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Entgegen der Sichtweise des „zivilisierten“ Westens und der Europäer, die den Tiger als blutrünstig und Prototyp des Bösen betrachteten, wurde der Tiger im asiatischen Raum nicht mit derart abwertenden Attributen versehen. Er war ein mächtiges und zeitweilig gefährliches Tier, ein natürlicher Bestandteil jener Welt, das in der ein oder anderen Weise respektiert wurde. Wenn Tiger und Mensch denselben Lebensraum teilten, war er in der Glaubenswelt der Menschen fester Bestandteil. So war der Tiger ein gefürchtetes Wesen, dessen Name in manchen Gebieten nicht ausgesprochen wurde. Man sprach von ihm als „großes Insekt“, „der Gebieter“ oder „der große Herrscher“. Er war „der König der wilden Tiere“ (兽王 - ''shòu wáng'') oder auch „Herr der Berge“, „König der Berge“, da er über die Tiere der Berge herrschte.
 
Entgegen der Sichtweise des „zivilisierten“ Westens und der Europäer, die den Tiger als blutrünstig und Prototyp des Bösen betrachteten, wurde der Tiger im asiatischen Raum nicht mit derart abwertenden Attributen versehen. Er war ein mächtiges und zeitweilig gefährliches Tier, ein natürlicher Bestandteil jener Welt, das in der ein oder anderen Weise respektiert wurde. Wenn Tiger und Mensch denselben Lebensraum teilten, war er in der Glaubenswelt der Menschen fester Bestandteil. So war der Tiger ein gefürchtetes Wesen, dessen Name in manchen Gebieten nicht ausgesprochen wurde. Man sprach von ihm als „großes Insekt“, „der Gebieter“ oder „der große Herrscher“. Er war „der König der wilden Tiere“ (兽王 - ''shòu wáng'') oder auch „Herr der Berge“, „König der Berge“, da er über die Tiere der Berge herrschte.
  
Trotz seiner bekannten Gefährlichkeit war der Tiger ein mythisches Tier. Im [[Altes China|Alten China]] erhielt er sehr häufig Opfergaben, da er die Wildschweine, die die Felder der Bauern verwüsteten, fraß. So war der Tiger der Beschützer der Landwirtschaft.
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Trotz seiner bekannten Gefährlichkeit war der Tiger ein mythisches Tier. Im [[Altes China|Alten China]] erhielt er sehr häufig Opfergaben, da er die Wildschweine, die die Felder der Bauern verwüsteten, fraß. So war der Tiger Beschützer und Schutzgeist der Landwirtschaft.
  
 
Ihm wurde außerdem zugeschrieben, dass er Dämonen vertreiben und bezwingen konnte, da die Hausgötter dies nicht vermochten, weshalb sich beispielsweise auf Gräbern häufig steinerne Tigerfiguren finden. Auch an Türpfosten angebrachte Tigerbilder dienen zum Schutz vor Dämonen. So sollte eine sogenannte „Tigermütze“ beispielsweise kleine Kinder schützen, denn diese Mützen trugen das Abbild eines Tigerkopfes. Am fünften Tag des fünften Monats waren die Menschen besonders schutzbedürftig, so dass als Abwehrzauber ein Bild des Tigers an Wänden oder Türen angebracht und Kindern das Schriftzeichen für Tiger auf die Stirn gemalt wurde. Eine Verbindung zur Vertreibung von Dämonen durch den Tiger findet sich auch in [[Taiwan]]. Das Blut einer schwarzen Ente, die in der Silvesternacht geopfert wurde, wurde einem Tiger aus Papier in das Maul gestopft. Der Papiertiger wurde danach vor das Stadttor gebracht und verbrannt, um alles Böse aus der Stadt zu vertreiben.
 
