Ryū: Unterschied zwischen den Versionen

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==Die  Situation der Kampfkünste in Japan==
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'''Ryū''' (jap. 流), auch ''ru'', ''nagare'', ''nagasu'',  bedeutet Schule, Strom, Strömung, Kunstrichtung, Fachrichtung, Stilrichtung, Fließen, Strömen, und ist eine Schulungsmethode der Stile in der Tradition des ''[[bujutsu]]'' und ''[[budō]]''.
  
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== Die Situation der Kampfkünste in Japan ==
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Der Begriff ''bujutsu'' bezeichnet die [[japanische Kriegskunst]] und ist vom Anbeginn der [[Japanische Geschichte|japanischen Geschichte]] zusammen mit den Begriffen ''[[kyūba no michi]]'' (Weg des Bogens und des Pferdes) und später ''[[bushidō]]'' (Weg des Kriegers) der wesentliche Leitfaden in der Entwicklung der japanischen Gesellschaft. Die ''[[samurai]]'', die ''bujutsu'' praktizierten und sich durch ''bushidō'' läuterten, waren der Inbegriff für alle gesellschaftlichen Ideale - sie standen an der Spitze der sozialen Hierarchie und beeinflussten über zwei Jahrtausende als einzige die Geschicke des japanischen Reiches.
  
Der  Begriff bujutsu bezeichnet die [[japanische Kriegskunst]] und ist  vom Anbeginn der japanischen Geschichte zusammen mit den Begriffen ''[[kyūba no michi]]'' (Weg des Bogens und des Pferdes) und später ''[[bushidō]]'' (Weg des Kriegers) der wesentliche Leitfaden in der Entwicklung der  japanischen Gesellschaft. Die ''samurai'', die ''bujutsu'' praktizierten und sich durch ''bushidō'' läuterten, waren der Inbegriff für  alle gesellschaftlichen Ideale - sie standen an der Spitze der sozialen  Hierarchie und beeinflussten über zwei Jahrtausende als einzige die  Geschicke des japanischen Reiches.
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== Die alten japanischen Ryū ==
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Die Hauptstile des japanischen ''bujutsu'' werden als ''ryū'' (Fachrichtung, Stilrichtung oder Schulungsmethode) bezeichnet. Traditionell enthält jedes japanische ''ryū'' eine große Anzahl von bewaffneten (''[[buki no bu]]'') und unbewaffneten (''[[toshu no bu]]'') Verfahren. Entsprechend dem Meister, der sie lehrt, unterteilen sie sich in verschiedene Zweige, die ''[[ryū ha]]''.
  
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Mehr als ein Jahrtausend gründeten die japanischen Meister unaufhörlich neue Kampfmethoden. Vor der [[Japanische Geschichte#Kindai - japanische Moderne|Meiji]]-Restauration (1868) gab es eine große Anzahl von ''ryū'' (etwa 9.000), von denen viele geheim waren und nur wenige Schüler (''ryūsha'') hatten, während andere öffentlich unterrichtet wurden. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts zählte man immer noch über 1.000 ''ryū'' in Japan, von denen die meisten dem ''[[kenjutsu]]'' (Schwertkampf) angehörten. Die Mehrzahl dieser ''ryū'' wurde von adeligen ''[[bushi]]'' (Krieger) gegründet, manch andere aber auch von ''[[rōnin]]'' (herren- und daher arbeitslose Krieger) oder von „gewöhnlichen“ Menschen aus der unteren Bevölkerungsschicht. Jedes ''ryū'' bezog seine Anhänger aus jener sozialen Schicht, aus der auch der Gründer stammte. Der Sitz befand sich dort, wo sich der Stilgründer (''[[shosei]]'' oder ''[[shodai]]'') aufhielt. Die meisten ''[[dōjō]]'' befanden sich aber in der Nähe der Regierungssitze der Landesfürsten (''[[daimyō]]'') oder in den großen Städten.
  
