden können. Die Technik ist oberflächlich betrachtet nur Bewegung, doch sie hat einen tiefen Hintergrund und zielt letztendlich auf die innere Werdung des Menschen. Nicht jeder kann den Unterschied sehen, und längst nicht jeder Lehrer kann ihn unterrichten.
  • Taktik und Strategie des Kämpfens (kumite) - die Methoden des allseits bekannten kumite sind traditionell in den Partneranwendungen der kata verschlüsselt. Sie haben nur wenig mit den heutigen Wettkampfstrategien zu tun, sondern lehren stets den einfachsten und sichersten Weg zum Überleben in einer Selbstverteidigungssituation.
  • Negative Vitalpunktlehre (kyushō) - die Lehre über Kreisläufe und Punkte des menschlichen Vitalsystems ist Bestandteil der chinesischen Medizin (Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)|TCM). Diese Methoden (kyushōjutsu) zu verstehen, erfordert ein ausgedehntes Studium in Theorie und Praxis. Die dazu in den kata enthaltenen offenen Handtechniken sind nicht in der sportlichern Wettkampfauffassung zu gebrauchen und erfordern den Unterricht eines darin ausgebildeten sensei.

Überlieferung nach Okinawa

Hauptartikel:

Die Okinawaner hatten zu Anfang des 15. Jahrhunderts noch keinen Zugang zur hochentwickelten Kultur der Chinesen. Sie praktizierten auf ihrer Insel seit altersher eine einheimische Selbstverteidigungsmethode, die sie anfangs 手 te (de oder di - Hand) und unter dem späteren Einfluss der Chinesen 唐手 tōde (Hand aus China) nannten. Doch dies war anfänglich eine reine Selbstverteidigungsmethode, die weder einen ethischen noch einen philosophischen Inhalt hatte.

Erste Kontakte mit den Chinesen

Auf Okinawa wussten man nicht viel über die in Bewegungen verschlüsselte Lebensphilosophie der Chinesen. Die Okinawaner verstanden die chinesischen Formen des quánfǎ anfangs nicht in ihrer Komplexität und entnahmen aus ihnen nur den praktischen Teil. Für sie war es vor allem wichtig, einen Kampf zu überleben und nicht Lebensverwirklichung durch Selbsterkenntnis zu betreiben. Sie wussten nichts über Vitalpunkte, über Energiekreisläufe und schon gar nichts darüber, wie man diese beeinflusst oder stimuliert. Viele von ihnen waren ungebildete Bauern, aber auch jene, die aus höheren Gesellschaftsschichten stammten (Adel, Palastwachen, Beamte), übten die Selbstverteidigung lediglich aus praktischen Gründen - sie wollten die ständigen Angriffe der japanischen samurai überleben und sich selbst, ihre Familien oder ihre Dienstherren schützen.<br.>Zwar bewunderten sie die aus China importierte Kampfkunst und die zugehörigen dàolù (kata), doch die darin enthaltenen komplexen Inhalte konnten oder wollten sie nicht nachvollziehen. Beispielsweise schlossen sie - überall dort, wo sie die hochentwickelten Verfahren der Vitalpunktstimulationen, die durch Techniken mit der offenen Hand in den dàolù repräsentiert waren, nicht verstanden - die Faust. Subtile chinesische Kampftechniken wurden durch brachiale Gewaltaktionen ersetzt. Als Beispiel dafür kann die kata kūshankū (公相君) angeführt werden.

