Jiyū kumite: Unterschied zwischen den Versionen

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K (Die Angst vor Kampfübungen)
(Dōraku 道楽 – das Spielen auf dem Weg)
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== Dōraku 道楽 – das Spielen auf dem Weg ==
 
== Dōraku 道楽 – das Spielen auf dem Weg ==
Im zen gibt es den Begriff dōraku (Spielen auf dem Weg). Die direkte Übersetzung von dōraku lautet „Weg-Genuss“ und bezeichnet ein leichtes Zusammenspiel zweier Partner mit Kampftechniken in freier Bewegung. Sie werden im Training nicht gegeneinander, sondern miteinander geübt. Dadurch ermöglichen sie dem Übenden, sein technisches Potenzial zu erhöhen, indem er gefahrlos neue Techniken und Kombinationen lernen und testen kann. Im karate kann dies am besten im renshū kumite geübt werden.
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Im ''[[zen]]'' gibt es den Begriff ''dōraku'' („Spielen auf dem Weg“). Die direkte Übersetzung von ''dōraku'' lautet „Weg-Genuss“ und bezeichnet ein leichtes Zusammenspiel zweier Partner mit Kampftechniken in freier Bewegung. Sie werden im Training nicht gegeneinander, sondern miteinander geübt. Dadurch ermöglichen sie dem Übenden, sein technisches Potenzial zu erhöhen, indem er gefahrlos neue Techniken und Kombinationen lernen und testen kann. Im ''[[karate]]'' kann dies am besten im ''renshū kumite'' geübt werden.
  
 
Der Zen-Meister Reibun Yūki greift das Thema in einer eigenen Abhandlung auf, in der er sich auf die Philosophie von Takuan bezieht und diese am Beispiel des Schwertmeisters Miyamoto Musashi wiedergibt:
 
Der Zen-Meister Reibun Yūki greift das Thema in einer eigenen Abhandlung auf, in der er sich auf die Philosophie von Takuan bezieht und diese am Beispiel des Schwertmeisters Miyamoto Musashi wiedergibt:
  
„Miyamoto Musashi, der große Meister des Schwertes, nannte sich selbst niten dōraku, was wörtlich „Liebhaber in zwei Himmeln“ bedeutet. Das Wort dōraku (Weg-Genuss) mag wohl die Gemütsverfassung andeuten, die er als Meister besaß. Diese Stufe des „Spielens auf dem Wege“, dieser Gemütszustand des Weg Genusses, heißt im Buddhismus auch hōraku (Dharma-Genuss) oder yugesammai (samadhi des Spiels).
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„Miyamoto Musashi, der große Meister des Schwertes, nannte sich selbst niten dōraku, was wörtlich „Liebhaber in zwei Himmeln“ bedeutet. Das Wort ''dōraku'' (Weg-Genuss) mag wohl die Gemütsverfassung andeuten, die er als Meister besaß. Diese Stufe des „Spielens auf dem Wege“, dieser Gemütszustand des Weg Genusses, heißt im [[Buddhismus]] auch ''hōraku'' (Dharma-Genuss) oder ''yugesammai'' (''samadhi'' des Spiels).
  