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== Die Ryū der Krieger ==
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Dementsprechend gehörten die meisten japanischen ''ryū'' zu den Familien der japanischen Fürsten (''daimyō'') und enthielten ein breites Spektrum an bewaffneten und unbewaffneten Kampftechniken, vor allem aber auch Taktiken der Kriegsführung. Die maßgeblichen Meister dieser ''ryū'' befanden sich im Dienste der ''daimyō'' und hatten am Hof die Funktion eines persönlichen Beraters und die Aufgabe, den Generalstab des Heeres im Kampf und in der Kriegsführung auszubilden. Sie galten als weise Menschen, waren allseits umworben und stets hoch verehrt. Es gab in Japan kaum einen gesellschaftlichen Status, der den ihrigen übertraf. Manchmal hinterließen sie Schriften (''makimono'' und ''densho''), die ihre Überlegungen und Techniken enthielten, denn ihre Ansichten waren sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten sehr gefragt.
  
Die alten japanischen  Ryū
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Jeder dieser Meister vertrat seinen persönlichen Stil (''ryū'') oder eine Abzweigung aus dem Stil seines Lehrers (''[[ryūgi]]''), dessen Geheimnisse (''[[hiden]]'') er nur an wenige Auserwählte weitergab. Die ihm zugehörige große Mehrheit waren gewöhnliche ''samurai'', die jedoch nur in praktischen Kriegstechniken für das Schlachtfeld ausgebildet wurden. Sie hatten Teil an der „oberflächlichen Lehre“ (''[[omote]]''), d.h. sie erhielten lediglich einen militärischen Drill.
  
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== Die unabhängigen Ryū ==
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Manche ''ryū'' wurden von ''[[rōnin]]'' (herrenlosen Samurai), ''[[ninja]]'' (Geheimagenten) oder ''nō'' (Bauern) gegründet und waren als solche von den politischen Machthabern Japans unabhängig. Die Lehrer dieser ''ryū'' nahmen oft nur einen oder zwei Schüler an, andere gründeten Schulen und unterrichteten öffentlich für Geld.
  
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Schließlich gab es noch die ''ryū'' der Kriegermönche (''[[sōhei]]''), die in den [[Buddhismus|buddhistischen]] und [[Shintoismus|shintoistischen]] Klöstern (''ji'') ihren Sitz hatten. ''Hozoin ryū'', ''kashima shin ryū'' und ''tenshin shōden katori shintō ryū'' sind drei Beispiele dafür. Auch die Einsiedler in den Bergen (''yamabushi'') hatten ihre eigenen ''ryū''. Sie beeinflussten die Entstehung der vielen ''ninjutsu ryū'', die sich später mit den Kampfkünsten am Hofe der ''daimyō'' verbanden (z.B. ''yoshitsune ryū'' oder ''takeda ryū''). Daraus entstanden die meisten ''ryū'' der Tokugawa-Polizei (''metsuke''), die noch heute in den japanischen Polizeisystemen eine wichtige Rolle spielen.
  
Die Hauptstile des japanischen bujutsu werden als ''[[ryū]]'' (Fachrichtung, Stilrichtung oder Schulungsmethode) bezeichnet. Traditionell enthält jedes japanische ''ryū''  eine große Anzahl von bewaffneten (''[[buki no bu]]'') und unbewaffneten (''[[toshu no bu]]'')  Verfahren. Entsprechend dem Meister, der sie lehrt, unterteilen sie  sich in verschiedene Zweige (''[[ryū ha]]'').
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== Die Reformation der japanischen Ryū ==
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Jahrhundertelang lang war Japan eine Militärdiktatur, in der die Kriegssysteme einen hohen Stellenwert hatten. Die darin ausgebildeten ''samurai'' wurden zu einem bedingungslosen Leben und Sterben für ihren Herrn erzogen, aber auch Philosphie und andere Künste wurden zumindest den höheren Rängen nicht vorenthalten. Bereits 792 ließ Kammu Tennō den ''[[butokuden]]'' (Halle der Kriegstugenden) in [[Kyōtō]] errichten, der mehr als ein Jahrtausend hindurch Orientierung und Maßstab für die japanischen ''ryū'' war. Respekt, Hingabe, Dankbarkeit, Integrität und Ehre waren die Tugenden dieses ehrwürdigen Instituts.
  
