Okinawanische Kampfsysteme

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Artikel von: Werner Lind

Die okinawanischen Kampfsysteme werden insgesammt mit dem Begriff koryū uchinādi bezeichnet, womit man die alten Stile (koryū) der Techniken (di) aus Okinawa (uchinā) meint. Sie entstanden unter fremden Einflüssen, vor allem aus Japan und China, erreichten jedoch ab dem 19. Jahrhundert eine eigene Identität.<br.>Der folgende Artikel betrachtet die okinawanischen Kampfsysteme auf der Grundlage der Ryūkyū-Geschichte. Historisch gab es in Reihenfolge mehrere sich unterscheidende okinawanische Systeme:

  • Tegumi 手組 - wörtlich „sich bewegende Hände“, noch heute ein ringähnlicher Volkssport auf Okinawa. Historisch gesehen ist tegumi eine Ableitung aus den antiken asiatischen Ringformen (shuǎi, sumō) und wurde wahrscheinlich von Minamoto Tametomo, dem 8. Sohn von Minamoto Yoritomo (1146 - 1199) von Japan nach Okinawa gebracht. Die Schriftzeichen sind die gleichen, die heute benutzt werden, um die kanji für kumite zu schreiben.
  • Te (de / ti / di) 手 - Bezeichnung für eine alte Selbstverteidigungsmethode auf Okinawa, die ca. im 13. Jahrhundert aus dem tegumi entstand. De ist eine phonetische Verzerrung von te und bedeutet sowohl im Chinesischen als auch im Okinawanischen „Technik“. Im Japanischen (z.B. in der Bezeichnung karate) steht te für „Hand“.
  • Tōde (todi / tōte / tōti) 唐手 - „China-Hand“, Bezeichnung für die weiter entwickelte Selbstverteidigung auf Okinawa, die durch die Kombination des okinawanischen te und des chinesischen quánfǎ ca. im 15. Jahrhundert entstand. Hauptsächliche Beeinflussungen aus Kumemura durch die „36 Familien“. Erste okinawanische Erkenntnise über die kyūsho.
  • Okinawate (uchinādi) 沖縄手 - „Hand / Technik aus Okinawa“, Weiterentwicklung aus dem tōde, zum okinawate, im 18. Jahrhundert. Das gesamte System begann sich früh in shōrin ryū (shurite und tomarite) und in shōrei ryū (nahate) zu teilen.
  • Karate 空手 - „leere Hand“ (kara - leer; te - Hand), ein Begriff, der erst 1905 von Hanashiro Chōmo verwendet und später von Funakoshi Gichin in Japan verbreitet wurde.
  • Karatedō 空手道 - „Weg der leeren Hand“ , eine Bezeichnung, die erst in Japan entstand. Obwohl die Bezeichnung irreführend ist da sie auf eine Weglehre hindeutet, bezeichnet man mit karatedō weitgehend die Wettkampfstile des karate.


Inhaltsverzeichnis

Okinawanische Kriegskunst

Okinawanische Kriegskunst

Bild: Schloss von Shuri - von Shun Bajunki (1237 - 1248) erbaut, war es 550 Jahre lang das politische Zentrum Okinawas.

Tegumi 手組, Te 手 und Tōde 唐手

Frühe Geschichte der okinawanischen Kriegskunst

Die ersten okinawanischen Kontakte mit dem Festland fanden bereits während der chinesischen Sui-Dynastie (581 - 618) statt. Der chinesische Kaiser, Yang Jian, wollte die Geheimnisse des „ewigen Lebens ergründen“ und entsandte im Jahre 605 eine Expedition auf die Suche nach der „Insel der glücklichen Unsterblichen“ (pénglái), die der Sage nach im ostchinesischen Meer liegen sollte. Auf ihren Seefahrten entdeckten die Chinesen die Insel Okinawa und etablierten erste Zeugnisse der chinesischer Kultur.<br.>Doch auch Japan meldete Ansprüche auf die Ryūkyū-Inseln an. Infolge der machtpolitischen Auseinanderstzungen im japanischen heian jidai (794 - 1192) wurden diese Ansprüche intensiviert. Zwischen 698 und 743 wurde Okinawa von japanischen Expeditionen besucht und schließlich zu Tributzahlungen verpflichtet.<br.>Zwischen Japan und China bestanden jedoch für beide Seiten wichtige Handelsabkommen, die von keiner Seite aufs Spiel gesetzt werden konnten. China, das keinen Krieg mit Japan riskieren wollte, zog sich daraufhin politisch zurück. Doch im Zuge des Handels fuhren häufig Schiffe zwischen Japan und China hin und her. Manche verloren die Orientierung und landeten auf Okinawa. Auf den gestrandeten chinesischen und japanischen Schiffen befanden sich oft Gesandtschaften aus Kriegern, kampferprobten Wanderpriestern sowie Beamten und Gelehrten, die einen erheblichen Einfluss auf die primitive Kultur der Insel nehmen sollten.

Entstehung des Tegumi (1165 - 1350)

Minamoto no Tametomo, der sich zum entscheidenden Angriff auf die Taira wappnete, hielt sich ab 1165 mit seinen Truppen auf Okinawa auf, um seine Soldaten auszubilden und seine Armee auf den bevorstehenden Genpei-Krieg vorzubereiten. Er heiratete ein okinawanisches Mädchen, und sie bekamen einen Sohn, den sie Shunten (1186 - 1237) nannten. Dieser sollte mit der Ünterstützung der Minamoto der erste einer folgenden Herrscherlinie (tensonshi) über die Ryūkyū werden.<br.>Durch Tametomos militärische Aktivitäten auf Okinawa übertrugen sich auch viele japanische Kriegsmethoden auf die einheimischen Aristokraten (anji). Auf Shuntens Weg zur Macht gab es so manchen Rivalen gegen den er sich in kriegerischen Auseinandersetzungen behaupten musste. Zur Verteidigung errichtete er nach dem Vorbild entsprechender japanischer Kriegsführung (chikujōjutsu) mehrere befestigte Burgen, sein Nachfolger (Shun Bujanki, 1238 - 1248) errichtete das Schloss von Shuri. Die tensonshi unterhielten Armeen nach japanischem Vorbild, die japanische Kampftechniken und Kriegsstrategien verwendeten.

Tegumi - Hände, die sich bewegen

Man vermutet, dass im Zuge dieser Entwicklung das okinawanische tegumi entstand. Im japanischen Militär wurden zu jener Zeit kriegerische Nahkampfechniken unter dem Begriff chikara kurabe (später sumai / sumō) geübt, die sich in Japan später zum kumi uchi und yawara / jūjutsu entwickelten. Es ist anzunehmen, dass diese Techniken auch die Grundlage für das okinawanische tegumi bildeten.<br.>Okinawanische Mythen berichten über Begebenheiten, laut denen zwei Kämpfer in einen räumigen Bambuskorb stiegen und mit allen Mitteln bis zum Tod kämpften. Diese Berichte bezeugen, dass tegumi in seiner Anfangszeit durchaus aus Kriegstechniken bestand. Offensichtlich entwickelte sich das System über die Jahrhunderte in unterschiedlichen Interpretationen. Unter anderen Vozeichen als in Japan nahm das tegumi Einfluss auf die spätere Entwicklung der okinawanischen Systeme.<br.>In seiner Urform enthielt das tegumi Techniken des Ringens, Schlagens und Immobilisierens. Diese technische Bandbreite beeinflusste die Entstehung des späteren te. Doch irgendwann in der okinawanischen Geschichte haben sich die Ringtechniken verselbstständigt. Heute gebraucht man auf Okinawa den Begiff tegumi für einen dem Ringen ähnlichen Volkssport, in dem Techniken des Schlagens verboten sind.

Entwicklung des Tegumi zum Te (1350 - 1470)

Zu Anfang des 14. Jahrhunderts bestand Okinawa noch aus vielen kleinen Fürstentümern, die in Rivalität zueinander um Einfluss und Macht rangen. Auf der Insel befanden sich sowohl Chinesen als auch Japaner, die jeweils versuchten, ihren Einfluss auf die zukünftige Gestaltung der Ryūkyū geltend zu machen. Sie brachten beide religiöse, kulturelle und kriegerische Elemente mit ein.

