Ishin denshin

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Artikel aus: Lexikon der Kampfkünste<br.>Nachbearbeitet von: Werner Lind

Die japanische Wendung ishin denshin (以心伝心) bezeichnet eine bestimmte Form der zwischenmenschlichen Begegnung, die von gegenseitigem Verständnis ohne wortreiche Erläuterungen geprägt ist.

Übersetzung

Für das zweimal erscheinende kanjishin (kokoro) werden im Deutschen häufig die Bedeutungen „Herz“ oder „Geist“ angegeben. Beide sind für sich genommen unzulänglich, da das Bedeutungsspektrum von shin sowohl verschiedene Qualitäten intuitiver Selbst- und Umweltwahrnehmung als auch das resultierende umfassende Bewusstsein und Erkenntnisvermögen eines Menschen beinhaltet, weshalb das Zeichen hier mit „Herzgeist“ übertragen wird. Ishin 以心 bedeutet „mit dem Herzgeist“, denshin 伝心 „den Herzgeist übermitteln“, so dass die Wendung mit „Mit dem Herzgeist den Herzgeist übermitteln“ wiederzugeben ist. Häufig wird auch etwas freier mit „Von Herzgeist zu Herzgeist übermitteln“ übersetzt.

Ursprung im Zen-Buddhismus

Ursprünglich ist ishin denshin ein Prinzip in der religiösen Lehre des Zen-Buddhismus und wird heute auf die so genannte Plattform-Sutra des sechsten Dharma-Vorfahren (六祖壇経) zurückgeführt, die Huì Néng 慧能 (jap. Enō, Lebenszeit ca. 638-713) zugeschrieben wird. Es bezeichnet - auch mit dem Synonym 以心印心 (yǐxīn yìnxīn, „Den Herzgeist mit dem Herzgeist siegeln“) - die Übertragung der Lehre (dharma) vom Meister auf den Schüler jenseits rationaler Erkenntnisprozesse.

Alltagssprachliche Verwendung

Im Alltag steht die Formulierung ishin denshin für das, was wir im Deutschen mit solchen Ausdrücken wie „blindes Verständis“ oder „Gedankenübertragung“ meinen. Ebenso ist ishin denshin eine mögliche Übersetzung für „Telepathie“. Auch in der japanischen Geschäftswelt ist der Begriff präsent, wo er dafür steht, bei Verhandlungen die eigentlichen Wünsche des Geschäftspartners auch ohne ausdrückliche Verbalisierung erfassen zu können.

Ishin denshin im budō und Parallelen in europäischen Künsten

In den japanischen Kampfkünsten (budō) steht ishin denshin in Anlehnung an den buddhistischen Ursprung der Wendung für die Vermittlung einer Lehre jenseits jeglicher verbaler Kommunikation durch einen Meister, der selbst auf dem Weg ist. „Nicht das, was er sagt, zeigt oder sonstwie vermittelt, sondern seine Anwesenheit als solche ist die Lehre. Seine persönliche Nähe zum Schüler ermöglicht es, das was budō ist, intuitiv zu verstehen und in sich selbst wachsen zu lassen.“ (Werner Lind). Diese Nähe bedarf eines Wachstums, eines Einander-Kennenlernens über einen längeren Zeitraum, in dem der Schüler vom Außen zum Innen eines Meisters gelangen kann, wenn er ihm offen begegnet. So wird ein Schüler bestimmte vergangene oder gegenwärtige Handlungen seines Lehrers erst in dieser Phase - eben als innerer Schüler (uchi deshi) - in ihren tiefen Dimensionen verstehen können, nämlich dann, wenn er zur Einsicht gelangt ist, dass jegliches Handeln des Meisters Unterweisung ist, ganz gleich ob es sich verbal oder nonverbal vollzieht. „Klebt“ er dagegen noch am Wortlaut dessen, was der Meister (z.B. in einem mondō) sagt oder schreibt, hat er den entscheidenden Schritt noch nicht vollzogen.<br.> Dass dieses Prinzip kein ausschließlich asiatisches, sondern ein allgemeinmenschliches ist, zeigen letzte Spuren meisterlicher Vermittlung von Kunst in Europa. So kennt man etwa in der Malerei, der Musik oder im Tanz noch solche Begriffe wie „Meisterklassen“ oder „Meisterschüler“. Kai van Eikels schreibt dazu: „Das Meisterliche behauptet gerade insofern seine Wirksamkeit, als das Medium des Textes als Vermittlungsraum zwischen Begriff und Anschauung hier niemals die Dominanz erreichen konnte wie in der Wissenschaft. Weder die Anschaulichkeit noch die Begrifflichkeit der Darstellung haben sich völlig in die Ordnung des Textuellen integrieren lassen (das komplexe Problem der Notation etwa im Tanz ist ein Zeugnis dafür). Die Unterweisung durch den Meister beharrt offenbar vom Anfang bis zum Ende auf einem „Von-Angesicht-zu-Angesicht“ des Wissens, indem die Asymetrie zwischen Meister und Schüler sich in konkreten Akten eines weder intellektuell-begrifflich noch sinnlich-anschaulich isolierbaren Zu-Wissen-Gebens verwirklicht.“

Studien Informationen

Siehe auch: Oshi | Mondō | Wegübung im BSK

Literatur

  • Werner Lind: Budo. Der geistige Weg der Kampfkünste. Bern, München, Wien 1992, u.a. S.161f
  • Kai van Eikels: Meisterschaft. Von den Wissenshandlungen zu den Evidenztechniken und weg vom Geliebten. in: Peters, S. und Schäfer, M. J. (Hrsg.): „Intellektuelle Anschauung“. Figurationen von Evidenz zwischen Kunst und Wissen. Bielefeld 2006 (S.326)

Weblinks