Die Kunst des Meisters geht über alles absichtsvolle Wollen und alles mühevolle Streben hinaus. Sie ist zu einem natürlichen Genuss geworden. So ist auch das Kreuzen der Klingen zwischen Meistern kein „Kampf“ mehr. Hier sind zwei Menschen in einem Reich miteinander verschmolzen, in das sie beide eingegangen sind. Zwei Menschen stehen sich gegenüber. Aber eigentlich sind es „Nicht-Zwei“, denn da ist kein „Selbst“ und kein „Anderer“ (jitafuni - Selbst-Anderer / Nicht-Zwei). Die zwei Meister sind in ihrer Bewegung nur zwei Wirkensweisen eines Wesens. Sie verkörpern das wunderbare Bild der sich für alle Zeiten im samadhi ihres Spieles befindlichen unwandelbaren großen Wahrheit des Alls, und sie offenbaren darin die Stufe des natürlichen Dharma-Genusses. Die Wahrheit, die sich sichtbar ausdrückt und sich selbst genießt - das ist die Sphäre, in der Meister sich bewegen, wenn sie ihre Klingen kreuzen.“
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Die Kunst des Meisters geht über alles absichtsvolle Wollen und alles mühevolle Streben hinaus. Sie ist zu einem natürlichen Genuss geworden. So ist auch das Kreuzen der Klingen zwischen Meistern kein „Kampf“ mehr. Hier sind zwei Menschen in einem Reich miteinander verschmolzen, in das sie beide eingegangen sind. Zwei Menschen stehen sich gegenüber. Aber eigentlich sind es „Nicht-Zwei“, denn da ist kein „Selbst“ und kein „Anderer“ (''jitafuni'' - Selbst-Anderer / Nicht-Zwei). Die zwei Meister sind in ihrer Bewegung nur zwei Wirkensweisen eines Wesens. Sie verkörpern das wunderbare Bild der sich für alle Zeiten im samadhi ihres Spieles befindlichen unwandelbaren großen Wahrheit des Alls, und sie offenbaren darin die Stufe des natürlichen Dharma-Genusses. Die Wahrheit, die sich sichtbar ausdrückt und sich selbst genießt - das ist die Sphäre, in der Meister sich bewegen, wenn sie ihre Klingen kreuzen.“
  
Die persönliche Art des kumite ist letztendlich ein Ausdruck der innermenschlichen Beschaffenheit und der Bekenntnis zum Budō-Prinzip. Entwickelt sich kumite aus einem unüberwundenen Ego, stehen Prestige, Geltungsdrang und Selbstsucht im Vordergrund. In diesem Fall neigt der Übende dazu, sich darzustellen, sich zu profilieren und vor anderen gut auszusehen. Doch in dieser Ego-Haltung ist im budō weder Fortschritt noch Lernen möglich. Deshalb müssen Budō-Schüler zunächst die dōjōkun achten und sich zur Dōjō-Etikette bekennen. Kein echter sensei würde einem Schüler erlauben, das dōjō mit einer unkontrollierten Ego-Haltung zu betreten.
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Die persönliche Art des ''[[kumite]]'' ist letztendlich ein Ausdruck der innermenschlichen Beschaffenheit und der Bekenntnis zum Budō-Prinzip. Entwickelt sich ''kumite'' aus einem unüberwundenen Ego, stehen Prestige, Geltungsdrang und Selbstsucht im Vordergrund. In diesem Fall neigt der Übende dazu, sich darzustellen, sich zu profilieren und vor anderen gut auszusehen. Doch in dieser Ego-Haltung ist im ''[[budō]]'' weder Fortschritt noch Lernen möglich. Deshalb müssen Budō-Schüler zunächst die ''[[dōjōkun]]'' achten und sich zur Dōjō-Etikette bekennen. Kein echter ''[[sensei]]'' würde einem Schüler erlauben, das ''dōjō'' mit einer unkontrollierten Ego-Haltung zu betreten.
  
Wird kumite als Übungsmethode in der rechten Haltung geübt, hilft es dem Menschen, sich in Selbstverteidigungssituationen hineinzudenken. Wenn die Übung frei vom Ego ist, helfen sich die Übungspartner gegenseitig und verzichten auf eine feststellbare Rangordnung. Nur auf diese Weise wird karate zu einer gesellschaftsdienlichen und persönlichkeitsbildenden Kunst.
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Wird ''kumite'' als Übungsmethode in der rechten Haltung geübt, hilft es dem Menschen, sich in Selbstverteidigungssituationen hineinzudenken. Wenn die Übung frei vom Ego ist, helfen sich die Übungspartner gegenseitig und verzichten auf eine feststellbare Rangordnung. Nur auf diese Weise wird ''karate'' zu einer gesellschaftsdienlichen und persönlichkeitsbildenden Kunst.
  
