Heian (kata)

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Artikel erstellt von: Hendrik Felber

Der Begriff heian (平安) bezeichnet eine Gruppe von fünf Bewegungsformen (kata) im japanischen karate des shōtōkan ryū, die von Itosu Ankō gegründet und von diesem ursprünglich pinan genannt wurde. Die Umlautung der Schriftzeichen 平安 von pinan zu heian nahm Itosus Schüler, der Gründer des shōtōkan karate Funakoshi Gichin ca. 1930 vor.

Der Name heian

Die Bedeutung des Kata-Namens heian wird im Deutschen häufig mit „Frieden und Ruhe“ angegeben, was bei einem ersten Blick auf die entsprechenden Schriftzeichen plausibel ist: (pin) hat ein Spektrum von „ausgewogen, unparteiisch; eben, flach; friedlich; gewöhnlich, normal“, während (an) „friedlich“ oder „ruhig“ bedeuten kann. Das zuletzt genannte Zeichen erscheint übrigens auch im Vornamen des Gründers: Ankō 安恒. Ob sich Itosu bei der Namensgebung damit quasi selbst verewigen wollte, bleibt jedoch spekulativ. Die Kombination beider Zeichen eröffnet weitere Deutungsräume: das chinesische Kompositum 平安 wird píng ān gelesen und u.a. mit solchen Doubletten wie „gesund und munter“, „heil und gesund“ oder „sicher und störungsfrei“ wiedergeben. Im Japanischen bezeichnet die heian gelesene Zusammensetzung 平安 zudem eine geschichtliche Epoche, die sogenannte „Heian-Zeit“ (heian jidai, ca. 794-1185), deren Bezeichnung sich vom Namen der damaligen japanischen Hauptstadt Heian-kyō ableitet.

Geschichte der heian

Im Gegensatz zu vielen anderen kata des karate kann die Gründung der Heian-Serie recht konkret historisch bestimmt werden. Ihr Urheber ist der okinawanische Karate-Meister Itosu Ankō (1831-1915), der mit der von ihm angestrebten und letztlich auch erreichten Einführung des karate an okinawanischen Schulen und in der Lehrer-Ausbildung nach 1901 den ersten und wichtigsten Schritt zur Popularisierung der vormals im Verborgenen praktizierten Kampfkunst machte. Itosus Hauptargument bei den Behörden in diesem Verfahren (nachzulesen in seinem berühmten Brief an das japanische Kriegs- und Erziehungsministerium von 1908) war, dass die Übung des karate die Jugend hervorragend auf zukünftige militärische Einsätze vorbereite, indem es zur Körperausbildung und Gesunderhaltung beitrage sowie solche Tugenden wie Tapferkeit und geistige Stärke ausbilde. Daher erscheint eine Übersetzung der Kanji-Kombination in der ursprünglichen Lautung pinan mit „gesund und munter“ zumindest für die Entstehung der Formen-Serie plausibler als die mit „Frieden und Ruhe“, zumal sich Itosu trotz seiner japanophilen Attitüde offenbar für die an das chinesische píng ān klar anlautende Intonation pinan entschieden hat.

Erst mit dem Meister Funakoshi Gichin kam es zu einer Akzentverlagerung, als dieser sich im Zusammenhang mit mehreren anderen Umbenennungen von kata für die japanische Lautung heian und den damit verbundenen Implikationen an die geschichtsträchtige japanische Epoche entschied. Funakoshi erläutert in seinem Hauptwerk Karatedō kyōhan von 1935 die Gründe für die Umbenennung damit, dass einige der alten Kata-Namen in ihrem Bedeutungsgehalt nicht mehr verständlich und damit für unterrichtliche Zwecke ungeeignet seien. Weiterhin führt er aus, dass sich karate inzwischen zu einer absolut japanischen Kunst entwickelt habe und deshalb die Anklänge an die chinesischen Ursprünge in den alten Namen nicht mehr zeitgemäß seien. Somit ist diese Umbennenung im Kontext der bewusst herbeigeführten Japanisierung des Karate in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verstehen, die auch in anderen Bereichen chinesische und okinawanische Ursprünge des karate verwischte: Karate wurde nicht mehr mit den Zeichen für „Chinesische Hand“ (唐手) sondern mit denen für „Leere Hand“ (空手) geschrieben, es kam zur vereinheitlichenden Übernahme der Übungskleidung aus dem japanischen jūdō, des keikogi, weiterhin auch zur Übernahme des Jūdō-Graduierungssystems kyūdan. Aus heutiger Sicht ist diese Japanisierung ambivalent zu bewerten: einerseits verhalf sie der vormals im Verborgenen geübten Kampfkunst zu Popularität und bewahrte sie möglicherweise vor dem Vergessen. Andererseits erscheint das Negieren bzw. Verwischen ihrer chinesischen Wurzeln recht opportunistisch; dementsprechend wurde Funakoshis Wirken von einigen auf Okinawa verbliebenen Meistern sehr kritisch betrachtet.

