Kobujutsu (Japan)

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Artikel von: Werner Lind

In Japan übersetzt man den Begriff kobujutsu (古武術) mit „alte Kriegstechnik“, in manchen Dokumentationen auch mit kobujutsu (小武術), was „kleine Kriegstechnik“ bedeutet. Auf Okinawa gibt es ebenfalls eine Variante des kobujutsu (Kobujutsu (Okinawa), das aber andere Wurzeln hat und andere Waffen enthält. Obwohl sich beide aus den Kampfsystemen der Bevölkerung eintwickelten, entstanden in Japan und Okinawa unterschiedliche Systeme. Zur Erläuterung des Begriffes siehe Kobujutsu (Begriffsklärung).

Inhalt und Entwicklung

Der Begriff kobujutsu steht in Japan allgemein für die altertümlichen und mittelalterlichen Waffensysteme (bukihō) des einfachen Volkes, für jene Stände, die nicht zu den professionellen Kriegern gehörten. Genauere Recherchen dokumentieren aber, dass das japanische kobujutsu durchaus auch in den alten Systemen der Krieger (koryū bujutsu) enthalten war. Die professionellen Krieger bushi entwickelten innerhalb des bujutsu komplexe Kampfsysteme (ryū), in denen auch Waffen (buki) des kobujutsu perfektioniert wurden.<br.>Das gewöhnliche Volk (heimin), hauptsächlich vertreten durch die Gruppe der Bauern (nōmin), beschränkten sich zur Selbstveteidigung zunächst auf einfache Gebrauchsgegenstände aus dem alltäglichen Haushalt. Doch im Kriegsfall wurden sie von ihren Herren (daimyō) als Fußsoldaten (ashigaru) zum Militärdienst befohlen, mussten aber selbst dafür sorgen, mit welcher Ausrüstung sie in den Krieg zogen. Stets war es eine Sache der finanziellen Mittel, welche Waffe (buki) oder welche Rüstung (yoroi) sie sich leisten konnten. Doch ihr Leben hing von ihrer Ausrüstung ab. Daher waren sie bemüht, eigenständige Kriegsutensilien anzuschaffen. Zumeist waren es Waffen wie yari (Speer), yumi (Bogen), naginata (langschaftiges Schwert) und in seltenen Fällen auch katana (Langschwert).<br.>Dadurch vermischten sich in Japan die Systeme des Volkes und die Systeme der Krieger. All diese Systeme waren miteinander verbunden, beeinflussten sich gegenseitig und lassen heute keine strikte Trennung zwischen kobujutsu und bujutsu zu. Aus dieser Erkenntnis kann man ableiten, dass sich das kobujutsu nicht allein auf die niedere Bevölkerung beschränkte, sondern dass alle vier traditionellen japanischen Gesellschaftsstände (shinōkōshō) an seiner Entwicklung beteiligt waren.<br.>Zusätzlich entwickelten auch staatliche Institutionen, wie die Japanische Polizei oder das Japanische Militär, eigenständige Kampfmethoden, die ihren eigenen Zwecken dienten. Außerhalb der Gesellschaft standen die Ränge der Gelehrten ( ), der Priester (), der Ärzte ( ) und der Lehrer (sensei), doch sie alle hatten den Rang und das Ansehen eines daimyō (der höchster Rang der adeligen Kriegerkaste). Weitere Randgruppen der Gesellschaft, wie Seepiraten (wakō), herrenlose Krieger (rōnin) aber vor allem die Geheimagenten (ninja), lieferten einen entscheidenden Beitrag zu den Systemen des japanischen kobujutsu. Im Zuge der späteren Umwandlung des bujutsu (Technik der Krieger) zum budō (Weg der Kampfkunst) entwickelte sich aus dem kobujutsu das Kobudō (Japan).<br.>Untenstehend zur Übersicht eine allgemeine Einteilung der japanischen Gesellschaftsklassen:

GESELLSCHAFT in der Frühmoderne

Shinōkōshō - vier Stände

1. Shi (shizoku / buke / bushi - Krieger
2. (nōmin / hyakushō) - Bauern
3. (shokunin) - Handwerker
4. Shō (shōnin) - Kaufleute

Staatsmacht

- Metsuke - Polizei im Mittelalter
- Keisatsu - Polizei der Neuzeit

Randgesellschaft

- Kuge - kaiserlicher Hofadel
- Rōnin - herrenlose samurai
- / Bōzu - Priester
- Wakō - Piraten des Pazifiks
- Ninja - Geheimagenten

Buraku - Ausgestoßene (Paria)

- Eta - Unreine
- Hinin - Nichtmenschen

Einfluss der vier Stände (shinōkōshō)

Die japanische Gesellschaft teilte sich ab dem edo jidai (1603) in vier Stände (shinōkōshō): shi - Krieger; - Bauern; - Handwerker und shō - Händler. Die letzten beiden werden unter dem Begriff chōnin (Stadtbevölkerung) zusammengefasst. Jede dieser Bevölkerungsgruppen entwickelte ihre eigenen Waffen und Kampfsysteme, die sich gegenseitig bis zur Unkenntlichkeit beeinflussten.