Im klassischen budō gibt es vielfältige Übungskämpfe, jedoch keinen Wettkampf. Die Lehre des budō strebt nach der Vervollkommnung des Selbst durch die Überwindung des Ich, der Wettkampfgedanke fördert das Ich. Daher ist Wettkampf und budō ein Widerspruch in sich selbst.
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Im klassischen ''budō'' gibt es vielfältige Übungskämpfe, jedoch keinen Wettkampf. Die Lehre des ''budō'' strebt nach der Vervollkommnung des Selbst durch die Überwindung des Ich, der Wettkampfgedanke fördert das Ich. Daher ist Wettkampf und ''budō'' ein Widerspruch in sich selbst.
  
Im Bereich des Technischen kann man jiyū kumite in mehrere Übungsmethoden einteilen. Im Folgenden sind sie beschrieben:
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Im Bereich des Technischen kann man ''jiyū kumite'' in mehrere Übungsmethoden einteilen. Im Folgenden sind sie beschrieben:
  
 
== 1. Renshū Kumite 練習組手 ==
 
== 1. Renshū Kumite 練習組手 ==

Version vom 13. Mai 2014, 19:09 Uhr

Artikel von: Werner Lind<br.>Nachbearbeitet von:

Der Begriff jiyū kumite (jap.: 自由組手) bezeichnet die freie Partnerübung mit uneingeschränkten Techniken zwischen zwei Übenden. Greift ein Gegner aus freier Deckung und Distanz ohne Absprachen mit einer frei gewählten Technik oder Kombination an und sein Gegenüber hat die uneingeschränkte Wahl seiner Handlungsweisen, nennt man diese Übungsform jiyū kumite.<br.>Im übertragenen Sinn bedeutet jiyū kumite „freies Kämpfen“. Neben yakusoku kumite (abgesprochenes Kämpfen) ist jiyū kumite die zweite große Gruppe der Kampfübungen im karate. Es dient der Übung des freien Verhaltens gegenüber einem angreifenden Gegner, schult die Reflexe und die Entscheidung in Bezug auf die Möglichkeiten des Konterns.

Methoden des Jiyū kumite

1. Renshū Kumite - Übungsmethoden des Kumite für budō und Sport

Renshū kumite bedeutet „Übungskampf“. Diese Methode ist in allen klassischen Richtungen des karate sehr beliebt und kann auf zwei Weisen ausgeführt werden:

· Tanshiki kumite

Tanshiki kumite ist ein freier, aber eingeschränkter Übungskampf, in dem der sensei Aufgaben stellt: z.B. einer greift nur an, der andere wehrt nur ab, oder einer verwendet nur Fußtechniken, der andere nur Fausttechniken.

· Shizen kumite

Shizen kumite bedeutet „natürliches Kämpfen“ und bezeichnet die vielfältigen Methoden des Freikampfes in einem dōjō. Dies ist ein Übungskampf, in dem es keine Regeln gibt. Die Partner müssen sich aufeinander einstellen und selbst herausfinden, wie sie voneinander lernen und sich gegenseitig verbessern können. Shizen kumite ist uneigennützig - es geht nicht ums Gewinnen, sondern ums Lernen.

2. Shōbu Kumite - Wettkampfmethoden des Kumite

Shōbu bedeutet „Spiel“ (wörtlich: „Sieg oder Niederlage“) und bezeichnet im karate alle Kampfübungen mit der Absicht des Gewinnens. Diese Übungen werden als Vorbereitungen oder im Wettkampf selbst verwendet:

· Shiai kumite

Partnerkampf nach Wettkampfregeln (wörtlich: „sich gemeinsam erproben“), sowohl im Wettkampf als auch im dōjō.

· Kyōgi kumite

Wörtlich: „in der Technik wetteifern“. Direkte Bezeichnung für den Wettkampf.

· Bogū kumite

Bogū kumite bezeichnet den Übungs- und Wettkampf mit Schutzausrüstungen (bogū) aller Art.