Ihm wurde außerdem zugeschrieben, dass er Dämonen vertreiben und bezwingen konnte, da die Hausgötter dies nicht vermochten, weshalb sich beispielsweise auf Gräbern häufig steinerne Tigerfiguren finden. Auch an Türpfosten angebrachte Tigerbilder dienen zum Schutz vor Dämonen. So sollte eine sogenannte „Tigermütze“ beispielsweise kleine Kinder schützen, denn diese Mützen trugen das Abbild eines Tigerkopfes. Am fünften Tag des fünften Monats waren die Menschen besonders schutzbedürftig, so dass als Abwehrzauber ein Bild des Tigers an Wänden oder Türen angebracht und Kindern das Schriftzeichen für Tiger auf die Stirn gemalt wurde. Eine Verbindung zur Vertreibung von Dämonen durch den Tiger findet sich auch in [[Taiwan]]. Das Blut einer schwarzen Ente, die in der Silvesternacht geopfert wurde, wurde einem Tiger aus Papier in das Maul gestopft. Der Papiertiger wurde danach vor das Stadttor gebracht und verbrannt, um alles Böse aus der Stadt zu vertreiben.
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Wie der Himmlische Hund ist der Weiße Tiger im [[Daoismus]] ein dämonisches Tier. Er ist eine sehr gefürchtete Sternengottheit, von der man glaubt, dass sie die werdenden Kinder im Mutterleib frisst. Kam der Tiger im Spätsommer aus den Bergen, wurde er mit dem Herbst und dem Westen gleichgesetzt. Der Weiße Tiger des Westens ist aber auch der Wächter und Beschützer der daoistischen Tempel.
 
Wie der Himmlische Hund ist der Weiße Tiger im [[Daoismus]] ein dämonisches Tier. Er ist eine sehr gefürchtete Sternengottheit, von der man glaubt, dass sie die werdenden Kinder im Mutterleib frisst. Kam der Tiger im Spätsommer aus den Bergen, wurde er mit dem Herbst und dem Westen gleichgesetzt. Der Weiße Tiger des Westens ist aber auch der Wächter und Beschützer der daoistischen Tempel.
  
Im Westen Chinas liegt das [[Kūnlún shān|Kunlun-Gebirge]] (''Kūnlún Shān'' - 崑崙山), das der Aufenthaltsort der „Königinmutter des Westens“, [[Xīwángmǔ]] (西王母), ist. In der Mythologie heißt es, dass ein Tiger mit neun Menschenköpfen das im Osten liegende Tor des Lichts bewacht. Vor dem Thron der Feengöttin liegen [[Lóng|Drache]] (''lóng'' - 龍) und Tiger. Die Göttin, die als eine Art Menschenfresserin galt, wurde in den Anfängen als ein „Monster“ beschrieben. Sie besaß das Gesicht eines Menschen, den Schwanz eines Leoparden (''[[bào]]'' - 豹) und das Gebiss eines Tigers und konnte dessen Brüllen nachahmen. Anderen Quellen zufolge hatte ''Xīwángmǔ'' die vollständige Gestalt eines Tigers.
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Im Westen Chinas liegt das [[Kūnlún shān|Kunlun-Gebirge]] (''Kūnlún Shān'' - 崑崙山), das der mythische Aufenthaltsort der „Königinmutter des Westens“, [[Xīwángmǔ]] (西王母), ist. In der Mythologie heißt es, dass ein Tiger mit neun Menschenköpfen das im Osten liegende Tor des Lichts bewacht. Vor dem Thron der Feengöttin liegen [[Lóng|Drache]] (''lóng'' - 龍) und Tiger. Die Göttin, die als eine Art Menschenfresserin galt, wurde in den Anfängen als ein „Monster“ beschrieben. Sie besaß das Gesicht eines Menschen, den Schwanz eines Leoparden (''[[bào]]'' - 豹) und das Gebiss eines Tigers und konnte dessen Brüllen nachahmen. Anderen Quellen zufolge hatte ''Xīwángmǔ'' die vollständige Gestalt eines Tigers.
  
 
Um das Wohlwollen des Weißen Tigers zu erlangen, wurde er häufig als lebensgroßer, junger General dargestellt, der eine prachtvolle Rüstung und in der rechten Hand ein Schwert trug.
 