Drei okinawanische Staaten (ab 1350)

Ab 1350 begannen die okinawanischen Stammesfürsten (anji[2]) ihre kleinen Herrschaftsbereiche effektiver zu organisieren. Durch Zusammenschlüsse entstand zunächst das „Zeitalter der drei Gebirge“ (sanzan jidai), in dem drei größere Gebiete die Landschaft Okinawas kennzeichneten: Chūzan (中山, Gebirge in der Mitte), Nanzan ((南山, Gebirge im Süden) und Hokuzan (北山, Gebirge im Norden).<br.>Die Herrscher dieser Fürstentümer (Sato von Chūzan, Ugusato von Nanzan und Hanaji von Hokuzan) warben getrennt voneinander um die Gunst der Chinesen, um mit deren Unterstützung den gegenseitigen Konkurrenzkampf zu gewinnen.

Gründung des Ryūkyū-Königreiches (1372)

Im Jahre 1372 erhielt Sato von Chūzan (1350 - 1395) die Unterstützung der Chinesen und vom Ming-Kaiser die Königswürde und Regierungserlaubnis über das gesamte Inselreich der Ryūkyū. Die Insel, die bereits seit mehreren Jahrhunderten an China Tribut zahlte, erfuhr durch Satos Vereinbarungen vorteilhafte Beziehungen und Handelsprivilegien zum chinesischen Reich. Durch ein weiteres Abkommen, laut dem in einem zweijährigen Rhythmus chinesische Delegationen nach Chūzan reisen und Tributzahlungen überführen sollten, wurde der Kontakt zu China weiter ausgebaut. Im Jahre 1392 entstand in der Umgebung von Naha die chinesische Siedlung Kumemura, in der die chinesischen Delegationen gastierten. Die erste chinesische Delegation (36 Familien[3]) sollte in der zukünftigen Geschichte Okinawas eine zentrale Rolle spielen.<br.>Doch die choreographische Situation Okinawas blieb nach wie vor über mehrere Jahrzehnte unverändert. In Chūzan folgte auf Sato 1404 Bunei (1396 - 1405) und 1421 Shishō (1406 - 1421). Erst duch seinen Sohn Hashi[4] (1422 - 1439) sollte das Ryūkyū-Königreich entstehen.

Entstehung der ersten Shō-Dynastie (1429 - 1468)

Die nach wie vor uneinigen okinawanischen Fürstentümer vereinigten sich erst im Jahre 1429 nach mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen unter dem Chūzan-Fürsten Hashi zum Königreich Ryūkyū. Hashi unterwarf 1416 Hokuzan und 1429 Nanzan.<br.>Um das Ryūkyū-Königreich zu stabilisieren ernannte Shō Hashi zunächst seine engsten Familienmitglieder zu Fürsten (anji) und verbot dem okinawanischen Volk den Besitz von Waffen. Dieses erste Waffendekret[5] führte in Folge zur Entwicklung des okinawanischen kobujutsu.<br.>König Shō Hashi etablierte Shuri als Hauptstadt und lernte von den in Kumemura ansässigen Chinesen Regierungspraktiken und Staatsangelegenheiten. Zusätzlich nahm er Kontakte zu den Philippinen, Malayen, Indonesiern, Thailändern und Arabern auf. Neben Shuri entwickelte sich auch Naha und die Hafenstadt Tomari zu bedeutenden Verkehrszentren im Pazifik.<br.>Durch die vielfältigen Einflüsse wurde die kleine Insel Okinawa zum Schmelztigel mehrerer asiatischen Kulturen. Sie beeinflusste die gesamte okinawanische Kultur und veränderte schließlich das tegumi zum te.

Te - Technik

Der Begriff te (de, ti oder di) ist die Bezeichnung für die Selbstverteidigung auf Okinawa, die ab dem 14. Jahrhundert verwendet wurde. Te ist eine phonetische Verzerrung aus de / ti / di und bedeutet sowohl im Chinesischen als auch im Okinawanischen „Technik“. Im Japanischen (z.B. in der Bezeichnung karate) steht te für „Hand“.<br.>Es ist anzunehmen, dass das te eine Weiterentwicklung aus dem tegumi ist. Man glaubt, dass sein Ursprung hauptsächlich auf den japanischen Tegumi-Techniken beruht, sich aber durch die Vielzahl der fremden Einflüsse wesentlich erweiterte. Sowohl im späteren tōdejutsu als auch im kobujutsu sind heute Elemente aus verschiedenen asiatischen Systemen erkennbar.

Odori (udui) 踊 - okinawanische Volkstänze

Bemerkenswert ist, dass sich all diese Einflüsse zu einer okinawanischen Eigenheit verbanden, in der sie verschmolzen und sich eigenständig entwickelten.<br.>Man vermutet, dass die klassischen Volkstänze (odori) dabei eine erhebliche Rolle spielten. Die odori enthalten noch heute in Bewegungen ausgedrückte Bräuche aus dem okinawanischen Volks- und Bauernleben, wozu auch die Benutzung ihrer Werkzeuge und Geräte gehören. Es ist anzunehmen, dass die frühen Krieger des te durch diese Tänze veranlasst wurden, ihre kämpferischen Methoden in den Tänzen zu verschlüsseln. Daher waren die odori vermutlich das erste Medium in der Entwicklung einer eigenständigen okinawanischen kata.<br.>Trotzdem ist das japanische tegumi die Basis und das chinesische quánfǎ die wichtigste Quelle der Weiterentwicklung. Der Einfluss aus China nahm immer mehr zu, besonders nachdem sich die chinesischen Delegationen in Kumemura etabliert und bewährt hatten.

Kumemura 久米村 - und die „36 Familien“ (1392)

Der Ming-Kaiser Zhu Yuan Zhang beabsichtigte bereits 1372 einen intensiven Handelsaustasch mit den Ryūkyū und vereinbarte mit König Sato, auf Okinawa eine Niederlassung für chinesische Delegationen zu gründen. Daraufhin entsandte er 1392 eine erste chinesische Delegation aus Fújiàn (Fukien) nach Okinawa, die dauerhaft auf der Insel leben und dem unterentwickelten Land zum Aufbau und Fortschritt verhelfen sollte.<br.>Diese Gruppe von Chinesen (Diplomaten, Kaufleuten und Militärs), bekannt unter der Bezeichnung „36 Familien“, siedelte sich in der Ortschaft Kumemura, in der Nähe von Naha an. Ihre Nachfahren stellten auch in den folgenden Generationen die wichtigsten Regierungsbeamten und verhalfen dem Inselstaat zu neuem Aufschwung nach chinesische Beispiel. Sie sollten die okinawanische Kultur, Gesellschaft und Politik nachhaltig beeinflussen.<br.>Mit dem Einzug der chinesischen Delegationen, entwickelte sich Kumemura zu einem Zentrum der chinesischen Kultur auf Okinawa und zur bedeutendsten Bildungsstätte für aristokratische Okinawaner. Diese lernten dort die chinesische Sprache, Staatswesen, Kultur und Religion aber auch praktische Künste wie Schiffsbau, Navigation und Verwaltung.<br.>Im Zuge der kaiserlichen Delegationen, übersiedelten auch viele chinesische Privatleute nach Okinawa, die sich in Kumemura oder in umliegenden Gebieten niederließen. Unter ihnen befanden sich Experten, die die Landwirtschaft, das Handwerk, die Religion, die Kunst und Kultur, das Gesundheitswesen und vieles mehr nachhaltig beeinflussen sollten. Manche von ihnen waren im chinesischen quánfǎ ausgebildet und nahmen Einfluss auf das okinawanische te, das sich dadurch später zum tōde entwickeln sollte.