3. Jissen Kumite – Realistisches Kämpfen

Methoden der Übung

Die Methoden des jiyū kumite unterscheiden sich vom Sport zum budō erheblich. Sport ist Spiel, budō ist Selbstverteidigung. Daher kann man beide Methoden nicht miteinander vergleichen, selbst dann nicht, wenn sie dasselbe Technikpaket verwenden. Wir machen weiter unten verschiedene Unterschiede deutlich:

· Jiyū kumite im Sport – Im Sport-Karate beschränken sich die Freikampfübungen auf die Verwendung der atemi. Selbst diese sind wegen der hohen Verletzungsgefahr soweit reduziert, dass z. B. keine offenen Handtechniken (kaishu) oder Fingertechniken (nukite) verwendet werden. Durch diese Einschränkungen reduziert sich nicht nur das Technikpaket sondern sämtliche Anwendungslehren aus den kata (ōyō), die hauptsächlich auf Techniken, Taktiken und Stimulationen sensibler Punkte aus der nahen Distanz beruhen. Durch die Gründung der Wettkampfmethoden hat das moderne karate den Kontakt zu seinen kata verloren.

In nahezu allen dōjō der Welt wird heute dieses System unterrichtet. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob Wettkampf betrieben wird oder nicht. Entscheidend ist, welches System die Übenden im Alltag trainieren, wie sie unterrichtet, und wohin sie orientiert werden.

Es ist ein Unterschied, ob man im Wettkampf einen Gegner nach Punkten besiegen oder in einer Selbstverteidigungssituation überleben will. Das sportliche Training bedient den ersten Punkt, hat aber zur Selbstverteidigung keine Antworten. Selbst dann nicht, wenn Selbstverteidigungstechniken zusätzlich unterrichtet werden.

· Jiyū kumite im Budō – Im Training des budō definiert sich jiyū kumite als eine Übung für die Selbstverteidigung. Auf der Grundlage der kata ōyō wird das gesamte technische, taktische und vitalpunktstimulierende Paket durch die alltäglichen Trainings zu einem ganzheitlichen Konzept entwickelt, in dem sich vieles vom sportlichen System unterscheidet. Im dritten Teil des Buches gehen wir ausführlich darauf ein.

Die Angst vor Kampfübungen

Jiyū kumite ist sowohl in den klassischen dōjō als auch in den Wettkampfschulen eine wichtige und unverzichtbare Übung. Viele Übende haben jedoch Angst davor, weil sie in den Dōjō-Kämpfen der Willkür der Fortgeschrittenen ausgesetzt sind und in den Partnerübungen verletzt oder gedemütigt werden. Hier versagt eindeutig der Lehrer.

Die Kampfübungen sind Partnerübungen, wie alle anderen auch und gehören in das Grundkonzept des karate. Zugleich sind sie eine Wissenschaft, die vom Lehrer korrekt unterrichtet, gelenkt und in die Trainingsprozesse integriert werden muss. Jiyū kumite ist kein Ego-Kämpfen, sondern eine Übung, durch die sich wertvolle Aspekte für das Verhalten im Freikampf und in der Selbstverteidigung entwickeln lassen.

Jiyū kumite wird über seine Übungsmethoden von einfach zu schwierig hin entwickelt und unterliegt einem genau definierten Lernprozess. Ein guter Lehrer lenkt das freie Kämpfen zunächst spielerisch auf den Weg einer sinnvollen Übungsmethode. Gewiss müssen Übende sich dabei anstrengen und selbst dann der Versuchung zum Nachlassen widerstehen, wenn sie des Kämpfens überdrüssig werden. Eine Kampfkunst zu üben bedeutet die Methoden und Prinzipien des Kämpfens zu verstehen.

Dazu sagt der Zen-Meister Reibun Yūki: „...solange Übende nur durch die Motivation des Lehrer in der Übung gehalten werden, zeugt dies davon, dass sie den „Weg“ (dō) nicht verstanden haben. Wird der Weg ihnen zu eigen, dann gesellt sich zu ihrer Anstrengung auch der Weg-Genuss (dōraku). Dies ist ein Vorzeichen großen Erreichens für den Fortschritt. Wenn all dies zur inneren Notwendigkeit geworden ist, dann ist die Stufe des Meisters erreicht, und alles ist hōraku.“

Dōraku 道楽 – das Spielen auf dem Weg

Im zen gibt es den Begriff dōraku („Spielen auf dem Weg“). Die direkte Übersetzung von dōraku lautet „Weg-Genuss“ und bezeichnet ein leichtes Zusammenspiel zweier Partner mit Kampftechniken in freier Bewegung. Sie werden im Training nicht gegeneinander, sondern miteinander geübt. Dadurch ermöglichen sie dem Übenden, sein technisches Potenzial zu erhöhen, indem er gefahrlos neue Techniken und Kombinationen lernen und testen kann. Im karate kann dies am besten im renshū kumite geübt werden.