Mehr  als ein Jahrtausend gründeten die japanischen Meister unaufhörlich neue  Kampfmethoden. Vor der Meiji Restauration (1868) gab es eine große  Anzahl von ''ryū'' (etwa 9.000), von denen viele geheim  waren und nur wenige Schüler (''ryūsha'')  hatten, während andere öffentlich unterrichtet wurden. Zu Anfang des  20. Jahrhunderts zählte man immer noch über 1.000 ''ryū'' in Japan, von denen die meisten dem ''[[kenjutsu]]'' (Schwertkampf) angehörten. Die Mehrzahl dieser ''ryū'' wurde von adeligen ''[[bushi]]'' (Krieger) gegründet, manch andere aber auch von ''[[rōnin]]'' (herren-  und daher arbeitslose Krieger) oder von "gewöhnlichen" Menschen aus der  unteren Bevölkerungsschicht. Jedes ''ryū''  bezog seine Anhänger aus jener sozialen Schicht, aus der auch der  Gründer stammte. Der Sitz befand sich dort, wo sich der Stilgründer (''[[shosei]]'' oder ''[[shodai]]'')  aufhielt. Die meisten ''[[dōjō]]''  befanden sich aber in der Nähe der Regierungssitze der Landesfürsten (''[[daimyō]]'')  oder in den großen Städten.
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Im April 1895 wurde der ''butokuden'' im Auftrag der Regierung reformiert, und 1899 wurde in Kyōtō eine neue Halle gebaut, in der der neu gegründete ''dai nippon butokukai'' untergebracht wurde. Diese von der Regierung finanzierte Institution wurde den ''bujutsu ryū'' als zentrales Forum vorgesetzt und hatte den Auftrag, alle japanischen Stile zu kontrollieren. Der ''butokukai'' sollte als politische Organisation den japanischen ryū übergeordnet sein, ihre Kampfkraft testen und sie dem japanischen Militär zugänglich machen. Dazu wurde ein Komitee gegründet, das die ''budō menjo'' (Rangbescheinigungen der Meister) und die ''shihan menjo'' (Lehrerlizenzen) vergab. Alle Stilvorstände, die nicht bereit waren, sich dem ''butokukai'' unterzuordnen, standen plötzlich außerhalb des offiziellen Rahmens.
  
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Aus ''bujutsu'' wurde ''budō'', und alle bisher gültigen Stilbezeichnungen (''kenjutsu'', ''aikijutsu'', usw.) wurden entsprechend in ''kendō'', ''aikidō'' usw. geändert. Die Organisation betonte zunächst den Wert des ''budō'' in der Erziehung der Jugendlichen, doch im Jahre 1911 gründete der ''[[butokukai]]'' mit finanzieller Unterstützung der Regierung eine akademische Militärschule (''budō senmon gaku''), in der Eliteoffiziere in einem Programm von zwei, bzw. vier Jahren ausgebildet wurden. Die Absolventen dieser Elite-Universität, später bekannt als ''busen'' galten als die hochangesehensten Kampf- und Militärexperten ihrer Zeit.
  
Die Ryū der Krieger
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Die mächtige Organisation überwachte peinlichst genau das gesamte japanische Kampfkunstgeschehen. Innerhalb der Lehrerlizenzen wurden offizielle Titel wie ''[[renshi]]'', ''[[kyōshi]]'' und ''[[hanshi]]'' vergeben, wodurch die Institution ihre politische Macht zu festigen versuchte. Die Meister der traditionellen ''ryū'' wurden dadurch gezwungen, sich der staatlich verordneten Ideologie zuzuordnen oder mit ihrem Stil unterzugehen.
  
Dementsprechend  gehörten die meisten japanischen ryū zu den Familien der japanischen  Fürsten (daimyō) und enthielten ein breites Spektrum an bewaffneten und  unbewaffneten Kampftechniken, vor allem aber auch Taktiken der  Kriegsführung. Die maßgeblichen Meister dieser ryū befanden sich im  Dienste der daimyō und hatten am Hof die Funktion eines persönlichen  Beraters und die Aufgabe, den Generalstab des Heeres im Kampf und in der Kriegsführung auszubilden. Sie galten als weise Menschen, waren allseits umworben und stets hoch verehrt. Es gab in Japan kaum einen  gesellschaftlichen Status, der den ihrigen übertraf. Manchmal  hinterließen sie Schriften (makimono und densho), die ihre Überlegungen  und Techniken enthielten, denn ihre Ansichten waren sowohl in Friedens- als auch in  Kriegszeiten sehr gefragt.
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== Das Ende der traditionellen japanischen Ryū ==
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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden von den Siegermächten zunächst alle Kampfkünste in Japan verboten. 1946 durfte das japanische ''budō'' in einem kleinen, von den Amerikanern kontrollierten Maß wieder betrieben werden, und 1953 erhielt auch der als subversiv geltende ''butokukai'' überraschend die Genehmigung zu seiner Neugründung. Doch seine Glanzzeiten waren vorbei. Während der Olympischen Spiele 1964 in Tokyō wurden die Kampfkünste bereits vom neugegründeten ''budōkan'' vertreten.
  