Um das Wohlwollen des Weißen Tigers zu erlangen, wurde er häufig als lebensgroßer, junger General dargestellt, der eine prachtvolle Rüstung und in der rechten Hand ein Schwert trug.

Version vom 7. November 2014, 18:32 Uhr

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Artikel von: Stephanie Kaiser

Der Tiger (chin. , 虍, jap. ko, tora) ist ein chinesisches Symbol der Würde, Tapferkeit und Kraft. Das Tier selbst symbolisiert die Stärke und Macht des Herrschers. Er ist das männliche Element (yáng - 陽). Als Weißer Tiger (bái hū / pái hū - 白虎) steht er für den Westen, den Herbst und den Wind und ist hier dem weiblichen Element (yīn - 陰) zugeordnet. Der Gegenspieler des Weißen Tigers ist der blaugrüne Drache (oft auch nur Grüner Drache, Blauer Drache oder Azurblauer Drache (chin.: 青龍 / 青龙 - qīng lóng)), der die östliche Himmelsrichtung beherrscht und für den Frühling steht und in dieser Konstellation das Yáng-Tier ist. Tiger und Drache symbolisieren damit die beiden großen und gegensätzlichen Mächte der Natur. Der Tiger ist das 3. Tier des chinesischen Tierkreises (12 Erdzweige). Entsprechend des zwölfjährigen Abstands ist das nächste Jahr des Tigers 2022 im Zeichen des Wassers (水 - shuĭ).

Vorkommen und Arten

Der Tiger (Panthera tigris) ist die größte lebende Großkatze (Pantherinae) und ausschließlich in Asien beheimatet. Die Art ist derzeit (2014) noch durch die Unterarten Sibirischer Tiger, auch Amurtiger oder Ussuritiger (Panthera tigris altaica) genannt, Königs-, Bengaltiger oder auch Indischer Tiger (Panthera tigris tigris) genannt, Indochinesischer Tiger (Panthera tigris corbetti), Malaiischer Tiger (Panthera tigris jacksoni) und Sumatratiger (Panthera tigris sumatrae) vertreten. Der Südchinesische Tiger (Panthera tigris amoyensis) ist vermutlich in freier Wildbahn ausgestorben. Bereits ausgestorbene Subspezies sind Javatiger (Panthera tigris sondaica), Balitiger (Panthera tigris balica), die zu den sogenannten insularen Unterarten (Indonesien) wie beispielsweise der Sumatratiger zählen, sowie der Kaspische Tiger (Panthera tigris virgata).

In China kommt heute nur noch der Sibirische Tiger im Norden des Landes an der Grenze zu Russland vor. Die Rote Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) führt diese Unterart als „vom Aussterben bedroht“ (critically endangered). Insgesamt wird die Großkatze als „stark gefährdet“ eingestuft, wobei es Unterschiede im jeweiligen Gefährdungsstatus der einzelnen Unterarten gibt. Die Schätzungen für den gesamten asiatischen Raum gehen von insgesamt maximal 4.000 frei lebenden Individuen aus. Nachweislich leben weltweit inzwischen mehr Tiger in Gefangenschaft als in freier Wildbahn.

Eine abweichende Farbvariante zur natürlichen Fellfarbe ist der sogenannte „weiße Tiger“, der jedoch nur in der Unterart des Bengaltigers belegt ist. Die Färbung ist ein Teilabinismus, d. h. die Tiere haben keine roten Augen wie echte Albinos. Alle weißen Tiger in Gefangenschaft gehen auf ein 1951 in Indien gefangenes Exemplar zurück, das bisher der einzige Tiger mit dieser Fellfarbe in freier Wildbahn gewesen war. Es gibt seltene Berichte über sogenannte „schwarze Tiger“. Bei dieser Fellfärbung handelt es sich nicht um einen reinen Melanismus wie bei Leoparden oder Jaguaren, die dann als „Schwarze Panther“ oder nur „Panther“ bezeichnet werden, sondern vielmehr um eine extreme Ausbildung der typischen schwarzen Streifen, die das Tier nahezu vollständig schwarz erscheinen lassen. Dies ist vergleichbar mit der vermehrten und größeren Flecken- oder sogar Streifenbildung beim Geparden (Acinonyx jubatus), der dann als Königsgepard bezeichnet wird und in dieser Färbung ebenfalls keine eigene Art darstellt.