Bubushi 武備志 - Originaldokument der „36 Familien“ (1392)

Die „36 Familien“ brachten erstmals ein einzigartiges Dokument über die chinesischen Kampfkünste nach Okinawa (Kumemura). Im Chinesischen wǔbèizhì, auf Okinawa bubishi, behandelt es mehrere chinesischen Quánfǎ-Stile (báihèquán, hèquán, lúohànquán, shǎolín quánfǎ, u.a.). Es wurde möglicherweise von dem Chinesen Máo Yúanyí verfasst und dokumentiert kämpferische Verfahren, vitalpunktstimulierende Techniken und Kräuterbehandlungen aus dem klassischen quánfǎ.<br.>Die Originalschrift des bubishi erreichte Okinawa mit der ersten chinesischen Delegation im Jahre 1392. Obwohl es die fortschrittlichsten chinesischen Wissenschaften der damaligen Zeit enthielt, war das Dokument für die okinawanische Mentalität ein Novum, denn die Okinawaner waren mit der hochentwickelten chinesischen Kultur nicht vertraut. Daher konnten sie die Inhalte des bubishi nicht nachvollziehen. Es sollten mehrere Jahrhunderte vergehen, ehe die chinesischen Wissenschaften und Künste auf Okinawa eigene Inhalte entwickeln konnten.<br.>Zu bemerken ist, dass mit diesem Dokument erstmals chinesische Wissenschaften nach Okinawa gelangten. Heute wird das Original in einem Tempel von Naha aufbewahrt und ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Tàolù 套路 - die chinesischen Formen (vor 1500)

Wie bereits erwähnt, gab es bereits vor 1500 chinesische Quánfǎ-Formen (tàolù) auf Okinawa. Sie wurden über die vielfältigen Kontakte zu China überliefert, man vermutet, dass es bereits im 14. Jarhundert frühe Formen der passai (koryū no passai) auf Okinawa gab, ein weiterer Überlieferer der chinesischen tàolù war Wanshū[6].<br.>Die tàolù waren in sich geschlossene Botschaften über komplexe Zusammenhänge der chinesischen Kultur, die weit mehr als nur die Praxis des Kämpfens vermittelten. Doch die Okinawaner waren nicht in der Lage, ihre codierten Botschaften zu entziffern und erkannten nur den für die Praxis verwendbaren kämpferischen Teil. Ebenso wie viele weitere Kampftechniken aus den südostasiatischen Ländern übernahmen sie zunächst aus den tàolù nur die kämpferischen Komponente und übertrugen sie in ihrer Volkstänze (odori).<br.>Die Okinawaner hatten zu jenem Zeitpunkt noch kein Verständnis für die hochentwickelten Kultur der Chinesen und wussten nichts über in Bewegungen verschlüsselte Philosophien. Doch sie kopierten den technischen Bereich aus den tàolù und gründeten damit eigene Formabläufe, die als Grundlagen zur den späteren okinawanischen kata angesehen werden. Daher war das auf Okinawa entstandene Kata-Konzept gewiss keine Kopie der chinesischen tàolù, sondern ein Sammelsurium chinesischer und südostasiatischer Kampftechniken, interpretiert nach okinawanischer Lebensart. Erst viel später waren die Okinawaner in der Lage auch die Inhalte der chinesischen tàolù zu übernehmen.

Das okinawanische Te - ein rein okinawanisches Kampfsystem

Trotz der vielen fremden Einflüsse entwickelte sich das te im 15. Jahrhundert in einem eigenständigen Rahmen, der auf die damalige Mentalität der Inselbewohner zugeschnitten war. Das okinawanische Kriegssystem enthielt zu jener Zeit keine hintergründigen Philosophien, es kannte keine Vitalpunkte und keine ethischen Lehren. Es war ein praxisbezogenes System, das allein in der Selbstverteidigung seine Anwendung fand.<br.>Diese Grundzüge haben sich in allen folgenden okinawanischen Systemen erhalten und sind auch im heutigen karate noch erkennbar. Obwohl die okinawanischen Kampfsysteme der späteren Zeit immer mehr durch das quánfǎ beeinflusst wurden, behielten sie trotzdem ihre okinawanischen Eigenheiten.

Veränderung des Te zum Tōde (1470 - 1724)

In den folgenden Jahrhunderten standen die meisten Te-Konzepte unter einem starken Einfluss des quánfǎ, entwickelten sich aber nur langsam zum tōde. Zunächst hauptsächlich über die in Kumemura ansässigen Gesandtschaften aber auch über so manche gestrandete See- und Kaufleute, die immer neue Techniken des chinesischen quánfǎ nach Shuri, Tomari und Naha brachten.<br.>Doch eine Notwendigkeit, das te zu wirkungsvolleren Kriegstechniken zu entwickeln, bestand zunächst nicht. Im Land herrschte Frieden und das schwer arbeitende Volk hatte weder Zeit noch Interesse am Training von Kampftechniken. So wurde es weitgehend in den Adelsfamilien der anji bewahrt, die es beruflich verwendeten.<br.>Der okinawanische Adel war hauptsächlich für den Schutz des Königs, für die Wachen des königlichen Palastes und für die Verteidigung des Königreiches zuständig. Innerhalb ihrer Klans, entstanden familieneigene Te-Stile, die sich als Tradition bewahrten und teilweise bis heute überlieferten.<br.>Sicherlich haben die Jahrhunderte auch in diesen Stilen ihre Eindrücke hinterlassen, und sicherlich wurden seine Meister auch von fremden Systemen beeinflußt. Trotzdem kann man heute erkennen, dass in manchen okinawanischen Stilen die Grundzüge des te erhalten blieben. Dies hauptsächlich von Motobu Chōyu, der seinen Familienstil über Uehara Seikichi zum uehara motobu ryū und in Abstrichen zu Nakamura Shigeru (okinawa kenpō karate) überlieferte.<br.>Doch die meisten okinawischen Te-Stile veränderten sich durch den Einfluss des quánfǎ allmählich zum tōde. Diese Veränderungen gehen eng mit der Geschichte Okinawas einher und können erst in Betrachtung der historischen Ereignisse verstanden werden.

Zweite Shō-Dynastie (1470 - 1879)

Der okinawanische Finanzminister Kanamaru Uchima (1470 - 1476) putschte 1470 gegen seinen König Shō Toku (1461-1468), stürzte die Erste Shō-Dynastie, und errichtete unter dem Namen Shō En eine Zweite Shō-Dynastie. Die Zweite Shō-Dynastie sollte sich mit vielen politischen Turbulenzen über 19 Generationen bis 1879 erhalten.<br.>Zunächst aber kam 1477 König Shō Shin an die Macht und verordnete ein striktes Waffenverbot, sowohl für Adelige als auch für Bauern. Als Konsequenz intensivierten sich neben dem te erste Formen des kobujutsu, in dem Bauern und Fischern ihre Arbeitsgeräte zur Selbstverteidigung benuzten. Erneut durch die Chinesen, wurden entsprechende Techniken auf die Insel gebracht und es entstanden Kobujutsu-Systeme wie bōjutsu, saijutsu, tonfajutsu, nunchakujutsu u.a.<br.>Unter den Königen der zweiten Shō-Dynastie erblühte Okinawa bis 1609 sowohl kulturell als auch wirtschaftlich vor allem durch den Einflus der Chinesen. Das verhängnisvolle Datum Okinawas sollte der 5. April 1609 sein, als der japanische Satsuma-Klan die Insel eroberte.

Satsuma-Besatzung auf Okinawa (1609 - 1879)