Einfluss der Krieger (shi)

Das von den Kriegern (bushi) beeinflusste kobujutsu entstand hauptsächlich in den Samurai-Schulen tenshin shinyō ryū, yanagi ryū, sōsuichi ryū, takeuchi ryū u.a.. Es leitet sich aus den Systemen der naginata, des sōjutsu, des taijutsu, des kyūjutsu (ogasawara ryū), des hōgujutsu, des rensha sankaku, des hōjutsu, des yoroi kumiuchi und vielen anderen ab. Damit integriert sich ein Teil des japanischen kobujutsu in die Systeme der Krieger, die durchaus auch nichtkonventionelle Waffen benutzten.<br.>Die samurai, die sich zumeist auf ihre „edlen“ Waffen (buki) beschränkten, betrachteten einige dieser Waffensysteme als unwürdig und übten sich schon allein aus diesem Grund nicht in ihnen. Viele Waffen der ninja, die sicherlich die meisten Systeme des japanischen kobudō entwickelten, wie z.B. kama, surujin oder manriki gusari fielen in diesen Bereich.

Einfluss der Bauern ()

Zu bemerken ist, dass viele Systeme des kobujutsu von Bauern (nōmin) gegründet wurden, die sich in Revolten gegen die Unterdrückung ihrer Feudalherren erhoben. Die insgesamt 1240 Bauernaufstände von 1599 bis 1867 waren äußerst gewalttätig und wurden von den Kriegern mehr gefürchtet, als jeder Krieg mit ihresgleichen. Meistens wurden die Aufstände brutal niedergeschlagen und die Anführer sofort getötet. Doch viele Bauernführer verschwanden auch in den Bergen und suchten bei Räuberbanden und Gesetzlosen einen sicheren Hafen, oder gingen in die Unterwelt der Küstenstädte und Handelsmetropolen.<br.>Ein bemerkenswerter Fall, der das kriegerische Potenzial der Bauern zeigt, wird zu Beginn des 17. Jahrhunderts in dem Massaker von Shimabara deutlich. Die Neigung der Bauern zum Kämpfen und somit auch zum Entwickeln von Waffen - typischerweise aus ihren Arbeitsgeräten - wird in diesem und in anderen Aufständen im umfangreichen Arsenal von Knüppeln (), Sicheln (kama), miteinander verbundenen Stöcken (nunchaku), Ketten (surujin), Werkzeugen zum Mahlen von Reis (tonfa) usw. deutlich, aber auch in Systemen der traditionellen Samurai-Waffen, die den Kriegern auf die eine oder andere Art weggenommen wurden. Der bäuerliche Einfluss war zwar in den Metropolen gering, doch es gibt deutliche Hinweise darauf, dass die Bauern ihre eigenen Kampfkonzepte gründeten, wenn sie gezwungen wurden, gegen ihre Unterdrücker zu kämpfen. In den Provinzen blieben die Bauern die schrecklichsten Gegner der bushi, mit denen kein Krieger etwas zu tun haben wollte.<br.>Die Bauern waren von Natur aus traditionell eingestellt und übernahmen den strengen Ehrenkodex der bushi in eigener Weise (kikotsu). Sie konnten einem Todesurteil mit derselben Gelassenheit wie ein Krieger begegnen. Viele von ihnen hielten auch Schritt mit den neuesten Entwicklungen des traditionellen bujutsu. Dazu beherbergten sie rōnin in ihrem Haushalt, um von ihnen die Militärkünste der samurai zu erlernen.<br.>Nach der Meiji-Restauration (1868) wurden die aufstänischen Satsuma-Samurai ebenfalls mit Bauern auf dem Schlachtfeld konfrontiert, denn das moderne Japan rekrutierte den Großteil seiner neuen Armee von den Bauernhöfen und Reisfeldern des Landes, ebenso wie die extrem vom Clan-Denken und von großer Hingabe geprägten Kader der unteren Offiziere, die eine so entscheidende Rolle für die Entwicklung Japans und Asiens im 20. Jahrhundert spielen sollten.