Etymologie

Das Radikal (Wurzelzeichen und grafische Grundkomponente des Schriftzeichens) gibt deutlich das gestreifte Fell des Tigers wieder. Im heutigen Schriftzeichen 虍 () sind jedoch nur noch die „Füße“ des Tigers erkennbar: „Der Tiger richtet sich auf“.

Der Tiger in der Kulturgeschichte

Der Tiger im Alten China

Entgegen der Sichtweise des „zivilisierten“ Westens und der Europäer, die den Tiger als blutrünstig und Prototyp des Bösen betrachteten, wurde der Tiger im asiatischen Raum nicht mit derart abwertenden Attributen versehen. Er war ein mächtiges und zeitweilig gefährliches Tier, ein natürlicher Bestandteil jener Welt, das in der ein oder anderen Weise respektiert wurde. Wenn Tiger und Mensch denselben Lebensraum teilten, war er in der Glaubenswelt der Menschen fester Bestandteil. So war der Tiger ein gefürchtetes Wesen, dessen Name in manchen Gebieten nicht ausgesprochen wurde. Man sprach von ihm als „großes Insekt“, „der Gebieter“ oder „der große Herrscher“. Er war „der König der wilden Tiere“ (兽王 - shòu wáng) oder auch „Herr der Berge“, „König der Berge“, da er über die Tiere der Berge herrschte.

Trotz seiner bekannten Gefährlichkeit war der Tiger ein mythisches Tier. Im Alten China erhielt er sehr häufig Opfergaben, da er die Wildschweine, die die Felder der Bauern verwüsteten, fraß. So war der Tiger Beschützer und Schutzgeist der Landwirtschaft.

Ihm wurde außerdem zugeschrieben, dass er Dämonen vertreiben und bezwingen konnte, da die Hausgötter dies nicht vermochten, weshalb sich beispielsweise auf Gräbern häufig steinerne Tigerfiguren finden. Auch an Türpfosten angebrachte Tigerbilder dienen zum Schutz vor Dämonen. So sollte eine sogenannte „Tigermütze“ beispielsweise kleine Kinder schützen, denn diese Mützen trugen das Abbild eines Tigerkopfes. Am fünften Tag des fünften Monats waren die Menschen besonders schutzbedürftig, so dass als Abwehrzauber ein Bild des Tigers an Wänden oder Türen angebracht und Kindern das Schriftzeichen für Tiger auf die Stirn gemalt wurde. Eine Verbindung zur Vertreibung von Dämonen durch den Tiger findet sich auch in Taiwan. Das Blut einer schwarzen Ente, die in der Silvesternacht geopfert wurde, wurde einem Tiger aus Papier in das Maul gestopft. Der Papiertiger wurde danach vor das Stadttor gebracht und verbrannt, um alles Böse aus der Stadt zu vertreiben.

Dem Aberglauben zufolge wurde die Seele eines Menschen, den der Tiger gefressen hatte, sein Sklave und der Tiger würde von nun an versuchen, andere Menschen zu fangen. Wie beim afrikanischen Löwen (Panthera leo) gab es auch beim Tiger eine Verbindung zur Seelenwanderung und der Wiedergeburt.

Die Ehrfurcht der Menschen vor dem Tiger sah nicht vor, diesen durch systematische Jagd auszurotten. Vielmehr wurden die Tiere darum „gebeten“, bestimmte Gebiete zu verlassen und zu meiden und zurück in die Berge zu gehen. Geschichten zufolge erschienen die Tiger sogar vor Gericht, wenn gegen sie verhandelt wurde, und beugten sich der Staatsgewalt.

In Südchina herrschte der Glaube, Angehörige dort lebender Minderheiten könntensich in Tiger verwandeln, die dann als Wer-Tiger, vergleichbar mit dem Werwolf, bezeichnet werden. Diese Annahme ist in der alten chinesischen Literatur zu finden, derzufolge sich Tiger in Menschen und Menschen in Tiger verwandeln konnten.