Jeder dieser Meister vertrat seinen  persönlichen Stil (ryū) oder eine Abzweigung aus dem Stil seines Lehrers  (ryūgi), dessen Geheimnisse (hiden) er nur an wenige Auserwählte  weitergab. Die ihm zugehörige große Mehrheit waren gewöhnliche samurai, die jedoch nur in praktischen Kriegstechniken für das Schlachtfeld  ausgebildet wurden. Sie hatten Teil an der „oberflächlichen Lehre“  (omote) -  d.h. sie erhielten lediglich einen militärischen Drill.
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Die meisten japanischen ''ryū'', die noch bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg existierten, sind heute verschwunden. Die letzten Meister sind häufig ohne Nachfolger verstorben, weil viele sich weigerten, in dem sportlich ausgerichteten System des ''budōkan'' zu unterrichten und Nachfolger zu hinterlassen. Von den ehemals 9.000 traditionellen japanischen ''ryū'' waren nach dem Krieg nur noch etwa 1.000 in kontinuierlichen Lehrertradionen vertreten, und davon folgten lediglich 46 ''ryū'' dem Aufruf des ''[[Budōkan (Tōkyō)|budōkan]]'' zur reorganisierten Vereinheitlichung des japanischen ''[[bujutsu]]'' zum ''[[budō]]''.
  
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== Bujutsu und Budō ==
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Die japanischen ''ryū'' sind durch ihre Umbenennung von ''jutsu'' zu ''dō'' inhaltlich nicht verbessert worden. Auch die klassischen Stile enthielten das Prinzip ''dō'', doch dieses war weit mehr an den Unterricht des Lehrers gebunden als an das Stilsystem. ''[[Dō (Weg)|Dō]]'' (Weg) ist ein alter Begriff, der die chinesischen, okinawanischen und japanischen Kampfkünste seit Jahrhunderten begleitet. Die heute oft propagierte Theorie, ''bujutsu'' sei per se nur kämpferisch gewesen und erst durch ''budō'' befriedet worden, ist historisch und inhaltlich nicht korrekt.
  
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Die Weglehre (''dō'') ist auch heute nur unter einem ''[[sensei]]'' der klassischen Stile zu erlernen. Die meisten modernen Systeme des ''budō'' enthalten keine Weglehre, sondern betreiben Kampfkunst lediglich als Sport.
  
Die  unabhängigen Ryū
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== Studien Informationen ==
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'''Siehe auch:''' |
  
Manche ryū wurden von rōnin (herrenlosen  Samurai), ninja (Geheimagenten) oder nō (Bauern) gegründet und waren als  solche von den politischen Machthabern Japans unabhängig. Die Lehrer  dieser ryū nahmen oft nur einen oder zwei Schüler an, andere gründeten  Schulen und unterrichteten öffentlich für Geld.
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=== Literatur ===
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* [[Werner Lind]]: ''Lexikon der Kampfkünste.'' BSK-Studien 2010.
  
Schließlich gab  es noch die ryū der Kriegermönche (sōhei), die in den buddhistischen und  shintoistischen Klöstern (ji) ihren Sitz hatten. Hozoin ryū, kashima  shin ryū und tenshin shōden katori shintō ryū sind drei Beispiele dafür.  Auch die Einsiedler in den Bergen (yamabushi) hatten ihre eigenen ryū.  Sie beeinflussten die Entstehung der vielen ninjutsu ryū, die sich  später mit den Kampfkünsten am Hofe der daimyō verbanden (z.B.  yoshitsune ryū oder takeda ryū). Daraus entstanden die meisten ryū der  Tokugawa-Polizei  (metsuke), die noch heute in den japanischen Polizeisystemen eine  wichtige Rolle spielen.
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=== Weblinks ===
 