Der Zen-Meister Reibun Yūki greift das Thema in einer eigenen Abhandlung auf, in der er sich auf die Philosophie von Takuan bezieht und diese am Beispiel des Schwertmeisters Miyamoto Musashi wiedergibt:

„Miyamoto Musashi, der große Meister des Schwertes, nannte sich selbst niten dōraku, was wörtlich „Liebhaber in zwei Himmeln“ bedeutet. Das Wort dōraku (Weg-Genuss) mag wohl die Gemütsverfassung andeuten, die er als Meister besaß. Diese Stufe des „Spielens auf dem Wege“, dieser Gemütszustand des Weg Genusses, heißt im Buddhismus auch hōraku (Dharma-Genuss) oder yugesammai (samadhi des Spiels).

Die Kunst des Meisters geht über alles absichtsvolle Wollen und alles mühevolle Streben hinaus. Sie ist zu einem natürlichen Genuss geworden. So ist auch das Kreuzen der Klingen zwischen Meistern kein „Kampf“ mehr. Hier sind zwei Menschen in einem Reich miteinander verschmolzen, in das sie beide eingegangen sind. Zwei Menschen stehen sich gegenüber. Aber eigentlich sind es „Nicht-Zwei“, denn da ist kein „Selbst“ und kein „Anderer“ (jitafuni - Selbst-Anderer / Nicht-Zwei). Die zwei Meister sind in ihrer Bewegung nur zwei Wirkensweisen eines Wesens. Sie verkörpern das wunderbare Bild der sich für alle Zeiten im samadhi ihres Spieles befindlichen unwandelbaren großen Wahrheit des Alls, und sie offenbaren darin die Stufe des natürlichen Dharma-Genusses. Die Wahrheit, die sich sichtbar ausdrückt und sich selbst genießt - das ist die Sphäre, in der Meister sich bewegen, wenn sie ihre Klingen kreuzen.“

Die persönliche Art des kumite ist letztendlich ein Ausdruck der innermenschlichen Beschaffenheit und der Bekenntnis zum Budō-Prinzip. Entwickelt sich kumite aus einem unüberwundenen Ego, stehen Prestige, Geltungsdrang und Selbstsucht im Vordergrund. In diesem Fall neigt der Übende dazu, sich darzustellen, sich zu profilieren und vor anderen gut auszusehen. Doch in dieser Ego-Haltung ist im budō weder Fortschritt noch Lernen möglich. Deshalb müssen Budō-Schüler zunächst die dōjōkun achten und sich zur Dōjō-Etikette bekennen. Kein echter sensei würde einem Schüler erlauben, das dōjō mit einer unkontrollierten Ego-Haltung zu betreten.

Wird kumite als Übungsmethode in der rechten Haltung geübt, hilft es dem Menschen, sich in Selbstverteidigungssituationen hineinzudenken. Wenn die Übung frei vom Ego ist, helfen sich die Übungspartner gegenseitig und verzichten auf eine feststellbare Rangordnung. Nur auf diese Weise wird karate zu einer gesellschaftsdienlichen und persönlichkeitsbildenden Kunst.

Im klassischen budō gibt es vielfältige Übungskämpfe, jedoch keinen Wettkampf. Die Lehre des budō strebt nach der Vervollkommnung des Selbst durch die Überwindung des Ich, der Wettkampfgedanke fördert das Ich. Daher ist Wettkampf und budō ein Widerspruch in sich selbst.