Die Fellzeichnung auf dem Scheitel des Kopfes oder dem Vorderhals von Tigern scheint manchmal den untereinander stehenden chinesischen Schriftzeichen für „Großer Herrscher“ (wáng dà - 王大) zu ähneln. Tiger mit dieser seltenen Zeichnung galten in China als heilige Tiere, denen jede erdenkliche Ehre erwiesen werden musste.

Der Tiger im neuzeitlichen China

Máo Zédōng (1893-1976) erklärte den Tiger 1959 als Feind des Menschen. Für die „Vernichtungsaktionen“ der Großkatze gab es von der chinesischen Regierung hohe Belohnungen. Der Tiger wurde von nun an nicht nur wegen seines Felles und der steigenden Nachfrage seiner Bestandteile für die traditionelle Medizin im asiatischen Raum gejagt, sondern auch als „Ungeziefer und Pest“ bezeichnet, die es auszurotten galt. Anfang der 1960er Jahre war der Bestand des Südchinesischen Tigers (Panthera tigris amoyensis) bereits in kurzer Zeit auf ca. 1.000 Tiere geschrumpft. Weitere zehn Jahre später galt der Chinesische Tiger in China „als äußerst selten“, der vermutlich zu diesem Zeitpunkt in freier Wildbahn bereits ausgestorben war. Über die Anzahl in Gefangenschaft gehaltener Tiere ist nichts bekannt.

Der Tiger, vorwiegend Sibirische Tiger oder Bengaltiger, wird heute in China in Zoos und in sogenannten „Tigerfarmen“ gehalten. Die Tiere der Tigerfarmen sind Nutztiere, wie in europäischen Ländern beispielsweise Schweine, Rinder oder Geflügel. In Asien wird den einzelnen Bestandteilen eines Tigerkörpers heilende Wirkung zugeschrieben, welche sich auf die tradionelle asiatische Medizin beruft.

Der Tiger in Religion und Mythologie

Göttern und Zauberwesen wurde nachgesagt, dass sie auf Tigern reiten. Hierzu finden sich häufig plastische Darstellungen aus verschiedenen Materialien. Der „Gott des Reichtums“, Tsai Shen (財神), der Wunderkräfte besaß, konnte sogar auf einem schwarzen Tiger reiten. Manchmal wird Tsai Shen auch nur von einem Tiger begleitet. Li, der „Herr des Feuers“, wird ebenfalls meist auf einem Tiger reitend dargestellt. Es fanden sich auch Grabbeigaben, die weibliche Figuren auf einem Tiger reitend abbilden.

Der Weiße Tiger (bái hū / pái hū - 白虎) oder „Weiße Tiger des Westens“ ist neben dem Grünen/Blauen (Azurblauen) Drachen (qīng lóng - 青龍 / 青龙), dem Roten Vogel (zhū què - 朱雀) und der Schwarzen Schildkröte (xuán wǔ - 玄武) eines der Tiere, das für eine Himmelsrichtung steht und eines der vier Symbole der chinesischen Sternenkonstellation ist. Als Tier des Herbstes und des Westens ist dem Tiger das Element Metall (jīn - 金) zugeordnet. Die Kenntnis über die Kunst der Metallverarbeitung galt als Schlüssel zur Herrschaft.

Wie der Himmlische Hund ist der Weiße Tiger im Daoismus ein dämonisches Tier. Er ist eine sehr gefürchtete Sternengottheit, von der man glaubt, dass sie die werdenden Kinder im Mutterleib frisst. Kam der Tiger im Spätsommer aus den Bergen, wurde er mit dem Herbst und dem Westen gleichgesetzt. Der Weiße Tiger des Westens ist aber auch der Wächter und Beschützer der daoistischen Tempel.

