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Artikel von: Werner Lind<br.>Nachbearbeitet von:

(jap.: 方), Richtung und Raumorientierung.

Laut altchinesischen Vorstellungen hat die Welt vier Ecken, in deren Zentrum das chinesische Reich liegt (zhōngguó, 中國 / 中国 - Reich der Mitte). Der sich darin befindende Mensch hat ebenfalls eine Mitte (zhōng, jap. naka), aus der heraus er sich in alle weltlichen Himmelsrichtungen orientiert.

Diese klassische chinesische Philosophie der Richtungen und Raumorientierung wurde in allen ostasiatischen Kampfkünsten übernommen. Sie beruht auf dem Prinzip der „Mitte“, das jenseits der Kampfkünste auch weite Bereiche des ostasiatischen Lebens bestimmt. Im allgemeinen Verständnis empfindet sich der Mensch darin selbst als Mittelpunkt und organisierte sich, ausgehend von seinem persönlichen Zentrum, in allen Wirkungsweisen seines Lebens.

In Japan bezeichnet man die Mitte als naka, die sich im Bauch (hara) des Menschen befindet, aus der heraus er sich grundsätzlich in die Richtungen der vier Weltpole bewegt: nach vorn, zurück, nach links und nach rechts. Die gesamte Bewegungstheorie des budō ist auf diesem Prinzip aufgebaut. Der Übende konzentriert sich auf seinen Bauch (hara) und dessen Zentrum (tanden) und baut von dort ausgehend jede Technik und Bewegung auf.

Verbindet man die vier Weltpole mit Linien, entsteht ein einfaches Kreuz, das die grundlegenden Bewegungsmöglichkeiten des Menschen beschreibt: A - nach vorn (Norden); E - zurück (Süden); C - nach rechts (Osten); G - nach links (Westen). Im Japanischen bezeichnet diese Methode die vier Richtungen (shihō). Fügt man diesem Kreuz zwei diagonale Linien hinzu, ergeben sich vier weitere Bewegungsrichtungen: B - schräg vor nach rechts (Nordosten); H - schräg vor nach links (Nordwesten); D - schräg zurück nach rechts (Südosten); F - schräg zurück nach links (Südwesten). Die sich so ergebenden Möglichkeiten werden im Japanischen als happō (acht Richtungen) bezeichnet.

Der Begriff happō symbolisiert gleichermaßen ALLE Bewegungsrichtungen. In der kata steht er für alle möglichen Angreifer (Aussagen wie „...die kata lehrt den Kampf gegen unzählige Gegner“ zielen auf den Begriff happō). Eine weitere numerische Differenzierung für die in der Praxis des kihon, der kata und vor allem im kumite durchaus existierenden weiteren Zwischenrichtungen wird nicht standardisiert. Ihre Verwendung liegt im systemunabhängigen intuitiven Anpassen des Übenden an die real existierenden Gegebenheiten.

Im Zentrum des Bewegungskreuzes (kiten) steht der Mensch aufmerksam, mit aufrechter Gestalt und mit beiden Beinen verwurzelt auf dem Boden. Der verwurzelte Stand (yōi shizentai) entspricht im philosophischen Sinn seinem Unterworfensein unter die Gesetze der Natur (Werden und Vergehen). Die aufrechte Haltung bezeichnet sein Bemühen, sich zur unabhängigen Individualität zu entwickeln. Über sein psychophysisches Zentrum (hara) verwirklicht er das Gleichgewicht zwischen diesen sich grundlegend widersprechenden, aber auch gegenseitig bedingenden Lebenspole (yin / yang). Er ist bereit, sein Leben anzunehmen und zu bewältigen. In der Übung des karate dō bezeichnet man dies allgemein als Haltung der Bereitschaft (yōi).

Auf dieser Grundlage beruht schließlich auch das enbusen (Bodenlinien), in dem das Prinzip in den kata der Kampfkünste angewendet wird. Die kata muss auf demselben Punkt enden (kiten), auf dem sie beginnt: „Was immer geht, kommt auch zurück“, sagte Meister Funakoshi. „Im ewigen Prozess des Werdens und Vergehens geht nichts verloren, das eine entsteht aus dem anderen im vollkommenen Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen, im ewigen Rhythmus der Natur, in dem alles gebunden ist. Der Anfang ist das Ende, und das Ende ist der Anfang.“

Diese Philosophie ist die Grundlage zur Entwicklung und Verwendung des Karategramm im karate. Wie in Folge erläutert bezeichnet es das Richtungssystem aller Bewegungen in der Übung des karate und wird auf vielfältige Weise verwendet.

Studien Informationen

Siehe auch: Hara | Karate | Karategramm | Enbusen | Kata | Kihon

Literatur

Weblinks