Einfluss der Stadtbevölkerung (chō)

Der Begriff chō bezeichnet einen Distrikt oder eine japanische Verwaltungseinheit. Auch die Stadtbevölkerung (chōnin) wird darunter klassifiziert und setzt sich aus den Ständen der Handwerker 工 (dazu gehörten alle Handwerker, Arbeiter, Künstler usw.) und aus den Ständen der Händler (shō) zusammen.

Einfluss der staatlichen Institutionen

Japans staatliche Institutionen für soziale Ordnung (Japanische Polizei) und für Krieg (Japanisches Militär) hatten einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des kobujutsu.

Japanische Polizei (keisatsu)

Hauptartikel: Japanische Polizei

Wie in allen Zeiten und in allen Ländern der Welt, versuchten auch die jeweiligen Regierungen Japans soziale Unruhen zu verhindern indem sie die Gesellschaft durch eine Polizei kontrollieren ließen. Die Organisation der Polizei war in Japan durch die Zeitalter verschieden, doch stets wurden in ihren Instanzen Waffen entwickelt, die zum kobujutsu gezählt werden. Wichtig für die Betrachtung der Kobujutsu-Waffen ist die Polizei des Mittelalters und die Polizei der Neuzeit:

Polizei im Mittelalter (kei und metsuke)

Im Mittelalter Ashikaga-Muromachi jidai (1333-1573) und Azuchi-Momoyama jidai (1573-1603) unterstand die Organisation der Polizei (kei) ausschließlich dem Stadthalter (machi bugyō) des jeweiligen Distrikts. Doch im darauffolgenden edo jidai (1603-1868) wurde vom bakufu (Militärzentrum des shōgun) ein übergeordneter Polizeiapparat (metsuke) gegründet, der sämtliche provinziellen Polizeiorganisationen kontrollieren sollte.<br.>Die metsuke (目付, wörtlich „Auge“) wurden im Jahr 1617 von Tokugawa Ieyasu zur Kontrolle der ländlichen Distrikte der daimyō eingeführt und waren in ihrem Wesen weitgehend ein Polizei-Geheimdienst. Die anfangs 16 Titelträger des Amtes reformierten sich im Laufe der Zeit und etabliertem im Jahre 1633 das Amt des ōmetsuke (Chef der Geheimdienste) mit fünf untergeordneten Titeln. Zusätzlich wurden ninja (Geheimagenten) rekrutiert und zur Beobachtung der auswärtigen Distrikte in alle entlegenen Lehen der daimyō und hatamoto geschickt. Unregelmäßigkeiten und Verstöße in der Ausübung der Gesetze wurden der Zentralregierung im (bakufu) von den ninja mitgeteilt.

  • Ōmetsuke (大目付) - Chef der Shōgun-Polizei aus dem bakufu
  • Yoriki (与力) - Hauptmann der Wachen für staatliche und politische Einrichtungen im bakufu
  • Dōshin (同心) - Straßenpolizei - Polizisten zur Sicherung des sozialen Friedens in der Hauptstadt
  • Okappiki (岡っ引) - Detektive und Spione (ninja) zur Kontrolle aller entlegenen Provinzen

Die lokalen Organisation der provinziellen Polizei (kei) verblieben nach wie vor in der Verwaltung der jeweiligen (machi bugyō), doch sie wurden von den metsuke streng kontrolliert. Die lokalen Polizisten der Edo-Zeit wurden nach ihrem sozialen Status, nach ihrem Einkommen und nach ihren Pflichten gegliedert. Ihnen standen sogenannte Polizei-Assistenten (tesaki) und Polizei-Helfer (tedai) zur Seite, die sich aus der Volksgruppe der eta rekrutierten. Zu deren Aufgaben gehörte es Tiere zu schlachten oder als Gefängniswärter und Henker zu dienen. Die Polizeihelfer der eta erhielten häufig auch die Aufgabe, gefährliche Kriminelle zu stellen oder zu eliminieren.<br.>Die gesellschaftliche Situation im edo jidai bewirkte chaotische Zustände, vor allem in den Großstädten, die zunehmend unsicherer wurden. Viele entlassene samurai (rōnin) konnten nur als Räuber überleben und plünderten auf den Verbindungsstrassen die Reisenden und in den Städten die Einwohner.<br.>Die Polizei verwendete viel Zeit und Mühe zur Entwicklung geeigneter Waffen, mit denen sie den schwertbewaffneten rōnin auf der Straße begegnen konnte. Aus der ehemals kriegerischen Waffengruppe mitsu dōgu (bestehend aus sasumata, sode garami und tsukubō) wurden im edo jidai (1603-1886) folgende Polizeiwaffen entwickelt:

  • Jitte - gegabelter Dolch (heute sai)
  • Manrikigusari - Kette mit Griffen, erfunden von Masaki Toshimitsu, Hauptwachmann am Tor des Schlosses von Edo
  • - verschiedene Stockarten, vor allem

Der Stock (), die Kette (kusari) und der gegabelte Dolch (jitte), waren im edo jidai die Hauptwaffen der japanischen Polizei gegen die rōnin. Die Polizisten wurden aber auch im unbewaffneten Kampf geschult. So wird in den Chroniken des Edo-Zeitalters der Polizeioffizier Yamamoto Kamizaemon aus Osaka erwähnt, der das shin no shindō ryū gründete, ein Stil der dem jūjutsu angehört.<br.>Die Kunst des individuellen Kampfes schuldet den Polizisten und den eta viel. Die offiziellen Chronisten der buke belieben diesen Umstand häufig zu ignorieren.

Polizei der Neuzeit (keisatsu)

Die moderne japanische Polizei, keisatsu (警察) wird heute in mehreren Selbstverteidigungssystemen ausgebildet, von denen die waffenlose Methode taihojutsu (逮捕術) die Grundlage bildet, innerhalb derer der bewaffnete Umgang mit dem keibō (keibō sōhō) und dem keijō (keijōjutsu) von Bedeutung sind. Die Waffensysteme stammen aus dem kobujutsu und wurden bereits 1924 von einem technischen Kommitee hochrangiger Kampfkunstmeister initiiert.<br.>Die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg beendete zunächst alle selbständigen Initiativen der Polizeiausbildung, doch nach der Lockerung der amerikanischen Restriktionen wurde 1947 ein neues Kommitee ins Leben gerufen, das von dem Kendō-Experten Saimura Goro geleitet wurde. Weitere Mitglieder waren Shimizu Takagi (jōjutsu), Ōtsuka Hironori (karate), Nagaoka Shuichi (jūdō) und Horiguchi Tsuneo (Pistolenschießen). Diese Komission suchte aus dem klassischen kenjutsu, jūjutsu und jōjutsu geeignete Techniken aus und verband sie zu einem Selbstverteidigungssystem, das für die Polizei geeignet war.<br.>1947 entstand aus dieser Kombination das taihōjutsu, das 1949, 1951, 1955, 1962 und 1968 weiter überarbeitet wurde. Die Polizisten übten taihōjutsu in zwei Arten: toshō (ohne Waffen) und keibō (mit einem Stock).

Japanisches Militär (gunji)

Hauptartikel: Japanisches Militär

Das japanische Militär (gunji, 軍事)

Einfluss von Randgruppen

Mönche ()

Hauptartikel: Japanische Religion

Der Begriff (僧) bezeichnet einen buddhistischen Priester. Über Jahrhunderte hinweg standen die Mönche im Konflikt mit der Staatsmacht und sorgten immer wieder für bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Religion und Politik. Die Grundreligion Japans war und ist der Shintōismus, doch der Buddhismus drang bereits im frühen Altertum (jōmon jidai - 7.500 v.Chr - 300 v.Chr.) in das Bewusstsein der Japaner.

Die sechs frühen buddhistischen Grundschulen Japans<br.>In den Chroniken des nara jidai (710-794 n.Chr.) kojiki (古事記) und nihonshoki (日本書紀) werden die ersten sechs Schulen des Buddhismus erwähnt, die vom asiatischen Festland nach Japan kamen. Sie entwickelten sich später zu verschiedenen Modellen, nicht selten zu Synkretionen (shinbetsu shūgo)

  • Jōjitsu shū (成実宗) - aus dem hinayana abgeleitet und später mit der Sanron-Sekte verschmolzen.
  • Kusha shū (倶舎宗) - von zwei japanischen Priestern im Jahre 658 als Abzweig der indischen Lehre der sarvāstivāda eingeführt.
  • Hossō shū (法相宗) - gegründet von dem Mönch Dōshō, aus der Heilslehre des yogācāra (vijñānavāda) mit zwei wichtigen, unabhängigen Tempeln in Nara (Kōfukuji und Gankoji).
  • Sanron shū (三論宗) - abgeleitet aus der indischen Philosophenlehre des madhyamika von Nagarjuna; wahrscheinlich von dem koreanischen Priester Eikanin in Japan eingeführt (Zentrum: Hōryūji).
  • Kegon shū (華厳宗) - entstanden aus der indischen sūtra avatamsaka, im Jahre 736 von Ryōben in Japan eingeführt (Zentrum: Tōdaiji).
  • Risshū shū (律宗)- abgeleitet aus der indischen Vinaya-Lehre (vinayapitaka) für Verhaltensregeln (jap. ritsu), die im Jahre 754 nach Japan kam.