Im Westen Chinas liegt das Kunlun-Gebirge (Kūnlún Shān - 崑崙山), das der mythische Aufenthaltsort der „Königinmutter des Westens“, Xīwángmǔ (西王母), ist. In der Mythologie heißt es, dass ein Tiger mit neun Menschenköpfen das im Osten liegende Tor des Lichts bewacht. Vor dem Thron der Feengöttin liegen Drache (lóng - 龍) und Tiger. Die Göttin, die als eine Art Menschenfresserin galt, wurde in den Anfängen als ein „Monster“ beschrieben. Sie besaß das Gesicht eines Menschen, den Schwanz eines Leoparden (bào - 豹) und das Gebiss eines Tigers und konnte dessen Brüllen nachahmen. Anderen Quellen zufolge hatte Xīwángmǔ die vollständige Gestalt eines Tigers.

Um das Wohlwollen des Weißen Tigers zu erlangen, wurde er häufig als lebensgroßer, junger General dargestellt, der eine prachtvolle Rüstung und in der rechten Hand ein Schwert trug.

Yin Cheng-hsui, ein historisch belegter General des letzten Kaisers der Yin-Dynastie (auch Shang-Dynastie 商朝 - shāng cháo), Dì Xīn, trug den Titel „Weißer Tiger“.

Der Tiger als Symbol und in der Kunst

Im Vergleich zum Leoparden, der nur selten bildlich dargestellt wurde, finden sich zahlreiche Darstellungen des Tigers in plastischer und zeichnerischer Form. In der chinesischen Kunst wurde dieser als positiver Held dargestellt. Die Darstellung des Tieres erfolgte entweder naturalistisch, also realistisch, oder ornamental stilisiert.

Neben den Darstellungen zur Abwehr von Dämonen und bösen Geistern in Form von Bildern oder Steinfiguren war das Abbild des Tigers, aufgrund der Assoziation mit der Macht und Stärke des Tieres, auch eng mit dem Soldatentum verbunden. Für Offiziere in der Qing-Dynastie (1644 - 1912) war der Tiger ein Rangabzeichen. Truppenbewegungen wurden durch den Kaiser befohlen, indem dieser Plaketten in Form eines Tigers schickte.

Der Tiger in den Kampfkünsten

Tiger und Tigerhand
Der Tiger: Emblem des shōtōkan (tora no maki - „Tiger-Rolle“); hier ohne Initialen

Chinesische Kampfkünste

Der Tiger ist eines der beliebtesten Vorbilder in den chinesischen Kampfkünsten und neben dem Drachen (lóng - 龍), dem Leopard (bào - 豹), dem Kranich ( - 鶴) und der Schlange (shé - 蛇) eines der klassischen fünf Tiere des shǎolín quánfǎ (少林拳 - Shǎolín-Faust) und ein Standardtier der wǔqínquán (五禽拳 - „fünf Tierfäuste“).

  • Hūquán (虍拳) im shǎolín quánfǎ (少林拳): Der Stil des Tigers lehrt einen geradlinigen machtvollen Kampfstil aus der Katzenstellung und aus der tiefen Stellung. Sie ist die stärkste Tierform. Die Tigerhand verwendet fünf Finger in greifender, drückender oder schlagender Aktion.
  • Hūzhǎng (虍掌): Tigerhand, eine der besonderen Handhaltungen des chinesischen quánfǎ (拳法).
  • Hūxingquán (虍形拳): Das „Tigerboxen“ ist ein Tierstil der Shàolín. Das System bevorzugt Griffe und Schläge mit der offenen Hand.
  • Wǔqínxì (五禽戲): Der Tiger ist neben dem Hirsch (鹿 - ), dem Bären (熊 - xióng), dem Affen (猴 - hóu), und dem Kranich (鶴 - ) eines der fünf Tiere im wǔqínxì, dem „Spiel der Fünf Tiere“. Dieses Bewegungssystem des Arztes Huá Tuó zählt zum qìgōng (氣功). Die Übung der Tierbewegungen wird seit altersher in traditioneller Reihenfolge ausgeführt, an deren erster Stelle der Tiger steht. Aufgrund der ihm zugeschriebenen Eigenschaften wie Macht, Stärke, Furchtlosigkeit, Stolz und Wildheit, bestehen die Übungen vorwiegend aus der Kunst des Innehaltens und explodieren in blitzschneller Kraftentfaltung. Die typische Handhaltung ist die Tigerpranke, der Körper tendiert machtvoll nach vorne. Der Blick ist ruhig und ernst, wird er aber gestört, ist sein Blick feurig, bösartig und wild. Der Tiger drückt innere Sanftmut durch äußere Härte aus. Die Übung eignet sich besonders in Kombination mit dem Bären im Winter und stärkt das dāntián (丹田), die Nieren, die Knochen und das angeborene (炁 oder 氣).

