Jion: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 19. Oktober 2010, 06:47 Uhr

Artikel erstellt von: Hendrik Felber

Der Begriff Jion (慈恩) bezeichnet eine Bewegungsform (kata) des okinawanischen und japanischen karate, die je nach Ausführungsart 45 bis 47 Bewegungen beinhaltet. Man übt sie unter anderem im kobayashi shōrin ryū (Kyūdōkan), shōtōkan ryū (Shōtōkan), wadō ryū () und shitō ryū ().


Der Name "Jion"

Die Bedeutung des Kata-Namens Jion wird im Deutschen häufig mit "Liebe und Gnade" oder mit "Tempelklang" angegeben. Die Gründe für diese Differenz erhellt ein Blick auf die japanische Schreibweise von Jion.

Liebe und Gnade

Bis auf wenige Ausnahmen wird der Name so dargestellt: 慈恩. Das erste Kanji hat ein Bedeutungsspektrum von 'Liebe, Zärtlichkeit, Zuneigung, Erbarmen, Mitleid' und ist ein Kompositum aus den Graphemen 茲 ('zartes, junges Gras', metaphorisch für 'heranwachsen') und 心 ('Herz'). 慈 ist also die vom Herz ausgehende Qualität, die einem Heranwachsenden, Aufstrebenden zuteil wird. Das zweite Kanji kann ebenfalls 'Liebe' und 'Mitleid' bedeuten, aber auch 'Gnade, Gunst, Güte oder Wohlwollen'. Es beinhaltet ebenfalls das Radikal 心 ('Herz'), darüber aber das Zeichen 因, das eine Schlafstatt mit einer darauf liegenden Person darstellt. Letzteres steht dann im übertragenen Sinne für 'beruhen auf'. Zusammenfassend gesagt steht 慈恩 für ein Verhältnis zu einem Heranwachsenden, das von solchen 'herzlichen' Qualitäten wie Liebe, Zärtlichkeit, Güte, Wohlwollen, Erbarmen und Mitleid geprägt ist. In Japan und China hat 慈恩 aber nicht nur einen zwischenmenschlichen, sondern auch einen religiösen Aspekt. Im äußerst populären Amida-Buddhismus wird diese Kanji-Kombination verwendet, um die mitfühlenden Segnungen des Buddha Amida (Buddha des unermesslichen Lichtglanzes) zu benennen. Im Gegensatz zu anderen buddhistischen Strömungen steht im Amida-Buddhismus der Glaube an eine höhere Macht, das Vertrauen in die Allgüte des Buddha Amida (Amitabha) im Mittelpunkt der Lehre. Daher steht 慈恩 als Begriff nicht nur für eine elterliche Liebe zum Kind, sondern auch das Glaubensideal einer göttlichen Liebe zum Menschen. Mehrere buddhistische Tempel sind diesem Ideal verpflichtet und benennen sich entsprechend 'Jion-Tempel' (Jion-ji 慈恩寺), wie zum Beispiel der Tempel in Sagae. Auch in China sind buddhistische Tempel mit diesem Bennungsmotiv bekannt, etwa der 'Tempel des großen Mitgefühls' (大慈恩寺, Dàcíēn sì) in Xī'ān. <br.> Der Karatemeister Funakoshi Gichin führt in seiner Schrift Karatedō Kyōhan aus dem Jahr 1935 den Namen der Karate-Form auf einen ebensolchen Tempel zurück, wenn er schreibt: Der Name Jion erscheint in einem alten chinesischen Dokument. Es gab einen Tempel namens Jion und einen gleichnamigen großartigen Mönch. Offenbar muss die Form von jemandem überliefert worden sein, der in irgendeiner Weise eine Beziehung zum Jion-Tempel hatte.

Klang der Liebe vs. Tempelklang

Sakagami Ryūshō verwendet in seinem Werk Karatedō-Kata-Taikan (Enzyklopädie der Karate-Kata) von 1978 an zweiter Stelle ein noch anderes Kanji bei der Schreibung von Jion:音. Dieses bedeutet 'Klang', wodurch sich für die Kombination 慈音 als Bedeutung 'Klang der Liebe' ergibt. Fasste man dabei das erste Zeichen als Abkürzung für 慈恩寺 ('Jion-Tempel') auf, so ließe sich auch vom oben erwähnten 'Tempelklang' sprechen. Die direkte Kombination von 寺 (ji - Tempel) und 音 (on - Klang) ist jedoch zur Bezeichnung des Kata-Namens im Japanischen nicht üblich.