Zu den Heian-Kata bemerkt Funakoshi in Karatedō kyōhan, dass sie am einfachsten zu erlernen seien und nahezu alle grundlegenden Stellungen und Techniken des karate beinhalteten, weshalb sie besonders für Anfänger geeignet seien, um in die Kunst des Karate hineinzufinden. Sofern man im Studium der heian einigen Fortschritt erlangt habe, sei diese Serie sehr für die „üblichen Formen der Selbstverteidigung“ (heijō no goshin, 常の護身) nütze und trage dementsprechend zu Selbstvertrauen bzw. einem in sich ruhenden Geist (anshin 心) bei. Die jeweils ersten Zeichen dieser Formulierungen ergeben den Namen heian.

Da es von Itosu keine überlieferten Äußerungen zur Quelle gibt, aus der er das technische Repertoire seiner fünf Formen schöpfte, bleibt der Karate-Forschung gegenwärtig nur der Weg der vergleichenden Analyse mit anderen, älteren kata, die Itosu und in der Folge auch Funakoshi übten und unterrichteten. So sind unter anderem sequenzielle Übereinstimmungen zwischen den Heian-Formen und der kankū, der bassai dai, der gangaku, der tekki sowie der jion zu bemerken.

Allgemeines zu Enbusen und Bewegungsstruktur der heian

Das Schrittdiagramm (enbusen) der Heian-Formen entspricht einem T bzw. Doppel-T in verschiedenen Variationen und eignet sich aufgrund dieser überschaubaren und leicht nachzuvollziehenden Struktur für die Ausbildung von Anfängern. Der Grad der Komplexität der Bewegungen steigt in der Form-Serie von der ersten kata heian shodan zur fünften heian godan an. Die heian kata beginnen alle mit einer 90 Grad nach links orientierten Auftaktsequenz, deren Techniken nach einer 180-Grad-Wendung seitenverkehrt wiederholt werden, was auch im Kata-Namen durch 平 „ausgewogen“) eine Entsprechung findet. Auch darüber hinaus sind die diese Formen von vielen Wiederholungen geprägt, sei es in der beschriebenen Art auf den Schmalseiten des enbusen oder als Dreifach-Wiederholungen auf dessen Längsbahnen, was ihren didaktischen Wert für den Anfängerunterricht unterstreicht.

Studien Informationen

Siehe auch: Kata | Karate-Kata | Kata-Liste (Karate) | Heian shodan | Heian nidan | Heian sandan | Heian yondan | Heian godan | Pinan | Itosu Ankō | Funakoshi Gichin

Literatur

  • Arnold Ursel: Die Heian Kata. Ein Studienbuch für Anfänger und Fortgeschrittene. Bensheim 2004.
  • Funakoshi Gichin: Karatedō kyōhan. 1935, San Diego 2005. (englisch)
  • Kanazawa Hirokazu: Shotokan Karate International. Kata (Vol.1). Tokyo 1981.
  • Lind Werner: Die klassische Kata. Geistige Herkunft und Praxis des traditionellen Karate. Bern, München, Wien 1995.
  • Nakayama Masatoshi: Nakayamas Karate perfekt. 5. Kata 1, Heian, Tekki. Niedernhausen 1981.
  • Henning Wittwer: Shōtōkan. Überlieferte Texte, historische Untersuchungen. Niesky 2007.

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