Im Bereich des Technischen kann man jiyū kumite in mehrere Übungsmethoden einteilen. Im Folgenden sind sie beschrieben:

1. Renshū Kumite 練習組手

Das Schriftzeichen ren bedeutet „kneten“, „schulen“, „ausbilden“, „drillen“, shū bedeutet „lernen“. Zusammen also „in der Ausbildung lernen“, im herkömmlichen Sinn die Bezeichnung für eine Übung. In der Kombination mit kumite wird renshū als „Übung der bewegten Hände“ übersetzt.

In diesem Sinn bedeutet renshū kumite eine Übung zum Studium der Techniken, Kombinationen, Bewegungen und Möglichkeiten des freien Kämpfens. Man übt miteinander, das Ziel ist die Harmonie der Bewegung und das Studium der freien Technik, die in vollkommenem Einklang zu den Bewegungen des Partners stehen soll.

Diese Übung soll von Absichten zum eigenen Vorteil befreit sein, man übt sie deshalb ausschließlich in den alltäglichen Trainings im dōjō. Die Regeln des Miteinander-Übens entsprechen nicht denen des Wettkampfs, sondern werden entsprechend der gesetzten Aufgaben vom sensei vorgegeben. Man soll aufgrund des dadurch möglichen Vertrauens zum Partner die Situationen gefühlsmäßig erfassen (yomi), sich ihnen anpassen und spontan reagieren lernen.

Die Übungsmöglichkeiten im renshū kumite sind vielfältig. Sie erstrecken sich von abgesprochenen Partnerübungen (jiyū ippon kumite), die Schritt für Schritt freier ausgeführt werden, bis hin zu komplexen Kumite-Formen (kumite kata), die kaeshi kumite und okuri kumite enthalten. Spielerisch und leicht werden sie zum freien Kämpfen geführt. Die Partner helfen sich gegenseitig und sammeln wertvolle Erfahrungen für das Verhalten im Freikampf.

Trotz vieler Übungsmethoden klassifiziert man renshū kumite in zwei großen Gruppen:

Tanshiki kumite 単式組手 – eingeschränkter Übungskampf

Das Schriftzeichen für tan bedeutet „einfach“, shiki meint eine „Methode“, eine „Form“, eine „Zeremonie“. Im karate ist es eine eingeschränkte Form des freien Kampfes, die im renshū kumite klassifiziert wird.

Die im Kampf anzuwendenden Techniken werden - um gewisse technische und taktische Merkmale zu schulen - vorher begrenzt: z.B. einer greift nur an, der andere wehrt nur ab, oder einer verwendet nur Fußtechniken, der andere nur Fausttechniken usw. Alle Übungsformen in denen das natürliche Angriffs- oder Verteidigungsverhalten durch vorherige Absprachen eingeschränkt wird, fallen in diesen Bereich.

Shizen kumite 自然組手 – natürliches Kämpfen

Das Schriftzeichen für shi bedeutet „selbst“, zen steht für „wie“. Zusammen bedeutet es „Natur“, in Kombination mit kumite versteht man darunter „natürliches Kämpfen“. Diese Übungsformen werden im renshū kumite klassifiziert.

Die Übungen innerhalb des shizen kumite verwenden unter entsprechender Anleitung zunächst alle Formen der atemi (nukite, hiraken, shutō, u.a.), erweitern die atemi jedoch in zusätzliche Bereiche der Selbstverteidigung. Nach vorgegebenen Aufgaben vom sensei werden hier Techniken des Werfens (nage), des Hebelns (hishigi), des Befreiens (hodoki), des Immobilisierens (katame) und des Greifens (tuite) geübt.

Es wird nicht für den Sieg gekämpft, sondern zum Zwecke des Fortschritts mit einem Partner geübt. In dieser Übungsform des Kampfes werden die Regeln durch die Verantwortung der Übenden ersetzt. Es wird uneigennützig miteinander geübt, was sich bis zum realistischen Kampf steigern lässt.

2. Shōbu Kumite 勝負組手

Die kanji 勝負師 (shōbushi) bezeichnet einen „Spieler“. In ihrer Kombination bedeuten die Schriftzeichen shō „siegen“ und bu „besiegt werden“ Entsprechend bedeutet shōbu ein „Spiel um Sieg oder Niederlage“. Zusammen mit kumite versteht man die Kanji-Kombination als „spielen um Sieg und Niederlage“ in der „Begegnung der Hände“.