Erste japanische Sekten<br.>Bereits seit dem nara jidai (710-794 n.Chr.) gab es Tendenzen zu Sektenbildungen. Im heian jidai (794-1192) gründete der Mönch Saichō (Dengyō Daishi, 767-822) auf dem Berg Hieizan das Zentrum (Enryakuji) des tendai shū. Etwa ab 823 entstand das shingon shū von Kūkai (Kōbō Daishi, 774-835), eine ebenfalls esoterische Lehre des mikkyō, mit einem Tempel Tōji, im südlichen Kyōto. Beide Sekten waren militant, rivalisierten untereinander und entzogen sich der Staatskontrolle. Ihre Kampfsysteme entwickelten sich eigenständig vom japanischen bujutsu und bewirkten einen wesentlichen Beitrag zum kobujutsu.

Fast jede in Japan etablierte Religion nahm irgendwann eine militante Haltung gegenüber der Staatsmacht ein. Der japanische Kaiser (tennō) war zwar der Hohepriester des shintō, und zusätzlich eng verflochten mit den Göttern des Buddhismus, doch wie in allen Ländern der Welt, ging es auch in den japanischen Religionen eher um die Macht, als um den Glauben. Die Glaubensanhänger Japans waren ebenso militant wie diejenigen des Christentums oder diejenigen des Islam, wenn auch ihre Methoden sich unterschieden.<br.>Aus politischen, religiösen oder persönlichen Gründen waren diese Gruppierungen stets gegen die jeweils amtierende Staatsmacht. In ihren Zentren bildeten sie Krieger (ozonakama) zur Überwachung ihrer Tempel und zum Schutz ihrer Heiligtümer aus. Diese wurden aus den Reihen der hauseigenen Mönche und Priester (terabushi), aus den Reihen der enteigneten Bauern oder aus Söldnergruppen rekrutiert.

Weitere Entwicklung<br.>Im 10. Jahrhundert entstand aus diesen Lehren die Abspaltung des Amida-Buddhismus. Im Jahr 1175 gründete Hōnen Shōnin, die auf dem tendai shū beruhende „Schule des Reinen Landes“, jōdo shū (浄土宗), die ihre Entsprechung in der bereits seit dem 5. Jahrhundert bestehenden chinesischen Schule des „Reinen Landes“ (chin. 淨土宗 jìngtǔzōng) hat. Daraus ging im 13. Jahrhundert die jōdo shinshū hervor. Zu erwähnen ist auch die militante Sekte des Nichiren.

Mönchkrieger

Hauptartikel: Sōhei

Mehr als 400 Jahre führten und organisierten die militanten Mönche des tendai shū und shingon shū Krieg gegen die Staatsmacht (s. ikkō, ikki, ikkō ikki). Es war Oda Nobunaga, der ihnen im Azuchi-Momoyama jidai (1573-1603) den tödlichen Stoß versetzte: 1564 zerstörte er den Tempel in Mikawa, 1571 den Enryakuji vom Hieizan, 1574 den Tempel aus Nagashima und 1580 den Honganji von Osaka. Nobunagas Nachfolger, Hideyoshi Toyotomi, griff die Tempel von Negoro, Saiga, Kumano, Yoshino (Kokawa dera) und mehrere andere an und unterwarf sie.<br.>Während der Herrschaft der Tokugawa wurden sie unter strenger Bewachung gehalten. Die Gemeinschaften der Mönche wurden zahlenmäßig limitiert, die Mönche selbst auf viele kleine und leicht zu führende Zentren verteilt und ihre Vorrechte stark eingeschränkt.<br.>Die militanten Mönche waren in der Regel sehr geschickt im Umgang mit traditionellen und unkonventionellen Waffen. Alle Stockarten (), Pfeil und Bogen (yumi/ya), Schwert (tsurugi) und vor allem der Speer (yari) wurden von ihnen perfektioniert. Wahrscheinlich wurde von ihnen auch die naginata (Schwertlanze) erfunden und erst später von der bushi übernommen.<br.>Selbst nach ihrer überwältigenden Niederlage durch Nobunaga und Hideyashi nahmen die Mönche weiterhin aktiv an der Entwicklung des bujutsu und kobujutsu teil.