Der Satsuma-Klan von Kyūshū, angeführt von der Shimazu-Familie, unterlag 1600 in der Schlacht von Sekigahara den Streitkräften von Tokugawa Ieyasu, durfte aber als tozama daimyō (Fürst von außerhalb) seine Hoheitsgebiete behalten. Da der Klan dem Tokugawa-Shōgun nach wie vor bedrohlich erschien, wurde ihm zum Ausgleich für die Niederlage erlaubt, die Insel Okinawa zu erobern. Im Jahre 1609 beendete die Satsuma-Invasion die Unabhängigkeit Okinawas und beanspruchte gleichzeitig die Vorherrschaft über alle Ryūkyū-Inseln.<br.>Shimazu Iehisa erließ mit sofortiger Wirkung eine ganze Reihe von beschränkenden Verordnungen für das Inselreich, u. a. ein erneutes Waffenverbot für alle okinawanischen Bürger. Der amtierende okinawanische König Shō Nei (1589 - 1620) wurde festgenommen und als Geisel nach Japan gebracht. Das Ryūkyū-Königreich wurde den Satsuma mit sofortiger Wirkung tributpflichtig.<br.>In der Gesellschaft herrschte Anarchie und Gesetzlosigkeit. Die Satsuma-Samurai zogen durchs Land und plünderten die Bevölkerung. Die Bauern konnten die hohen Tributforderungen an Reis, Korn und anderen Waren nicht erbringen, die von den Japanern gefordert wurden. Gleichzeitig mussten sie auch noch den Chinesen Tribut zahlen. Willkürliche Plünderungen, Vergewaltigungen und Selbstjustiz beherrschten das Land. Zum ersten Mal stand das okinawanische Volk einer feindlichen Besatzungsmacht gegenüber, gegen die es sich verteidigen musste.<br.>Diese Umstände intensivierten den Widerstand der Okinawaner gegen die japanischen Satsuma-Samurai. Doch sie waren weder oragnisiert, noch hatten das te die erforderliche Kraft, gegen einen kampferprobten samurai zu bestehen.<br.>Doch überall auf der Insel fanden zunehmlich mehr tätliche Auseinandersetzungen zwischen okinawanischen Bürgern und japanischen samurai statt. Die Okinawaner mussten sich einzeln gegen professionelle samurai zur Wehr setzen, die ständig ihre Existenz und Familie bedrohten.<br.>Die auf Okinawa stationierten Chinesen störte die Invasion der Satsuma zunächst nur wenig. Politisch geschwächt, war China damals nicht in der Lage, einen Krieg gegen Japan zu führen. Doch zunehmend mehr unterstützten sie die Okinawaner in ihrem Widerstand gegen die Satsuma.<br.>Schließlich wurden 1629 Geheimbünde gegründet, die zu einer gemeinsamen Front gegen die Satsuma mobilisierten. Darin vereinigten sich verschiedene Gemeinschaften des quánfǎ und des te, um den Widerstand gegen die Japaner zu organisieren. Doch es kam nie zu einem organisierten Aufstand gegen die Japaner.<br.>Durch die Verbindung mit dem quánfǎ wurde die Effizienz des te wesentlich gesteigert. Aus der Kombination der beiden entstand das tōde, dessen Ansatz auf der tatsächlichen Fähigkeit zum Kämpfen beruhte. Das tōde musste sich in realistischen Auseinandersetzungen bewähren und verwendete tödliche Techniken, die gegen die japanischen Invasoren angewendet wurden.

Tōde - Hand aus China

So veränderte sich das okinawanische te (Hand, Technik) durch den Einfluss des quánfǎ allmählich zum tōde (China-Hand), eine Bezeichnung, die sich ab 1629 immer mehr durchsetzte. Der Bezeichnung verweist darauf, dass es sich dabei um ein okinawanisches System mit chinesischen Einflüssen handelt. Das Schriftzeichen für 唐 bezeichnet „China“, de 手 ist eine phonetische Verzerrung des früheren te und bedeutet „Technik“ oder „Hand“. Dadurch entstand der Begriff tōde (Hand aus China), der eindeutig die Kombination des te mit dem quánfǎ belegt.<br.>Das ursprüngliche tōde, das in den Auseinandersetzungen der Okinawaner mit den japanischen Satsuma angewendet wurde, ist bis heute von Geheimhaltungen umgeben. In den ersten dreißig Jahren der Besatzung war es so geheim, dass nur nahe Verwandte von einem Meister darin unterrichtet wurden. Selbst die geschriebene Chronik der okinawanischen Kampfkünste wurde in jener Zeit angehalten und erst um 1700 wieder fortgeführt. So blieb die Zeit von fast 90 Jahren, in der das tōde und kobujutsu definiert wurde, in der Geschichte des Landes praktisch inexistent.

Die Kata des Tōde

Als sicher gilt, dass sich die Okinawaner aus den Quánfǎ-Formen der Chinesen inspirierten, sie aber in ihrem eigenen Kampfverständnis interpretierten. Zwar bewunderten sie die aus China importierten tàolù, doch die darin enthaltenen komplexen Inhalte konnten sie nicht nachvollziehen. Obwohl inzwischen manche von ihnen zu den in Kumemura angsiedelten Chinesen in die Lehre gingen, änderte sich in ihrem Kampfverständnis nicht viel.<br.>Sie übernahmen die Abläufe der chinesischen tàolù, doch wo sie hochentwickelten chinesischen Vitalstimulationen mit Finger-Techniken begegneten, schlossen sie zunächst aus Unverständnis die Hand und verwendeten Faustechniken, die sie am makiwara zu tödlichen Waffen perfektionierten. Sie waren noch nicht in der Lage die Komplexität der chinesischen tàolù nachzuvollziehen. So blieb die kata des tōde zwar das Zentrum der Ausbildung aber nach wie vor eine reine Technikübung.

Tōdejutsu und Kobujutsu - ein tödliches Kampfsystem (1609 - 1724)

Die meisten Okinawaner waren schwer arbeitende Bauern, aber auch jene, die aus höheren Gesellschaftsschichten stammten (Adel, Palastwachen, Beamte), übten die Kampftechniken lediglich aus praktischen Gründen. Sie entwickelten ihr Können darin ohne jedwelches ethische Beiwerk direkt zu tödlichen Waffen, denn sie wollten die ständigen Angriffe der Satsuma-Samurai überleben und ihre Familien und Dienstherren schützen. Obwohl immer zusammengehörend, unterscheidet man aus heutiger Sicht zwei Systeme:

  • Tōdejutsu 唐手術 (Technik der China-Hand) - Das tōdejutsu wurde bald zu einer tödlichen Waffe. Die Okinawaner, denen das Tragen von Waffen unter Androhung der Todesstrafe verboten war, wurden mit kampferprobten samurai konfrontiert, gegen die sie sich verteidigen mussten. Die einzige Möglichkeit dazu bestand im Gebrauch ihrer Arme und Beine. In intensivem Training wurden die Extremitäten gestählt, so dass sie selbst einen Samurai-Panzer durchdringen konnten.

Das tōde jener Zeit war als einfaches aber effektives System zum Töten gedacht. Es bestand aus einer extrem harten Körperdisziplin und der Ausbildung der Extremitäten zu tödlichen Körperwaffen. Das Zentrum des Trainings waren die kata, die sich nach chinesischen Vorgaben, aber mit eigenwilligen okinawanischen Inhalten entwickelten. Der erste bekannte Meister war Sakugawa Kanga (1733 - 1815), der in der Entwicklung des tōde zum okinawate eine entscheidende Rolle spielen sollte.

  • Kobujutsu 古武術 (Technik der alten Waffen) - Die Japaner merkten bald, dass die Okinawaner ihnen durch das tōde gefährlich werden konnten und unternahmen ständig Anstrengungen, die Tōde-Meister ausfindig zu machen. Sie stellten das Training des tōde unter Todesstrafe und kontrollierten die Bürger nach sichtbaren Zeichen von Makiwara-Training. Doch die Okinawaner benutzten zunehmend mehr ihre täglichen Arbeitsgeräte zur Verteidigung und funktionierten ihren Gebrauch in gefährliche Waffen um.

Legenden überliefern Berichte über einen Kobujutsu-Experten namens Akahachi Ōyakei[7], der auf der Insel Yaeyama den Umgang mit dem Langstock () lehrte. Ihm folgte Matsu Higa[8], der auf Hamahiga in den Waffen , tonfa und sai nachhaltige Überlieferungen hinterließ.

Reimyō tōde 霊妙唐手 und Shinpi tōde 神秘唐手

Die strenge Geheimhaltung, die jahrhundertelang wie ein undurchdringbarer Schleier über dem okinawanischen tōde lag, schob nicht nur den japanischen Interessen einen Riegel vor, sondern auch der okinawanischen Unterschicht, die zu den geheimgehaltenen dōjō der Tōde-Lehrer keinen Zugang hatte. Vom Tag der Satsuma-Invasion (1609) bis zu dem Tag, als Meister Funakoshi das okinawanische tōde in Japan vorstellte (1921), waren die Japaner erfolglos bemüht, den Schleier des Geheimen um das okinawanische Kampfsystem zu lüften.<br.>Durch viele Begegnungen der Satsuma-Samurai mit den Tōde-Experten, die oft mit dem Tod des samurai endeten, wusste das Volk um die ungeheure Wirkung dieser Kunst. Doch kein Uneingeweihter kannte die Praxis oder die Lehrer. Das tōde wurde innerhalb der Familien weitergegeben und nur engsten Vertrauten unterrichtet. Es entwickelte einen eigenen Kodex (kikotsu)[9] laut dem es dazu gedacht war, die Heimat zu verteidigen.<br.>Die einfachen Menschen konnten sich die außergewöhnliche Wirkung des tōde nicht erklären und nannten die Kunst reimyō tōde (wunderbare chinesische Kunst) oder shinpi tōde (unerklärbare mysteriöses Kunst). Die kata, das Herz des tōde, wurden streng geheimgehalten, und es galt als Landesverrat, sie in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Okinawanische Kampfkunst

Okinawanische Kampfkunst

Okinawate (uchinādi) 沖縄手

Veränderung der okinawanischen Kriegskunst zur Kampfkunst

Erst ab 1724 gibt es wieder aufgeschriebene Informationen über die okinawanischen Kampfsysteme. Es hatte sich viel von der anfänglichen Spannung gelegt, wofür im Vorfeld besonders König Shō Tei (1669 - 1709) sorgte, obwohl auch er nur eine Marionette der Satsuma war. Doch er setzte durch, dass höhere Stellungen im Staat wieder für Okinawaner zugänglich wurden und dass Okinawaner nach China reisen durften. Außerdem hatten viele der Satsuma-Samurai okinawanische Frauen geheiratet, was zu einer Annäherung der Japaner und Okinawaner führte. Doch es gab keineswegs Freundschaft, sondern bestenfalls einen Waffenstillstand.

