Ken zen ichi
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Ken zen ichi (jap.: 剣禅一) ist ein philosophischer Grundgedanke des mittelalterlichen japanischen bujutsu mit der Bedeutung „Schwert und Zen sind eins“ (kaisetsu, taiaki und Takuan). Im 16. Jahrhundert schrieb der Zen-Meister Takuan (1573-1645) seinen berühmten Brief an Yagyu Munenori (Schwertmeister), in dem er die Verbindung zwischen zen und kenjutsu (Schwertkunst) verdeutlichen wollte. Das taiaki, wie dieser Brief benannt wurde, enthielt als zentrales Motiv den Satz ken zen ichi und bezeichnet die wahre Meisterschaft der Schwertkunst als einen Zustand der vollkommenen Einheit des Menschen, die nur über die vollständige Perfektion von ri (Zustand des Geistes) und waza (Technik) zu erreichen ist.
Inhaltsverzeichnis
Erklärung
Worauf es Takuan im Besonderen ankam, war klarzustellen, warum die meisten kenkaku (Schwertkämpfer) trotz täglicher Übung das Stadium der Meisterschaft im Schwert nicht einmal annähernd erreichen konnten. Nach Takuans Erläuterungen liegt das Problem darin, dass die meisten Menschen nicht bereit zur geistigen Vervollkommnung sind und voller Kurzsichtigkeit nur das Körperliche wählen. Was solchen Menschen den Weg zur Meisterschaft verwehrt, ist nach Takuans Philosophie das Ergriffensein vom eigenen Ich, dessen Eigenwille dem Übenden gleichermaßen den Blick in das Wesen der Kampfkunst wie auch in die Realität des Lebens durch Vorurteile trübt. So bedeutet für Takuan Meisterschaft nichts anderes, als jenes Ich zu besiegen, das mit seinen unzähligen inneren Antrieben den Geist und die Handlung des Menschen verwirrt und der wahren Verwirklichung seines Eigenwesens ewig im Wege steht.
Ken zen ichi - die Einheit von ken und zen, bedeutet jene Stufe der Meisterschaft zu erreichen, auf der es weder ken noch zen gibt und dennoch nichts anderes im Weltall zu finden wäre, was nicht ken und zen ist. Das, was wir Menschen sehen (shiki - die Erscheinungsformen), hängt von der Reife unseres Bewusstseins ab und verändert seine Formen je nach der Art der Betrachtung. So geht es beim Erlernen einer Kampfkunst weniger darum, auf den Gegner zu zielen als auf das eigene Bewusstsein. Ist dies im Vorurteil gefangen, wird die Handlung getrübt. Was der Gegner ist, was man an ihm für richtig und falsch hält und was man davon erkennt, hängt sehr vom Vollendunsgrad des eigenen Geis-tes ab, denn der selbstgefällige oder ichbezogene Geist unterliegt schnell einer Täuschung. Zur Werdung des ganzen Menschen, der in der Lage ist, die Dinge der Welt richtig zu erkennen, reicht es nicht, sich in der Technik zu üben. Er muss seinen Geist üben, denn nicht nur Sieg und Niederlage hängen davon ab, sondern sein gesamter Wert, den er als Mensch in allen alltäglichen Handlungen darstellt.
Am Anfang des taiaki sagt Takuan: „In der Kunst des Kämpfens geht es nicht um Sieg oder Niederlage, nicht um stärker oder schwächer, nicht um einen Schritt vor- oder rückwärts. Man muss ohne einen Schritt vorwärts oder rückwärts, ganz einfach auf derselben Stelle stehend, siegen können.“ Darin aber liegt nicht nur die letzte Wahrheit des Kämpfens, sondern auch das Geheimnis der Behandlung aller menschlichen Angelegenheiten überhaupt. Takuan meint damit das „Leermachen“ von jedem Wunsch, von jedem Vorhaben, denn diese fangen den Geist und lassen ihn an Vorgestelltem haften. Dieses „Leermachen“ des Geistes von der Selbstvor-stellung - kū oder kara (im Buddhismus muga - Ichlosigkeit) - ist die Voraussetzung für ein ungetrübtes Sehen der Wirklichkeit, nicht nur für den Kampf, sondern für die Bewältigung aller alltäglichen Probleme. Takuans Erläuterungen über die Geisteserziehung in der Übung der Kampfkünste hatten einen wesentlichen Anteil an der sich heranbildenden Umformung vom bujutsu (Technik des Kriegers) zum budō (Weg des Kriegers). Die Meister begannen ihre Übung mit vielen philosophischen Aspekten des Zen zu durchziehen, und so entstand aus einer tödlichen Kampfkunst ein „Weg des Lebens“. Ken zen ichi wurde von Reibun Yuki erläutert und von Karlfried Graf Dürckheim auch in die deutsche Sprache übersetzt. Der Text bildet das Wesen der Kampfkünste und wurde in Dürckheims Büchern „Japan und die Kultur der Stille“ und „Wunderbare Katze und andere Zen Texte“ veröffentlicht.
Studien Informationen
Siehe auch: Kaisetsu | Budō | Bujutsu | Takuan
Literatur
- Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.