Bergkrieger

Hauptartikel: Yamabushi

Die kriegerische Tradition der Bergkrieger entstand vor allem durch die Initiative des shingon shū, das mächtige Kohorten von yamahoshi (später yamabushi) zum Schutz seiner Bergklöster unterhielt. Diese bestanden überwiegend aus Eremiten, Asketen und Gläubigen, die die Wege der Einsamkeit in der Wildnis zu nutzen versuchten, um übernatürliche Kräfte zu erlangen. Ihre Suche (shu) nach überirdischen Kräften (ken) vereinigte verschiedene Methoden (), die als „Weg der übernatürlichen Kräfte“ (shugendō) bekannt wurde. Organisierte Gruppen der Bergkrieger (yamabushi) werden in Berichten im 10. Jahrhundert erwähnt, ebenso wie die „Männer der Ebene“ (nanushi). Sie galten als Ausbilder der späteren ninja.<br.>Beide dort ansässigen buddhistischen Tempelanlagen (ji oder tera) und ihre Bewohner (shinjin) gehörten der Lehre des esoterischen mikkyo an, das die Grundlage sowohl des tendai als auch des shingon bildete. Sie wurden von gut organisierten Armeen (konsha) geschützt, die sowohl aus Bergkriegern (yamabushi), als auch aus Mönchkriegern (sōhei) bestanden. Alle Aktivitäten wurden von ihren Hauptzentren dirigiert (shogoin für tendai, sanboin für shingon). Aus diesen Zentren bildeten sich schließlich zwei militante Untersekten: die honzan ha und die tōzan ha, die beide mehrere Generationen hindurch aktiv an den japanischen Bürgerkriegen teilnahmen.

  • Shingon - in den Chroniken wird diese Gruppierung hauptsächlich mit den frühen Schulen des shingon shū im Bereich der Berggruppe Kōya san (高野山) in Verbindung gebracht (Präfektur Wakayama südlich von Osaka). Die gesamte Bergkette mit acht Gipfeln wurde 819 von dem Mönch Kūkai (postumer Ehrentittel Kōbō Daishi, 747-835) in Anspruch genommen und das gesamte Gebiet zum Hauptquartier der Shingon-Schule erklärt. Die Bauwerke befinden sich in einer 800 m hohen Senke zwischen den 8 Gipfeln, die zusammen als Kōya san bezeichnet werden. Das ursprüngliche Kloster wuchs zu einer Stadt an, mit einer Universität für religiöse Studien und über zusätzlichen 100 Tempeln. Zusätzlich wurden in der Nähe der Bergtempel - im Gebiet um Kimbusen bis nach Kumano, von Omine bis Yoshino - Unterkünfte (seishin ya) eingerichtet. Diese boten für viele Pilger (heute auch für Touristen) Unterkünfte und Übernachtungsmöglichkeiten.<br.>Für die Sekte waren die abgelegenen Berge die richtige Umgebung zur Ausübung ihrer Methoden. Entsprechend dienten ihnen die Tempel als Zufluchtsorte, deren Bewohner sie in verschiedenen Methoden des shugendō unterrichteten. Noch heute existieren Okunoin (奥の院, Mausoleum von Kūkai, umgeben vom größten und bedeutendsten Friedhof Japans), Konpon Daitō (根本大塔, Pagode, die nach der Lehre des shingon der Mittelpunkt eines Mandala ist, das nicht nur den Kōya san, sondern ganz Japan bedeckt) und Kongōbuji (金剛峰寺, das Hauptquartier der Shingon-Schule).
  • Tendai - das tendai wurde von Saichō (postumer Ehrentittel Dengyō Daishi, (767-822) auf dem Hiei san gegündet und stand in Konkurenz zur Lehere des shingon.