Veränderung des Tōde zum Okinawate (1724 - 1921)

Durch die Entspannung der okinawanisch-japanischen Beziehungen nach 1700 konnten sich die Kontakte der Okinawaner zu den Chinesen intensivieren. Zunehmend mehr chinesische Delegationen reisten nach Okinawa, viele Militärs, Sicherheitsexperten und Kampfkunstmeister befanden sich unter ihnen.<br.>In diesem Zeitraum begannen chinesische Quánfǎ-Meister okinawanische Tōde-Experten als Schüler anzunehmen und unterrichteten sie in den Praktiken des quánfǎ. Sakiyama Yoshinori, Gushi und Tomoyose (aus Naha) lernten bei Ason[10]. Matsumura Sōkon (aus Shuri), Maezato und Kojō (beide aus Kumemura) studierten bei Iwah[11]. Shimabukuro (aus Uemonden), Higa, Senaha, Gushi, Nagahama, Aragaki, Higashionna Kanryō und Kuwae (alle aus Kunenboya) studierten bei Waichinzan[12]. Gusukuma, Kanagusuku und Oyadomari Kōkan studierten bei Shionja[13]. Matsumora Kōsaku, Yamazatō Kiki und Oyadomari Kōkan studierten bei Anan[14], Sakugawa Kanga und Yara Chatan studierten bei Kūshankū[15].<br.>Das okinawanische tōde sollte sich durch den Einfluss der Quánfǎ-Lehrer radikal verändern. Bezeichnend für die Veränderung des tōde zum okinawate erzählt Richard Kim eine Geschichte über die erste Begegnung zwischen Sakugawa Kanga und Kūshankū: „Als Sakugawa eines Tages spazieren ging, sah er einen Chinesen, der am Flussufer meditierte. Er wollte ihm einen Streich spielen und von hinten ins Wasser stoßen. Doch der Chinese reagierte und überwältigte Sakugawa mit wenigen Handgriffen. Nachdem er ihn zur Rede stellte und erfuhr, dass Sakugawa ein Tōde-Meister war sagte er zu ihm: `Besuche mich in Kumemura und ich bringe dir nicht nur das WIE, sondern auch das WARUM der Kampfkünste bei´.“<br.>Diese Geschichte steht als Beispiel für die Entstehung des okinawate. Das, was es vom früheren tōde unterschied, waren seine Inhalte. Durch die Weiterbildung der Okinawaner entwickelte sich aus einer reinen Kriegsmethode eine Kampfkunst mit ethischen Werten. Man kann die Veränderungen des tōde zum okinawate an folgenden Punkten festmachen:

Bilder: Matsu Higa, Sakugawa Kanga, Kūshankū (ca. 1750)

Kumemura 久米村 - erneuerte Einflüsse (ab 1724)

Kumemura, das bereits seit 1392 das bedeutendste chinesische Zentrum für Bildung, Handel und Kulturaustausch auf Okinawa war, sollte mit Beginn des 18. Jahrhunderts eine neue Rolle in der Entwicklung der okinawanischen Kampfsysteme zu spielen. Denn inzwischen lebten dort nicht nur chinesische Diplomaten, sondern auch aristokratisch privilegierte Okinawaner, die in der chinesischen Sprache, Kultur und Technologie eine intensive Ausbildung erfuhren.<br.>Während die Chinesen ihre okinawanischen Schüler in Kumemura unterrichteten, ermutigten sie diese gleichzeitig nach China zu reisen, um dort ihr Wissen und Können in den chinesischen Künsten zu vertiefen. Auf ihren Handelsreisen und Tributmissionen nahmen sie oft ihre besten okinawanischen Schüler als Austauschstudenten nach China mit. Auf diese Weise gelangten Okinawaner nach Běijīng, Nánjīng, Shànghǎi und vor allem nach Fúzhōu.<br.>Fúzhōu ist die Hauptstadt der südchinesische Provinz Fújiàn von der ausgehend die wichtigsten Beeinflussungen der okinawanischen Kampfsysteme durch das chinesische quánfǎ stattfanden. Bei der Tributüberbringung nach China war Fúzhōu stets der erste Hafen, denn alle Schiffe aus Okinawa anlaufen mussten. Daher war es nachvollziebar, dass sich in Fúzhōu bald eine okinawanische Siedlung gründete, die in der Veränderung der okinawanischen Systeme eine wichtige Rolle spielte.<br.>Im Vorfeld dieser Entwicklungen ist der Name Kojō Oyakata[16] zu nennen, auf den das kojō ryū zurückgeht. Der okinawanische Oyakata (Prinzen-Titel) lebte von Anfang an angelehnt an die „36 Familien“ aus Kumemura in einer privilegierten Stellung und reiste bereits 1665 nach China, um die chinesischen Künste zu studieren. In Folge entstand die Tradition des kojō ryū, die auf Okinawa bis heute die chinesische Quánfǎ-Methoden vertritt.<br.>Eine ähnliche Rolle spielte der frühe Oyakata Nakaima Norisato, der als einer der ersten Okinawaner 1870 nach China reiste und nach seiner Rückkehr das ryūei ryū gründete.

Ryūkyūkan 琉球館 - okinawanische Enklave in China

Im selben Atemzug mit Kumemura muss die okinawanische Siedlung Ryūkyūkan, in der Nähe der Hauptstadt Fúzhōu in der chinesischen Provinz Fújiàn genannt werden, in der Studenten aus Okinawa (uchinānchu ryūgakusei) eine gemeinsame Anlaufstelle fanden. Die Siedlung entstand Anfang des 18. Jahrhunderts, im Zeichen des Kulturaustausches und der guten Handelsbeziehungen zwischen China und Okinawa. Bald fand man ähnliche Siedlungen auch in weiteren chinesischen Städten. Doch die Siedlung Ryūkyūkan blieb die bedeutendste Niederlassung der Okinawaner in China.<br.>Beginnend mit Sakugawa Kanga (1733 - 1815) und Yara Chatan (1760 - 1812), gefolgt von Uechi Kanbun (1877 - 1948), Matsumura Sōkon (1792 - 1896) u.a. folgten weitere Okinawaner dem Rat ihrer Lehrer und lernten in China Kampfkunst, Medizin und Philosophie. Nicht alle waren mit dem Ryūkyūkan verbunden, manche fanden chinesische Lehrer außerhalb der Siedlung. Im 18. Jahrhundert tauchen die Namen von chinesischen Lehrern auf, die einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des tōde zum okinawate nehmen sollten.<br.>Manche von ihnen sind nur mythologisch zu erfassen (Anan, Ryū Ryō Kō[17]) andere, wie Shushiwa[18] sind mehr oder weniger geschichtlich dokumentiert. Doch unabhängig davon veränderten diese Chinesen die Mentalität der okinawanischen Kampfkünste, indem sie ihre okinawanischen Schüler in die chinesischen Künste und Wissenschaften einführten.<br.>Zurück auf Okinawa unterrichteten die okinawanischen Studenten ihre Mitbürger in den chinesischen Künsten. Ihnen allen lag ihr heimisches tōde zugrunde, doch sie füllten es mit den aus China neu gewonnenen Erkenntnissen. Dadurch veränderte sich die okinawanische Kriegskunst (tōde) allmählich zur Kampfkunst (okinawate).