Geschichte der Jion: Fakten, Indizien, Mutmaßungen

Über die Herkunft der Form ist heute wenig bekannt. Der bereits oben zitierte Meister Funakoshi Gichin führt die kata bereits in seinen ersten Werken Ryūkyū kenpō karate (1922) und Rentan goshin karate jutsu (1925) mit Beschreibungen des formalen Ablaufs und wenigen Illustrationen auf. Obwohl in diesen Büchern andere Formen bereits mit bedeutungstragenden Schriftzeichen benannt werden, fehlen solche bei der Jion, deren Name nur mit der lauterklärenden Silbenschrift Katakana als ジオン angegeben wird. Gleiches geschieht in der ersten vollständig illustrierten Darstellung der Jion im Buch Karate Kenpo des Funakoshi-Schülers Mutsu Mizuho aus dem Jahr 1933. Erst 1935 verwendet Funakoshi in Karatedō Kyōhan die Kanji 慈恩, die gleichen übrigens, die dann auch Hanashiro Chōmo für eine zweite vollständig illustrierte Darstellung des Jion-Ablaufs benutzt, die 1938 in dem Sammelband Karatedō Taikan (herausgegeben von Nakasone Genwa) erscheint und einige signifikante technische Unterschiede zu der Version Funakoshis aufweist. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass Funakoshi und Hanashiro mit Itosu Ankō den gleichen Hauptlehrer hatten. Ob diese unterschiedlichen Versionen der Lehre verschiedener Meister entstammen oder aber lediglich auf die individuelle Interpretationen Hanashiros und Funakoshis zurückzuführen sind, bleibt gegenwärtig ungeklärt. Allen, auch späteren Varianten gemeinsam ist jedoch die typische chinesische Grußhaltung, jiai no kamae zu Beginn und am Ende der kata, bei der die linke Hand die rechte Faust umschließt und bei abgewinkelten Armen in Brusthöhe gehalten wird. Dieses Indiz und eine Reihe weiterer technischner Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten führten zu den Annahme, dass die kata Jion mit den Formen Jitte (Jutte) und Jiin verwandt sei oder dass alle drei kata unterschiedliche Ausprägungen von ein und derselben Form seien. Im Übrigen ist das Bedecken der rechten Hand mit der linken auch in anderen Formen wie etwa Bassai oder Enpi (Wanshu), die heute wie die "Ji-Kata" dem Tomari te zugeordnet werden, zu beobachten. Insofern könnte Jiai no kamae auch auf eine weniger entfernte geographische Zuordnung hindeuten.

Enbusen und Bewegungsstruktur der Jion

Das Schrittdiagramm (enbusen) der Jion ähnelt als eine Art Doppel-T dem der ersten beiden Heian kata, es wird jedoch im Unterschied zu diesen zweimal durchlaufen. Eine weitere Parallele zu den Heian-Formen ist, dass auf den 'Schmalseiten' des enbusen mehrmals eine Technikfolge zunächst nach links und dann in gleicher Abfolge nach rechts ausgeführt wird,während auf drei von vier Längsbahnen die gleiche Technik(-folge) mit je einem Vorwärtsschritt dreimal wiederholt wird. Die Bewegungen der Form sind im Vergleich zu anderen kata der mittleren und höheren Fortschrittsstufen weniger komplex und recht geradlinig. Zusammenfassend kann man sagen, dass die kata einen recht ausgewogenen Charakter hat. Funakoshi ordnet die Jion der Gruppe des shōrei ryū zu, was sich bei ihm keinesfalls mit der geographischen Herkunft aus dem naha te sondern vielmehr mit den körperlichen Anforderungen an den Ausübenden begründet. In Karatedō Kyōhan schreibt er, dass die Shōrei-Formen die physische Stärke und die Muskelkraft betonen, im Gegensatz zu denen des shōrin ryū, deren Übungsziele er eher in der Schnelligkeit und Beweglichkeit sieht.