Bettelmönche

Hauptartikel: Komusō

Die komusō (虚無僧), wörtlich „Mönche der Leere“, im übertragenen Sinn „Bettelmönche“, waren Angehörige des Ordens der Fuke-Schule (fuke shū, 普化宗), gegründet im 13. Jahrhundert von Fuke Zenji. Sie waren stets mit einem weißen kimono bekleidet, trugen einen großen Hut (tengai) aus Bambusgeflecht und zogen damit bettelnd durch die Lande. Doch sie waren äußerst wehrhaft, wenn sie angegriffen wurden. Sie perfektionierten den Kampf mit ihrem Wanderstab (), mit ihrem Fächer (tessen) und vor allem mit ihrer stets begleitenden Flöte (shakuhachi). Zusätzlich bewaffnet waren sie stets mit einem Schwert (katana).<br.>Die Mönche der der fuke shū Doch ihre gehörten einer losen Bewegung innerhalb des japanischen Zen-Buddhismus an. Wegen ihrer permanenten militanten Übergriffe wurden sie in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesetzlich verboten. Doch ihre Systeme trugen zum japanischen kobujutsu erheblich bei.

Gesetzlose

Hauptartikel: Muhōmono

Über die gesamte japanische Geschichte gab es Gruppierungen, die sich außerhalb des Gesetzes stellten (muhōmono, 無法者). Sie wurden jedoch nicht geächtet, sondern entwickelten mächtige Organisationen, derer sich die staatlichen Institutionen ausgiebig bedienten. Ihre Kampfstärke überstieg häufig diejenige der gesellschaftlichen Organisationen. Sie überlieferten die meisten Waffen und Techniken, die heute im kobujutsu klassifiziert sind.

Piraten des Pazifiks

Hauptartikel: Wakō

Mit dem Begriff wakō (倭寇,倭冦,和寇 oder 和冦) bezeichnet man die japanischen Seepiraten des Pazifiks, die fast über die gesamte Geschichte Japans eine enorme Seemacht darstellten, denen kaum ein shōgun gewachsen war. Sie plünderten die Küstengebiete Asiens und übertrugen sich später nach China.

Geheimagenten

Hauptartikel: Ninja

Als ninja (忍者) bezeichnet man die Ausübenden des ninjutsu. Im altertümlichen und mittelalterlichen Japan waren sie ausgebildete Kämpfer, Spione und Guerillakrieger, Kuriere und Kundschafter, die von den shōgun und daimyō zu verschiedenen Aufträgen eingesetzt wurden. Die frühen Kriegsfürsten bedienten sich eines ninja, um einen Konkurrenten außer Gefecht zu setzen, im späteren edo jidai (ab 1609) bildeten die ninja einen Großteil der Staatspolizei (metsuke). In den meisten Kriegen, Verschwörungen und Fehden der Feudalzeit spielten sie eine aktive und oft ausschlaggebende Rolle.<br.>In Japan gibt es keine Gruppierung, die mehr unkonventionelle Waffen und Kampfsysteme (kobujutsu) verwendet und perfektioniert hat als die ninja. Nahezu jede Waffe des alten kobujutsu wurde von ihnen verwendet aber auch alle Waffen der bujutsu.

Herrenlose samurai

Hauptartikel: Rōnin

Die rōnin (浪人), wörtlich „Wellenmänner“, waren arbeitslose samurai, die im edo jidai (ab 1609) nicht mehr gebraucht und daher von ihren Lehensfürsten (daimyō) entlassen wurden. Sie waren ausgebildete Krieger (bushi) und gehörten der obersten Gesellschaftsklasse Japans (shizoku) an. Doch sie waren mittelos und befanden sich dadurch in einem erheblichen Konflikt zwischen ihrem sozialen Status und ihrer Lebensbewältigung.<br.>Die meisten rōnin wurden aus Not zu gesetzlosen Wegelagerern, aber die Besten unter ihnen gründeten Kampfkunstschulen in den großen japanischen Städten und unterrichteten ihre Schüler im bujutsu und kobujutsu. Durch ihre Initiativen wurden viele japanische Kriegssysteme in die heutige Zeit überliefert.

Systeme und Waffen des Kobujutsu (Japan)

Zwischen den alten Kriegsmethoden (bujutsu) der japanischen samurai und den Waffen der japanischen Bevölkerung (kobujutsu) gibt es keine eindeutige Grenze, denn beide beeinflussten sich gegenseitig. Hinzu kommt die Verbindung Japans zu Okinawa (Okinawanische Kampfsysteme), die nicht endgültig von dem Konzept der japanischen Kampfsysteme zu trennen ist. Man kann daher heute nicht definitiv sagen, wo und wann ein Waffensystem beginnt und ob es zu Okinawa oder zu Japan gehört.<br.>Wir versuchen untenstehend die Systeme einigermaßen zu entschlüsseln und beziehen die Systeme (bujutsu) der professionellen Krieger mit ein.