Bilder: Ryū Ryō Kō (1852 - 1930), Shūshiwa (1874 - 1926)

Bubushi 武備志 - überlieferte Kopien aus dem 19. Jahrhundert

Bezeichnend für diese Veränderung waren auch die Kopien des chinesischen Dokuments wǔbèizhì (bubishi), das im 19. Jahrhundert auf Fújiàn sehr verbreitet war. Das Original wurde bereits von den „36 Familien“ im Jahre 1392 nach Okinawa gebracht, doch es blieb in den okinawanischen Archiven verschlossen.<br.>Inzwischen hatten viele chinesische Quánfǎ-Lehrer die alte Schrift mit persönlichen Interpetationen verändert und eigene Versionen in Umlauf gebracht. Das zweite Dokument ist eine reduzierte Abschrift des ersten und erläutert hauptsächlich die Techniken des báihèquán (weiße Kranichfaust) aus dem Dorf Yǒngchūn als yǒngchūnquán[19]. Auch hier fließt Wissen aus verschiedenen nördlichen Shǎolín-Quellen mit ein, doch war es der Zeichenkunst des chinesischen Verfassers überlassen, wie genau sie ihre Interpretationen darstellen konnten.<br.>In mehreren Fällen gelangten auch die okinawanischen Studenten an die inzwischen unterschiedlichen Wǔbèizhì-Dokumente. Erneut lag es an ihren künstlerischen Fähigkeiten, diese Dokumente in Handzeichnungen zu kopieren diesen die korrekten Übersetzungen zuzuweisen. Auf diese Weise wurden mehrere Bubishi-Abschriften mit recht ungenauen Nachzeichnungen und zweifelhaften Übersetzungen vielfältig auf Okinawa verbreitet.<br.>Zu jener Zeit wurden die Bubishi-Kopien als Geheimdukumente betrachtet, zumal manche von ihnen Kräutermedizin und Vitalpunktlehre (kyūsho) enthalten. Heute weiß man, dass diese Manuskripte in hohem Maß fehlerhaft sind und verfügt inzwischen über andere Quellen. Trotz aller Widersprüche haben diese Dokumente das okinawanische tōde in jener Zeit erheblich beeinflusst.<br.>Die Geschichtsforscher betrachten dieses über lange Zeit geheim gehaltene Dokument als die erste schriftlich dokumentierte Beeinflussung des okinawanischen tōde durch das chinesische quánfǎ.

Okinawate (uchinādi) - Technik aus Okinawa

Das okinawate (uchinādi - Hand / Technik von Okinawa) entwickelte sich ab dem 18. Jahrhundert durch die Veränderung des rein kriegerischen tōde zu einer Kampfkunst mit ethischen Werten. Erst durch die Weiterbildung der Tōde-Experten unter den chinesischen Quánfǎ-Lehrern konnte ein solches System entstehen.<br.>Obwohl der Einfluss des quánfǎ auf das tōde nie größer war, als in jener Zeit, besannen sich die Okinawaner auf ihre eigene Tradition und nannten das System okinawate, (uchinādi) und schrieben es mit den Schriftzeichen für Okinawa (沖縄) und für Hand / Technik (手). Das frühere Schriftzeichen für China (唐) fand zunehmend weniger Verwendung.<br.>Der Zeitpunkt der großen Reformation des okinawanischen tōde, zum okinawate hatte begonnen. Man kann heute darüber streiten, ob das okinawate so eindeutig auf die okinawanischen Meister zurückgeführt werden kann, denn es ist eigentlich eine Kombination aus tōde und quánfǎ. Das tōde bildete die Wurzeln, das quánfǎ die Quellen seiner Zusammenstellung. Nur beides zusammen ergibt das, was man als okinawate bezeichnet. Das Zentrum jeder Übung war die kata.

Die Kata 型 / 形 - verändertes Formenkonzept im Okinawate

Die okinawanische kata als reine Form gab es auch im tōde, doch erst der späte Einfluss der Chinesen sollte sie zu Übungsmodellen machen, in denen eine Selbststudium enthalten war. Gleich den shǎolínischen tàolù, entwickelten sie sich jenseits ihrer kämpferischen Inhalte (ōyō) zu tiefgründigen Methoden der Selbsterfahrung, aufgebaut auf den chinesischen Gesundheitslehren und Philosophien.<br.>Das okinawanische Kata-Konzept des 19. Jahrhunderts unterscheidet sich wesentlich von den kata der vergangenen Jahrhunderte. Durch die Weiterbildung der Tōde-Lehrer konnten die okinawanischen kata mit den Inhalten der tàolù gleichziehen.<br.>Der philosophische Begriff für die chinesischen Formen des quánfǎ lautet tàolù. Die Schriftzeichen bezeichnen ein Behältnis (tào - 套) für den Weg ( - 路), und binden an das komplexe Formensystem des shaolinischen quánfǎ an.<br.>Tatsächlich waren die tàolù das „Gefäß“, in dem vertiefete Inhalte des quánfǎ nach Okinawa gebracht wurden. Auch wenn die Okinawaner sie am Anfang nur als „Formablauf“ (kata 型) verstanden, veränderte sich ihr Bewusstsein und begann nach Sinn und Inhalt zu suchen. Später bezeichnete man sie mit dem Begriff „Form mit Inhalt“ (katachi 形). Auch heute kann man die kata nicht als reine Formabläufe (genkyo) oder Technik-Anwendungen (ōyō) verstehen, denn ihr Geheimis offenbart sich nur in einer wirklichen Meisterlehre (shitei).<br.>Die kata blieben das größte Geheimnis der okinawanischen Kampfkünste. Selbst im Jahre 1905, als Itosu Yasutsune die okinawanische kata in den öffentlichen Schulen Okinawas als Gesundheitsübung einführte, gab es großen Protest von anderen Meistern. Itosu isolierte die kämpferischen Aspekte aus seinen Kata-Kreationen und gründete spezielle Formen (pinan später heian), die nur zur gymnastischen Übung und Gesunderhaltung gedacht waren. Diese Methoden sind bis heute die Grundlage zum japanischen shōtōkan ryū.

Grundkonzepte des Okinawate

Aus dem quánfǎ wurden mehrere Auffassungen nach Okinawa überliefert. Hauptsächlich waren die Shǎolín-Systeme des hèquán (Kranichstil), besonders báihèquán (weißer Kranich), mínghèquán (singender / schreiender Kranich) und zōnghèquán (schüttelnder / springender Krachich) von Bedeutung. Aus diesem System gelangten viele Prinzipien und maßgebliche kata nach Okinawa.<br.>Gleichermaßen bedeutend für die okinawanischen Systeme war der Tigerstil (hūquán) und der Drachenstil (lóngquán). Weitere Einflüsse erfolgten aus dem lúohànquán und einigen Systemen der nèijiā, wie xíngyìquán und bāguàquán.<br.>Je nach den Beeinflussungen der Tōde-Meister durch ihre chinesischen Lehrer, begannen sich allmählich Unterschiede in den okinawanischen Konzepten herauszubilden. Man machte sie stets am Namen der okinawanischen Lehrer fest und benannte ihre Auffassungen nach dem Ort, in dem sie ansässig waren. Nach gängiger Einteilung fasst man die Stile aus Shuri (shurite) und Tomari (tomarite) unter dem Begriff shōrin ryū zusammen, während man die Systeme aus Naha als shōrei ryū bezeichnet.<br.>Doch diese Einteilung ist sehr vage, den in Wirklichkeit beeinflussten sich alle Systeme gegenseitig. Zusätzlich gab es reine Familienstile, die die Tradition das alte te bewahrten (motobu ryū), andere folgten ausschließlich den Lehren des quánfǎ (kojō ryū, uechi ryū oder ryūei ryū).

Shōrin ryū 小林流 oder 少林流 - kleine Waldschule

Der Begriff shōrin bedeutet in der Übersetzung „Junge Waldschule“ und ist die okinawanische Aussprache für shǎolín (shōrei bedeutet in einem anderen okinawanischen Dialekt auch shǎolín).

  • Shurite (suidi) 首里手 - die Hand aus Shuri - Shuri war die Hauptstadt in der der König und die Mitglieder des Adels (shizoku) lebten, wodurch die Systeme aus Shuri lange Zeit als das Zentrum der okinawanischen Kampfkünste galten. Der erste Name, der genannt wird, ist der von Sakugawa Kanga aus Shuri. Ihm folgten in der Reihenfolge Matsumura Sōkon, Azatō Yasutsune und Itosu Yasutsune.