Shōbu kumite bezeichnet also eine Karate-Methode mit atemi als Vorbereitung auf den sportlichen Wettkampf oder den Wettkampf selbst. Ob im dōjō oder direkt im Wettkampf werden diese Methoden heute als sportliche Freikampfübungen immer nach festen Regeln ausgeführt, die zum Schutz des Gegners gedacht sind.

Obwohl ihr Wettkampfprinzip der Philosophie des ikken hissatsu, aus dem klassischen budō widerspricht, sollte shōbu kumite immer auch dōraku (Spielen auf dem Weg) enthalten.

In alter Zeit bestand shōbu kumite nicht nur aus harmlosen Wettkampfspielen, sondern enthielt shinken shōbu (tödliches Spiel). Man spielte um Leben und Tod. In einem solchen Kampf gab es keine Regeln, keine Begrenzungen und keine Schiedsrichter, die das Geschehen stoppten, wenn ein Kämpfer in Bedrängnis geriet.

Shiai kumite 試合組手 – Kampf nach den Regeln des Wettbewerbs

Das Schriftzeichen shi bedeutet „versuchen“ das Schriftzeichen ai / a (waseru) bedeutet „vergleichen“. Zusammen bedeuten die kanji „sich in einem Vergleich versuchen“.

Diese Kampfübung dient der Ausbildung zur Wettkampffähigkeit und findet im dōjō statt. In ihr gibt es Regeln (meist die Regeln des Wettkampfes), um Verletzungen zu vermeiden. Man spricht erlaubte und verbotene Techniken miteinander ab (z.B. keine Kopftreffer, kein Nachschlagen, kein Halten usw.) und begrenzt dadurch den wirklichen Kampf auf eine Weise, dass er sich in Form eines Wettbewerbspiels (shōbu) austragen lässt.

Die Regeln des Erlaubten und Verbotenen müssen im dōjō jedoch nicht identisch mit den Wettkampfregeln sein, so dass sich durch dieses Spielkämpfen auch Fähigkeiten für einen richtigen Kampf entwickeln lassen.

Kyōgi kumite 競技組手 – Wettkampf

Das Schriftzeichen kyō bedeutet „wetteifern“ oder „konkurrieren“, gi / waza bezeichnet eine „Fähigkeit“, „Kunstfertigkeit“ oder „Technik“. Kyōgi bezeichnet den Wettkampf (wörtlich: „in der Technik mit einem Partner wetteifern“).

Mit kyōgi kann man einen Wettkampfsieg über seinen Gegner erringen, der in der Wirklichkeit des Kämpfens sehr in Frage steht. Dem Wettkampf fehlen alle Aspekte einer realistischen Selbstverteidigung. Kyōgi bezeichnet einen Spielkampf nach Wettkampfregeln, innerhalb derer man das Spiel nach Punkten gewinnen kann. Ob man damit auch eine Ernstfallsituation überleben kann, ist sehr in Frage zu stellen.

In den traditionellen Richtungen des budō wird daher kyōgi als falsche Kampfkunstorientierung abgelehnt, da es nicht die Überwindung, sondern die Bestätigung des Egos enthält. Hier steht das das Prestige des Gewinnens im Vordergrund, man kämpft um einen Pokal oder um eine Meisterschaft. Doch man gewinnt keinen Kampf, sondern lediglich ein Spiel.

Bōgu kumite 防具組手 – Kampf mit Schutzausrüstung

Das Schriftzeichen bō übersetzt man mit „schützen“, „verhüten“, gu meint ein Werkzeug. Zusammen bezeichnet es eine Schutzausrüstung, als bogū kumite ist es ein Kampf mit Schutzausrüstung.