Weitere bekannte Tiger-Systeme sind epai wuhū quán („Boxen der fünf Tiger vom Berg Emei“) und das heihūquán („Boxen des schwarzen Tigers aus Zhejiang“).

Eine Handhaltung aus dem qìgōng und tàijíquán heißt „Tigermaul“. Hierbei ist die Hand nach vorne gerichtet und die Finger zeigen nach unten. Die Innenseiten von Daumen und Zeigefinger bilden ein Dreieck. Am deutlichsten wird die Handhaltung beim Halten eines Stockes auf Brustkorbhöhe.

Japanische Kampfkünste

In den japanischen Kampfkünsten ist der Tiger als Symbol des Shōtōkan-Karate bekannt, das sich aus dem hūquán ableitet. Symbol des shōtōkan ryū ist der Tiger. Die tora no maki, die der Künstler Hoan Kosugi, ein Schüler Funakoshi Gichins, für dessen erstmals 1935 veröffentlichtem Buch „Karate-Do Kyohan“ entworfen hatte. Der Tiger ist in einem Kreis abgebildet und die Initialen seines Schöpfers finden sich oben rechts im Kreis.

Studien Informationen

Siehe auch: Hūquán (Tigerfaust) | Hūxingquán (Tigerboxen) | Shǎolín quánfǎ | Wuqinquán | Wǔqínxì |

Literatur

  • Anthony Christie: Chinesische Mythologie. Emil Vollmer Verlag, Wiesbaden 1968, S. 23, 29, 34, 47, 55, 65, 72, 92, 106, 114.
  • Wolfram Eberhard: Lexikon Chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen. Heinrich Hugendubel, München 2004, ISBN 3-89631-428-9, S. 282-283.
  • Eduardo Fazzioli: Gemalte Wörter. 214 chinesische Schriftzeichen – vom Bild zum Begriff. Marix, Wiesbaden 2004, ISBN 978-3-937715-34-6, S. 164.
  • Susie Green: Tiger. Gerstenberg, Hildesheim 2011, ISBN 978-3-8369-2646-1.
  • Josef Guter: Lexikon der Götter und Symbole der Alten Chinesen. Marix, Wiesbaden 2004, ISBN 3-937715-04-5, S. 317-318.
  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.
  • Peter Matthiessen: Tiger im Schnee. Ein Plädoyer für den sibirischen Tiger. National Geographic, Goldmann, München 2000, ISBN 978-3-492-40201-9, S. 76.
  • Vratislav Mazák: Der Tiger. Westarp Wissenschaften; Auflage: 5 (April 2004), unveränderte 3. Aufl. von 1983 ISBN 3-89432-759-6, S. 9, 160 u. 215.
  • Kristin Nowell / Peter Jackson: Wild Cats. IUCN - The World Conservation Union, 1996. ISBN 2 - 8317-0045-0, S. 55-65.
  • Jeremy Roberts: Chinese Mythology A-Z. 2nd Edition, Chelsea House Publications 2009, ISBN 978-1-60413-436-0, S. 125, 132.
  • John Seidensticker, Susan Lumpkin: Große Katzen. Jan Stuart: Löwen und Tiger in der asiatischen Kunst. Jahr-Verlag, Hamburg, ISBN 0-86438-233-2, S. 202-203.
  • Clemens Zerling: Lexikon der Tiersymbolik. Mythologie – Religion – Psychologie. Drachen, Klein Jasedow 2012, ISBN 978-3927369-61-0, S. 312-314.

Weblinks