Bilder: Matsumura Sōkon (1792 - 1896), Azatō Yasutsune (1827 - 1906), Itosu Yasutsune (1830 - 1916)

  • Tomarite (tuimadi) 泊手 - die Hand aus Tomari - Tomari war ein Fischerdorf in unmittelbarer Nähe zu Shuri. Die Bezeichnung tomarite wird für die okinawanischen Kampfkonzepte gebraucht, die in den Schulen aus Tomari und Umgebung unterrichtet wurde. Sie hatten keine aristokratische Beeinflussung, Chinesen die in Tomari landeten waren oft Schiffbrüchige oder Seeleute. Hauptsächlich für die Entwicklung des tomarite waren Oyadomari Kōkan und Matsumora Kōsaku.

Bilder: Oyadomari Kōkan (1831-1905), Matsumora Kōsaku (1829-1898), Kyan Chōtoku (1870 - 1945)

Shōrei ryū 昭霊流 -

Der Begriff bezeichnet die okinawanischen Systeme, die erheblich vom Konzept den inneren Schulen des quánfǎ (nèijiā) beeinflusst wurden. Shōrei ryū ist eine Zusammenfassung der frühen Schulen aus Naha (Ason) und der später enstandenen Stile mit unterschiedlichen Auffassungen.

  • Nahate 那覇手 - die Hand aus Naha - Naha ist die heutige Hauptstadt Okinawas mit etwa 300.000 Einwohner. Die Stadt setzt sich aus dem alten Naha, der ehemaligen Hauptstadt Shuri und der Hafenstadt Tomari zusammen.

Die Kampfsysteme aus Naha (nahate) verbinden ihre Geschichte mit dem Namen des Kampfkunstexperten Higashionna Kanryō, aber auch mit Nakaima Norisato, Uechi Kanbun, u.a.


Bilder: Higashionna Kanryō (1853 - 1916), Nakaima Norisato (1819 - 1897), Uechi Kanbun (1877 - 1948)

Bild: Tabelle der okinawanischen Hauptrichtungen.

Entstehung der okinawanischen Stile

Es liegt nicht in unserer Absicht, in diesem Artikel ausführlich auf die Geschichte der okinawanischen Kampfkünste[1] einzugehen. Wir betrachten diese hier nur soweit, wie es notwendig ist, um ihre Strukturen und vielfältigen Kampfauffassungen zu verstehen.<br.>Dies ist insoweit von Bedeutung, da die vielfältigen Varianten der okinawanischen Kampfkünste nur über ihre Geschichte erklärbar und die Unterschiede zu den heutigen Kampfsportarten nur auf diese Weise deutlich werden.

Bilder: Aragaki Ankichi (1899 - 1927), Chibana Chōshin (1885 - 1969), Nagamine Chōshin ( )

Okinawanischer Kampfsport

Okinawanischer Kampfsport

Die okinawanische Kampfkunst wurde zu Anfang des 20. Jahrhunderts von okinawanischen Lehrern nach Japan gebracht. Dort unterlag sie mehreren Veränderungen und entwickelte sich nach einigen Jahrzehnten zum karatedō, einer Kampfsportart im sinne des japanischen budō.

Japanisches Karate 空手

Vom Okinawate zum Karate (1921)

Im Jahr 1921 wurde das okinawanische karate unter der Bezeichnung tōde jutsu von Gichin Funakoshi nach Japan gebracht. Doch als ausländische Kunst mit chinesischen Wurzeln hatte es keine Chance, man erwartete, dass es sich zu einem japanischen System erklärt und sich den Statuten des butokukai anpasst.<br.>Funakoshi suchte daher die Anerkennung seiner Kunst durch den butokukai, die nach vielen Kompromissen schließlich mit der Hilfe von Kanō Jigorō aus dem kōdōkan gelang. Funakoshis Lehre enthielt noch den gesamten Umfang an Werten, die in den okinawanischen Kampfkünsten von Bedeutung waren.<br.>Doch Kanō war bestrebt, das japanische bujutsu (Technik der Krieger) in budō (Weg der Krieger) zu verändern und alle Systeme unter einem gemeinsamen Regelwerk des butokukai zu zentralisieren. Politische Interessen drängten ihn, die japanischen Kriegskünste mit systematisierten Inhalten in Schubladen aufzuteilen um sie auf diese Weise sportfähig zu machen.<br.>Durchaus wollte Kanō die Budō-Systeme als Kampfkunst erhalten, doch die neu etablierten Systeme als Kampfsport folgten automatisch einem eigenen Weg. Die Systeme jūdō, aikidō, kendō, kyūdō, karatedō und viele weitere, die sich als Sport zu etablieren begannen, unterlagen dem Wettkampfzwang und veränderten ihre Inhalte. Das Training in den weltweit verbreiteten Schulen und Vereinen ist heute lediglich ein Sport. Genau genommen haben diese Systeme weder mit dem bujutsu der Krieger noch mit Kanōs budō etwas zu tun.

Pioniere aus Okinawa

Funakoshi Gichin (shōtōkan) war der erste, der 1921 nach Japan kam. Ihm folgten 1928 Mabuni Kenwa (shitō ryū) und 1929 Miyagi Chōjun (gōjū ryū). Auf unterschiedliche Weisen versuchten sie ihre Auffassungen zu verbreiten, doch ihre Schüler veränderten die okinawanischen Konzepte almmählich in japanische Budō-Sportarten, die als solche weltweite Verbreitung fanden.

Bilder: Funakoshi Gichin (1869 - 1957), Miyagi Chōjun (1888 - 1953), Mabuni Kenwa (1889 - 1953)

Karatedō 空手道

Karate wird zum Wettkampf (ca. 1950)

Die Nachfolger der okinawanischen Lehrer gründeten in eigener Regie die vier großen japanischen Wettkampfstile, die später der ganzen Welt als karatedō bekannt wurden. Diese waren shōtōkan ryū (Nakayama Masatoshi), gōjū ryū (Yamaguchi Gōgen), shitō ryū (Mabuni Kenwa) und wadō ryū (Ōtsuka Hironori). Etwas später etablierte sich auch kyokushin ryū (Ōyama Masutatsu) als eines der grösten Wettkampfsysteme der Welt.

Bilder: Nakayama Masatoshi (1913 - 1987)Ōtsuka Hironori (1892 - 1982), Yamaguchi Gōgen (1909 - 1989)

Bilder: Egami Shigeru (1912 - 1981), Kanazawa Hirokazu (1931 - ), Ōyama Masutatsu (1923 - 1994)

Anmerkungen und Verweise

[2] Anji 按司 - okinawanische Distriktfürsten und Prinzen, nahe Verwandte (Onkel oder Brüder) des okinawanischen Königs. Die Hierarchie der Gesellschaft Okinawas in der Feudalzeit wurde durch eine genau abgegrenzte Klassenstruktur gekennzeichnet. An der Spitze stand der okinawanische König und die Mitglieder der königlichen Familie (anji oder aji). Ihnen folgten die shizoku (privilegierte Klasse des mittleren und bürgerlichen Adels).

[3] 36 Familien - der Begriff bezeichnet eine Gesandtschaft des chinesischen Ming-Kaisers nach Okinawa, die ab 1392 auf dem Inselstaat Tribut eintreiben sollte. Die Gesandtschaft siedelte in zweijährigem Abstand in Kumemura, und sollte die okinawanische Kultur in vielfältiger Weise beeinflussen.

[4] Hashi 巴志 - Fürst von Chūzan (1422 - 1439), der 1416 Hokuzan und 1429 Nanzan eroberte und Okinawa einte. Bereits im Jahre 1421 hatte er vom Ming-Kaiser den Zunamen „Shō“ 尚 (chin. Shang) erhalten und bezeichnete sich weiterfolgend als „Shō Hashi“ 尚巴志 (chin. „Shang Bazhi“). Shō Hashi war der Gründer der ersten Shō-Dynastie (1429 - 1469).

[5] Waffendekret - das erste Waffendekret erfolgte unter König Shō Hashi (1429), ein zweites wurde 1477 von König Shō Shin erlassen. Ein drittes Waffenvorbot wurde 1609 nach der Eroberung Okinawas durch die Satsuma verhängt. Die Waffenverbote förderten die Entwicklung des okinawanischen kobujutsu.