Die klassischen bōgu wurden im 16. Jh. von dem Schwertmeister Ono Jirōemon Tadaaki (1565 - 1628) erfunden, nachdem er im Training das Holzschwert (bōken) durch das Bambusschwert (shinai) ersetzte. Damals dienten sie dem Zweck, die gegnerischen Schläge mit dem shinai aufzufangen und ihre Wirkung zu mildern. Noch heute existiert der Schutz im kendō in demselben Sinn und besteht aus men (Kopfschutz), dō (Rumpfschutz), tare (Hüftschutz) und kote (Handschutz).

Nachdem sich im 20. Jh. die „schlagenden“ Kampfsportarten etablierten, ergänzte man die bōgu vor allem durch verschiedene Modelle der Schutzhandschuhe aus dem europäischen Boxen. Entsprechend der Wettkampfauffassungen in den verschieden Stilen kann die Zusammensetzung der bōgu jedoch variieren. Heute verwendet man Kopf-, Gesicht- und Zahnschutz, Brustpanzer, Arm-, Unterleib- und Schienbeinschutz sowie Handschuhe und Fußpolster. In unterschiedlichen Kombinationen verwendet man sie zu Trainings- oder Wettkampfzwecken.

In der Absicht zur Selbstverteidigung im budō sind die bōgu jedoch mit Vorsicht zu genießen. Techniken mit Handschützern entwickeln komplett andere Verfahren, als der Gebrauch der freien Hände. Selbst die Stoßtechniken mit der Vorderfaust (seiken) sind mit der beschuhten Hand nicht direkt in die Verfahren der freien Hand übertragbar.

3. Jissen Kumite 実戦組手

Das Schriftzeichen für ji (jitsu) übersetzt man mit „tatsächlich“. „real“, sen (ikusa) bedeutet „Krieg“, „Schlacht“, „Gefecht“ oder „Kampf“. Der Begriff jissen bezeichnet also einen realistischen Kampf.

Realistische Kämpfe lassen sich im dōjō nicht vollständig simulieren, gleich wie nahe man ihre Übung der Realität bringt - es bleibt immer noch ein erheblicher Rest, der nicht simuliert werden kann. Karate-Meister können jedoch einen erheblichen Teil der Techniken im gegenseitigen Selbststudium realistisch ausführen, indem sie nicht den Treffer, sondern die Qualität des Treffers berücksichtigen. Mit dem nötigen Rückhalt auf den gegnerischen Körper durchgezogene Techniken, sind in dieser Übung durchaus enthalten.

Ikken hissatsu und sun dome werden hier zum Zentralbegriff. Die Handlungen verfolgen den Zweck, in jede Technik maximales kime zu übertragen und den Kampf mit einer einzigen Aktion zu entscheiden.

Beide Gegner brauchen für einen solchen Kampf eine perfekte Kontrolle der Atmung, des Geistes und des Ki-Flusses. Die körperlichen, geistigen und technischen Werte (shingitai) des Einzelnen kommen hier voll zum Tragen. Jede unüberlegte oder unentschlossene Handlung muss vermieden werden. Jissen kumite ist eine perfekte Übung für den Geist, für den Willen, für die Ausdauer und für die gesamte innere Haltung des Menschen. In dieser Übungsform gibt es keine Halbwahrheiten. Innere Haltung und äußere Handlung werden eins. Nur wer beides bis zur Vollkommenheit beherrscht und kontrolliert, kann von dieser Übung Gebrauch machen.

Für Meister des karate ist jissen kumite ungefährlich, da sie in der Lage sind, innere Haltungen zu kontrollieren. Meister Funakoshi sagte: „Denke nicht darüber nach, wie du gewinnst, aber denke darüber nach, wie du nicht verlierst". Dieser Spruch ist in der Übung des jissen kumite von zentraler Bedeutung. Für wirkliche Meister des Karate erlaubt jissen kumite einen Einblick in die tiefsten Schichten ihrer Seele. Für sie ist es nicht ein Kampf mit einem Gegner, sondern eine Herausforderung an alle inneren Haltungen, die vollkommene Harmonie und Einklang verhindern. Für jene Übenden, die diese Herausforderung nicht verstehen und jissen kumite im Eigennutz verwenden wollen, ist diese Übungsart verboten.

Studien Informationen

Siehe auch: Karate |

Literatur

  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.

Weblinks