BUKI HŌ - bewaffnete Methoden

Bujutsu - Japanische Kriegssysteme

- Tsurugi - Systeme mit dem Schwert (kenjutsu)
- Ken - Systeme des Schwertziehens (iaijutsu)
- Tantō - Systeme des Messerkampfes (tantōjutsu)
- Yoroi doshi - Systeme des Nahkampfs im Krieg (kumi uchi)
  • Japanische Stoß- und Hiebwaffen (yari)
- Yari - Systeme mit dem Speer (sōjutsu)
- Naginata - Systeme mit dem Lanzen-Hellebarde (naginatajutsu)
- Nagamaki - Systeme mit der Kriegs-Hellebarde (nagamakijutsu)
- Hoko - Systeme mit der Hellebarde (hokojutsu)
- Ono - Systeme mit der Streitaxt (onojutsu)
  • Japanische Schusswaffen
Alte Schusswaffen (yumi / ya)
- Yumi/Ya - Systeme mit Pfeil und Bogen (kyūjutsu)
- Kyōdo - Systeme mit der Armbrust (kyōdojutsu)
Moderne Schusswaffen (Hōjutsu)
- Hanawaju - nachgebaute Muskete aus Portugal
- Teppō - Muskete

Kobujutsu - Japanische Volkssysteme

  • Japanische Stockwaffen
Fester Stock ()
- - Systeme mit dem langen Stock (bōjutsu)
- - Systeme mit mittellangen Stock (jōjutsu)
- Hanbō - Systeme mit dem kurzen Stock (hanbōjutsu)
- Tessen - Systeme mit dem Eisenfächer (tessenjutsu)
- Tetsubō - Systeme mit der Eisenstange (tetsubōjutsu)
- Kongō - Systeme mit dem Kurzstock (kongōjutsu)
- Keibō - modernes Stock-System der Polizei (keibō sōhō)
- Keijō - modernes Stock-System der Polizei (keijōjutsu)
- Mitsu dōgu - mittelalterliches Waffensystem der Polizei
- Koshinobō - Systeme mit dem 20 cm Stock (koshinobōjutsu)
- Yubibō - Systeme mit dem Fingerstock (yubibōjutsu)
- Yawara-Stock - Faustwaffe
Unterbrochener Stock
- Nunchaku - Systeme mit dem zweigeteilten Stock (nunchakujutsu)
- Sanchaku - Systeme mit dem dreigeteilten Stock (sanchakujutsu)
- Yonchaku - Systeme mit dem viergeteilten Stock (yonchakujutsu)
- Chigiriki - Systeme mit dem Morgenstern (chigirikijutsu)
- Surujin - Systeme mit Ketten (surujinjutsu)
- Kusarigama - Systeme mit Kettensicheln (kusarigamajutsu)
- Manrikigusari - Kettensystem mit Sicheln (manrikigusarijutsu)
- Kyōketsu shoge - Systeme mit Seil und Widerhaken (kyōketsu shogejutsu)
  • Japanische unkonventionelle Waffen
- Shuriken - Systeme mit Wurfgeschossen (shurikenjutsu)
- Shaken - mehrzackige Wurfsterne (shakenjutsu)
- Jitte - Systeme mit der Gabel (jittejutsu)
- Sai - Systeme mit dem Dreizack (saijutsu)
- Tonfa - Systeme mit der Kurbel (tonfajutsu)
- Kama - Systeme mit der Sichel (kamajutsu)
- Shakuhachi - Systeme mit der Flöte (shakuhachijutsu)
- Tekkō - Systeme mit dem Fauststock (tekkōjutsu)
- Tessen - Systeme mit dem Fächer (tessenjutsu)

Studien Informationen

Siehe auch: Japanische Kampfsysteme | Japanische Kriegskunst
Kobujutsu | Kobujutsu (Okinawa) | Kobudō | Kobudō (Japan)

Literatur

  • Donn F. Draeger: Modern Bujutsu & Budo, Weatherhill 1974.
  • Donn F, Draeger: Classical Budo, Weatherhill 1973.
  • Donn F. Draeger: Comprehensive Asian fighting Arts, Kodansha 1980.
  • Donn F. Draeger: Classical Bujutsu, Weatherhill 1973.
  • Oscar Ratti/Adele Westbrook: Secrets of the Samurai, Charles E. Tuttle Company 1993.
  • Mol Serge: Classical Weaponry of Japan, Kodansha 2003.

Weblinks