[6] Wanshū (Wansu, Wangji, jap. Oshu) 汪楫 oder 晩愁 - chinesischer Kampfkunstexperte (1621 - 1689) der nördlichen Systeme (beitui) des quánfǎ. Wanshū kam 1683 als einer der ersten Chinesen nach Tomari, blieb 6 Monate (nach Sakagami, 1978) und brachte (nach unbestätigten Theorien) die Kata wanshū mit, die später im shōtōkan ryū als enpi bezeichnet wurde.

[7] Akahachi Ōyakei 赤蜂大屋慶 - okinawanischer Experte des bō in der Frühzeit (vor 1600), ein Stammeshäuptling auf einer der Yaeyama-Inseln. Ihm schreibt man die erste systematisierte okinawanische kata für bō (Langstock) und eiku (Ruder) zu.

[8] Matsu Higa - früher okinawanischer Experte des kobujutsu (ca. 1700), besonders in den Waffen bō, tonfa und sai. Man weiß wenig über ihn, der Name ist vielleicht nur eine Symbolfigur für das kobujutsu von Hamahiga. Manche vermuten, dass er der Lehrer von Takahara Peichin war, der danach Sakugawa Kanga, den Lehrer von Matsumura Sōkon unterrichtete.

[9] Kikotsu 気骨 - wörtlich „Rückgrad“, „Charakterstärke“, „Standfestigkeit“ (kotsu), stand inm Japan während der Tokugawa-Zeit (1600) sinngemäß für den Moral- und Ehrenkodex der japanischen Stadtbewohner, entgegen dem Kriegerkodex (bushidō). Auf Okinawa wurde der Begriff entliehen und entwickelte sich zum Kodex des okinawanischen Widerstandes gegen die Satsuma.

[10] Ason アソン - chinesischer Quánfǎ-Meister aus Kumemura, der die naihanchi kata überlieferte. Er gab sie zunächst über Sakiyama an Tomigusuku weiter, der aber die Erbfolge des Stils unterbrach. Spätere Schüler von Ason waren Gushi, Nagahama und Tomoyose. Die naihanchi, auf der das ursprüngliche nahate aufgebaut war, überlieferte sich danach ins shōrin ryū, wo sie zu der heute bekannten tekki verändert wurde.

[11] Iwah (Hi Houa) - früher chinesischer Lehrer des quánfǎ, der zeitweise auf Okinawa lebte und besonders über Matsumura Sōkon und Kojō Isei das okinawanische tōde zum okinawate beeinflußte. Iwah war zusammen mit Waichinzan auch einige Jahre Übungsleiter am Ryūkyūkan in Fúzhōu. Dort begegnete er Matsumura Sōkon, der in nach Okinawa mitbrachte. Weitere Schüler von Iwah waren Kogusuku (Kojō Kahō), Aragaki Kamadeunchu (Niigaki) und Maezato Ranhō aus Kumemura.

[12] Waichinzan (Wai Xin Xian / Woo Lu Chin) 准振山 (ワイシンザン) - chinesischer Militärattache, der sich einige Jahre lang auf Okinawa aufhielt und mehrere Okinawaner im quánfǎ (luóhànquán und xíngyìquán) unterrichtete.

[13] Shionja (Tchouen K´ia) 潮平 - auch Shiohira, mystische Gestalt, mit umstrittener Existenz. Im Jahre 1762 strandete eine Tributschiff der Satsuma auf seinem Weg nach Okinawa bei Tōsa (Shikoku) und und verblieb im Zuge dringendet Reparaturarbeiten einen Monat lang im Hafen. Ein ortsansässiger konfuzianischer Gelehrte (Tobe Ryōen, 1713-1795) befragte die Schiffsinsassen und hielt ihre Aussagen in einem Textfragment fest, das heute als ōshima hikki bekannt ist. Darin kommt ein Mann namens Shionja zu Wort, der Aussagen über die okinawanischen Kampfkünste, u.a. über Kūshankū macht. Inwieweit Shionja selbst ein Kampfkunstmeister war, ist heute nicht zu klären. Im Verlauf der späteren Jahre wurde Shionja immer mehr zur Legände und manche vermuteten, dass er identisch mit Anan oder Chintō ist.

[14] Anan (Annan / Chanan) 安南 - geschichtlich unbestätigter Quánfǎ-Experte aus Fújiàn, der möglicherweise im 19. Jahrhundert auf Okinawa (Tomari) strandete und Matsumora Kōsaku, Oyadomari Kōkan, und Yamazatō Kiki unterrichtete.

[15] Kūshankū (Kōsokūn) 公相君 - chinesischer Kampfkunstexperte des nördlichen shǎolínquán, Überlieferer der gleichnamigen kūshankū kata nach Okinawa. Man vermutet, dass er als chinesischer Militärattache im Jahre 1756 im Zuge der chinesisch-okinawanischen Handelsbeziehungen als Gesandter des chinesischen Ming-Kaisers nach Okinawa kam und sich dort bis 1762 aufhielt. Man spricht ihm auch die Einführung der zurückgezogenen Hand an der Hüfte (hikite) und einer Form des kumite (kumiai jutsu) zu.

[16] Kojō Oyakata 湖城親方 - okinawanischer Tōde-Meister, aus der Familientradition der „36 Familien“, ging bereits1665 nach China und studierte verschiedene Kampfkünste, die in Folge das tōde beeinflussten. Nach seiner Rückkehr nach Okinawa gründete er seinen Familienstil, kojō ryū, der bis heute hauptsächlich das chinesische quánfǎ repräsentiert.

[17] Ryū Ryō Kō 劉竜公 (Ryuryu Ko, 如如哥) - chinesische Quánfǎ-Meister (1852 - 1930), geschichtlich schwer zu identifizieren, seine Existenz ist aber unbestritten. Er war ein Meister des báihèquán (weißer Kranich) und entwickelte daraus den Stil mínghèquán (singender / schreiender Kranich). 1870 nahm er Nakaima Norisato und 1874 Higashionna Kanryō als Schüler an, die später die chinesische Tradition im okinawanischen tōde verbreiteten.

[18] Shūshiwa (Chou Tsu Ho) 周子和 - okinawanischer Name für den chinesischen Lehrer (1874 - 1926) von Uechi Kanbun, er damit den okinawanische Stil pangai nun Ursprungsquelle der später in Okinawa gegründeten Auffassung uechi ryū gründete. Shūshiwa war ein Meister der Kräutermedizin, der Kalligraphie und Malerei. Er beherrschte die chinesischen Tier-Stile (wǔqínquán) des Drachen (lóng), des Tigers (hū) und des Kranichs (hè), ebenso wie die Kunst der diǎnxuè.

[19] Yǒngchūnquán 詠春拳 - im aktuellen Sprachgebrauch wingchun, wurde während der Qingqianlong-Periode (1736 - 1796) aus dem südlichen weißen Kranichstil (báihèquán) abgeleitet. Es heißt, dass yǒngchūnquán von der Dame Yan Yong Chun gegründet wurde, die die südlichen weißen Kranichtechniken in den Bergen der Provinz Yúnnán von der buddhistischen Nonne Wumei lernte. Wumeis ursprünglicher Name war Lu Si Niang. Später brachte die Dame Yǒng Chūn die Techniken zurück nach Kanton, wo aus ihnen yǒngchūnquán entstand.

[20] Geschichte der okinawanischen Kampfkünste - siehe „Lexikon der Kampfkünste“, „Okinawa Karate“ und „Budopedia.de“

Studien Informationen

Siehe auch: Okinawa | Okinawanische Kriegskunst | Okinawanische Kampfkunst | Okinawanischer Kampfsport

Literatur

  • George H. Kerr: Okinawa - The Hisory of an Island People. Tuttle 2000.
  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2009.
  • Werner Lind: Okinawa Karate. Sportverlag Berlin 1998.
  • Werner Lind: Karate Kumite. BSK-Verlag 2014.
  • Shoshin Nagamine: The Essence of Okinawan Karate. Tuttle 1976.
  • Richard Kim:The Weaponless Warriors. Ohara 1974.
  • Morio Higaonna: Okinawa Goju ryū. Minamoto Research, 1985.
  • Mark Bishop: Okinawan Karate. A & B Black 1989.
  • Pierre Portocarrero: Tode les origines du Karate do. Sedirep.
  • George W. Alexander: Okinawa Island of Karate. Yamazato 1991.
  • Kenji Tokitsu: Histoire du Karate do. SEM 1979.
  • Hokama Tetsuhiro: Timeline of Karate history. 2007.