Beeinflussung des Te durch das chinesische Quanfa

Hauptartikel:

Erst im 18. Jahrhundert gelangten okinawanische Experten des te (手) als Schüler unter die Obhut chinesischer Lehrer des quánfǎ. Dies war der Zeitpunkt der großen Reformation des okinawanischen te zum tōde (唐手), zum okinawate (uchinādi, 沖縄手) und letztendlich zum karate (空手). Manche Geschichtsforscher behaupten, dass die Idee der okinawanischen kata bereits in den alten okinawanischen Volkstänzen (odori) existierte und vom quanfa lediglich beeinflusst wurde. Auch die frühen Meister des te sollen bereits kämpferische Sequenzen von Technik und Taktik in Bewegungsabläufen verschlüsselt haben. Wie auch immer, diese okinawanischen Urformen der kata waren sicher nicht mit jenen komplexen kata vergleichbar, die ab dem 18. Jahrhundert auf verschiedenen Wegen aus China importiert wurden.<br.>Ethik, Inhalt und Hintergrund entstanden in den okinawanischen kata erst durch Lehrer wie Matsumura Sōkon (1806- 1895), Matsumora Kōsaku (1829 - 1898), Azatō Ankō (1829-1906), Itosu Ankō (1831-1915), Kojō Kahō (1849-1925), Nakaima Norisato (1819-1897) und vor allem durch ihre Nachfolger in der nächsten Generation, die in ihren eigenen Interpretationen der okinawanischen kata mit den Chinesen gleichziehen konnten.

uchinānchu

Entwicklung der okinawanischen Kata

Hauptartikel:

Die neu entstandene okinawanische kata war keine Kopie der chinesischen dàolù, sondern eine Interpretation der chinesischen Lehre nach okinawanischer Lebensauffassung. Zu Recht nannte man die aus dem te nachfolgende Kampfkunst zuerst tōde (唐手 - China-Hand), denn sie war ohne Zweifel chinesisch beeinflusst. Doch später veränderte sie ihren Inhalt und verband chinesische Philosophie mit okinawanischer Praxisbezogenheit. Dadurch entwickelte sich das te zum uchinādi (okinawate) und erhielt gleichzeitig eine eigenständige Identität. Erst im 19. Jahrhundert konnte die okinawanische Kampfkunst mit dem chinesischen quánfǎ inhaltlich gleichziehen.

Kata in Japan

Hauptartikel:

Nachdem tōde / karate (唐手) viele Jahrhunderte lang geheim gehalten wurde und den Okinawanern zur Selbstverteidigung gegen die samurai diente, kam das System 1921 nach Japan. Dort musste es sich den strengen Auflagen des butokukai unterwerfen, um überleben zu können. Zuerst wurde die Bezeichnung von tōde / karate (唐手 - chinesische Hand) in karate (空手 - leere Hand) geändert. Der Unterschied findet sich nur im Schriftzeichen (唐手 und 空手), die Lesung bleibt gleich. Gleichzeitig wurden auch die Bezeichnungen aller okinawanischen kata verändert, die auf einen chinesischen Ursprung deuten.

Veränderte Kata-Bezeichnungen

Hauptartikel: Kata-Liste (Karate)

Die politischen Zustände, mit denen das okinawanische karate konfrontiert war, als es ab 1921 durch verschiedene Lehrer nach Japan kam, standen seiner Entwicklung entgegen. Die Meister der ersten Generation (Funakoshi Gichin, Miyagi Chōjun, Mabuni Kenwa, Motobu Chōki, u.a.) trafen auf eine imperialistische Haltung, die sich danach verzehrte, die chinesische Mandschurei in das japanische Reich zu integrieren. In diesen Jahren war den Japanern alles Chinesische verhasst, und eine Kampfkunst, die als tōde (Hand aus China) bezeichnet wurde, hatte daher in dieser von Nationalismus und Militarismus geprägten Umgebung kaum eine Chance, etabliert oder gar verbreitet zu werden. So wurde die Bezeichnung tōde (唐手, Hand aus China) in karate (空手, leere Hand) geändert. Auch viele der traditionellen kata erhielten in Japan neue Namen:

Es war abzusehen, dass der dai nippon butokukai keine okinawanisch/chinesische Kampfkunst akzeptieren würde. Um die Anerkennung dieser Organisation zu erreichen, war es notwendig, karate als japanische Kampfkunst zu definieren. Dafür war eine Reihe von Auflagen zu erfüllen, die schließlich zu vielen Veränderungen des karate in Japan führten sollten. Darunter war die bereits erwähnte Veränderung des ersten Schriftzeichens, die Übernahme des vom butokukai vorgegebenen Graduierungssystems (dankyū seido), das damit verbundene Tragen schwarzer (später auch farbiger) Gürtel, das Üben in Uniformen (karategi) und später die Veränderung des karate in einen Wettkampfsport. Alle Auflagen wurden nach und nach erfüllt, 1933 wurde karate vom butokukai anerkannt, und 1936 wurde der entscheidene Schritt zur Japanisierung des karate durch ein Übereinkommen mehrerer maßgeblicher Karate-Meister vollzogen. Karatedō wurde zur japanischen Kampfkunst erklärt, und der butokukai errichtete sogar auf Okinawa eine Zweigstelle, durch die er neben jūdō und kendō das karatedō als japanische Kunst in sein Mutterland reimportierte.<br.>Die okinawanischen Meister waren zunächst mit den Bestimmungen des butokukai nicht einverstanden und ignorierten diese weitgehend. Doch die politische Macht lag längst beim butokukai, und offiziell wurden in Japan die Stile shōtōkan ryū, shitō ryū, gōjū ryū und wadō ryū als die Hauptstile des karate erklärt. Im Dezember 1941 wurde eine Statistik über die Wirksamkeit der einzelnen Budo-Disziplinen erstellt, und im folgenden Jahr wurden sie direkt den Regierungsministerien (Erziehung, Krieg, Marine, Wohlfahrt und nationale Angelegenheiten) unterstellt. Heute kann die - zumindest äußerliche - Japanisierung des karate auf Okinawa als fast abgeschlossen betrachtet werden: weißer dōgi, schwarze und farbige Gürtel sowie Graduierungssysteme und die Bezeichnung karatedō (Weg der leeren Hand) sind in den meisten Stilen zur Selbstverständlichkeit geworden.

Gründung der Wettkampf-Kata

Hauptartikel:

Nach dem letzten Weltkrieg etablierte sich in Japan eine Mentalität, die alle Wertvorstellungen verließ und nach dem kapitalistischen Vorbild der USA nur noch auf Erfolg und Profit programmiert war. In diesem Sinn wurden auch die traditionellen Kampfkünste interpretiert. Sie presäntierten sich mit einer Maske aus fiktiven Werten (budō), doch eigentlich wurden sie lediglich als Sport in der ganzen Welt verbreitet. Mit den beginnenden japanischen Wettkampfkonzepten der JKA begann man die kata zunehmend mehr als gymnastische Kür zu verstehen. Diese Auffassung entfernte sich von allen eigentlichen Werten der klassischen kata.

Kata in der Welt

Hauptartikel:

Nachdem die karate als Sport weltweit angekommen war,

Studien Informationen

Literatur

  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste, BSK-Studien 2010.
  • Werner Lind: Budo - der geistige Weg, Scherz 1991.
  • Werner Lind: Okinawa Karate, Sportverlag Berlin 1998.
  • Werner Lind: Karate Grundlagen, BSK 2005.
  • Werner Lind: Karate Kihon, BSK 2007.
  • Werner Lind: Karate Kumite, BSK 2010.
  • Werner Lind: Karate Kata, BSK 2011.
  • Shoshin Nagamine: The Essence of Okinawan Karate, Tuttle 1976.
  • Richard Kim: The Weaponless Warriors, Ohara 1974.
  • Morio Higaonna: Okinawa Goju ryū, Minamoto Research, 1985.
  • Mark Bishop: Okinawan Karate, A&B Black 1989.
  • Pierre Portocarrero: Tode les origines du Karate do, Sedirep.
  • George W. Alexander: Okinawa Island of Karate, Yamazato 1991.
  • Kenji Tokitsu: Histoire du Karate do, SEM 1979.
  • Hokama Tetsuhiro: Timeline of Karate history, 2007.
  • Andreas Quast: Kleine Geschichte der Kampfkunst in China, Quast 2000.

Weblinks