Technische Merkmale der Jion - Shōtōkan und Hanashiro im Vergleich

  • Typisch für die Jion ist die beidarmige Auftaktbewegung aus jiai no kamae zu kosa uke bzw. kosa kamae, d.h. also dass wie in der Form Heian sandan gleichzeitig mit dem rechten Arm uchi ude uke und mit dem linken Arm gedan barai ausgeführt wird, während der linke Fuß aus heisoku dachi zu zenkutsu dachi zurücksetzt. Im Gegensatz zu dieser recht frontalen Ausrichtung im Shōtōkan-Stil lässt sich der defensive Charakter dieser Bewegung bei Hanashiros Form deutlicher ablesen. In dieser wird eine rückwärtige und im Oberkörper abgedrehte Position eingenommen, während die Arme den Kopf und den Unterleib schützen.
  • Hanashiro wechselt darauf mit einem Schritt 45 Grad nach links in eine deutlich offensivere Kampfposition (tasuna kamae - Zügelhaltung), aus der der hintere Fuß nach vorn getreten und anschließend aufgestampft wird, worauf zwei Fauststöße folgen. Der zweiten Bewegung der Shōtōkan-Form kakiwake uke ist der beschriebene Wechsel in der taktischen Ausrichtung nur noch wenig zu anzumerken. In dieser Version wird das vorwärtsdrängende Aufstampfen weniger betont, statt dessen erfolgt ein dritter Fauststoß. Diese Sequenz aus vier Bewegungen wird 45 Grad nach rechts wiederholt. Dass die Haltung tasuna kamae ein wichtiges Konzept der kata darstellt, beweist ihr drittes Auftreten im weiteren Verlauf der Form. Die entsprechende Parallele ist in der Shōtōkan-Kata durch die Verfremdung zu morote uchi uke nahezu unkenntlich geworden.
  • Ähnliche Abwandlungen sind z.B. gedan jūji uke in kosa dachi, ursprünglich zwei parallel ausgeführte Fausstöße oder otoshi uke nach fumikomi, ursprünglich eine Abwehr zur Seite, ähnlich soto uke. Während im Shōtōkan ryū zum Schluss zweimal yumi zuki (Bogen-Stoß) ausgeführt wird, bei dem eine Hand zieht und die andere stößt, werden bei Hanashiro beide Hände in die gleiche Richtung gestoßen, ähnlich wie der Form Naihanchi (Tekki).
  • Grundsätzlich ist die Hanashiro-Form durch mehr Körperverlagerungen nach vorn/hinten bzw. oben/unten sowie mehr Rumpfrotationen gekennzeichnet und wirkt dadurch insgesamt kämpferischer als die Shōtōkan-Version. Die Hanashiro-Variante wird noch heute mit wenigen Abwandlungen im Kobayashi Shōrin ryū des Kyūdōkan geübt, das von Higa Yuchoku (1910–1994), einem Schüler von Chibana Chōshin gegründet wurde.

Studien Informationen

Siehe auch: Kata | Karate-Kata | Karate-Kata (Liste) | Jitte | Jiin | Hanashiro Chōmo

Literatur

  • Funakoshi, Gichin - Ryukyu Kenpo Karate, 1922 (Reprint)
  • Funakoshi, Gichin - Rentan Goshin Karate jutsu, 1925, engl. Tokyo 2001
  • Funakoshi, Gichin - Karatedo Kyohan, 1935, engl. San Diego 2005
  • Habersetzer, Roland - Koshiki Kata. Die klassischen Kata des Karatedo. Chemnitz 2005
  • Hanashiro, Chomo - Die Form Jion und die zugehörige Erläuterung. aus: Nakasone Genwa (Karatedo Taikan, 1938). Übersetzung und Nachwort von Hendrik Felber (Steina 2007)
  • Kanazawa, Hirokazu - Shotokan Karate international. Kata (vol.2), 1982
  • Lind, Werner - Die klassische Kata. Geistige Herkunft und Praxis des traditionellen Karate. Bern, München, Wien 1995
  • Mutsu, Mitsuho - Karate Kenpo, 1933 (Reprint)
  • Nakayama, Masatoshi - Nakayamas Karate perfekt 8. Gangaku, Jion. Niedernhausen 1990
  • Sakagami, Ryusho - Karatedo Kata Taikan, 1978
  • Takamiyagi Shigeru, Shinzato Katsuhiko, Nakamoto Masahiro [Autoren und Herausgeber] - Okinawa Karate Kobudo jiten [Lexikon des okinawanischen Karate und Kobudo]. Tokyo 2008.
  • Wittwer, Henning - Shotokan. Überlieferte Texte, historische Untersuchungen. Niesky 2007

Weblinks

  • Redmond, Rob - Kata. The Folk Dances of Shotokan.[1]
  • Jion (Kyūdōkan) von Higa Minoru [2]
  • Jion (Shōtōkan) von Kanazawa Hirokazu [3]
  • Jion (Wadō) von Suzuki Tatsuo [4]
  • Jion (Shitō) [5]