 
 
 
 
 
Die Reformation der japanischen  Ryū
 
 
 
 
 
 
 
Jahrhundertelang lang war Japan eine Militärdiktatur,  in der die Kriegssysteme einen hohen Stellenwert hatten. Die darin  ausgebildeten samurai wurden zu einem bedingungslosen Leben und Sterben  für ihren Herrn erzogen, aber auch Philosphie und andere Künste wurden  zumindest den höheren Rängen nicht vorenthalten. Bereits 792 ließ Kammu  Tennō den butokuden (Halle der Kriegstugenden) in Kyōtō errichten, der  mehr als ein Jahrtausend hindurch Orientierung und Maßstab für die  japanischen ryū war. Respekt, Hingabe, Dankbarkeit, Integrität und Ehre  waren die Tugenden dieses ehrwürdigen Instituts.
 
 
 
Im April 1895  wurde der butokuden im Auftrag der Regierung reformiert, und 1899 wurde  in Kyōtō eine neue Halle gebaut, in der der neu gegründete dai nippon  butokukai untergebracht wurde. Diese von der Regierung finanzierte  Institution wurde den bujutsu ryū als zentrales Forum vorgesetzt und  hatte den Auftrag, alle japanischen Stile zu kontrollieren. Der  butokukai sollte als politische Organisation den japanischen ryū  übergeordnet sein, ihre Kampfkraft testen und sie dem japanischen  Militär zugänglich machen. Dazu wurde ein Komitee gegründet, das die  budō menjo (Rangbescheinigungen der Meister) und die shihan menjo  (Lehrerlizenzen) vergab. Alle Stilvorstände, die nicht bereit waren,  sich dem butokukai unterzuordnen, standen plötzlich außerhalb des  offiziellen Rahmens.
 
 
 
Aus bujutsu wurde budō, und alle bisher  gültigen Stilbezeichnungen (kenjutsu, aikijutsu, usw.) wurden  entsprechend in kendō, aikidō usw. geändert. Die Organisation betonte  zunächst den Wert des budō in der Erziehung der Jugendlichen, doch im  Jahre 1911 gründete der butokukai mit finanzieller Unterstützung der  Regierung eine akademische Militärschule (budō senmon gaku), in der  Eliteoffiziere in einem Programm von zwei, bzw. vier Jahren ausgebildet  wurden. Die Absolventen dieser Elite-Universität (später bekannt als busen)  galten als die hochangesehensten Kampf- und Militärexperten ihrer Zeit.
 
 
 
Die  mächtige Organisation überwachte peinlichst genau das gesamte  japanische Kampfkunstgeschehen. Innerhalb der Lehrerlizenzen wurden  ofizielle Titel wie renshi, kyōshi und hanshi vergeben, wodurch die  Institution ihre politische Macht zu festigen versuchte. Die Meister der  traditionellen ryū wurden dadurch gezwungen, sich der staatlich  verordneten Ideologie zuzuordnen oder mit ihrem Stil unterzugehen.
 
 
 
 
 
 
 
Das  Ende der traditionellen japanischen Ryū
 
 
 
Nach dem Zweiten  Weltkrieg wurden von den Siegermächten zunächst alle Kampfkünste in  Japan verboten. 1946 durfte das japanische budō in einem kleinen, von  den Amerikanern kontrollierten Maß wieder betrieben werden, und 1953  erhielt auch der als subversiv geltende butokukai überraschend die  Genehmigung zu seiner Neugründung. Doch seine Glanzzeiten waren vorbei.  Während der olympischen Spiele 1964 in Tokyō wurden die Kampfkünste  bereits vom neugegründeten budōkan vertreten.
 
 
 
Die meisten  japanischen ryū, die noch bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg  existierten, sind heute verschwunden. Die letzten Meister sind häufig  ohne Nachfolger gestorben, weil viele sich weigerten, in dem sportlich  ausgerichteten System des budōkan zu unterrichten und Nachfolger zu  hinterlassen. Von den ehemals 9.000 traditionellen japanischen ryū waren  nach dem Krieg nur noch etwa 1.000 in kontinuierlichen Lehrertradionen  vertreten, und davon folgten lediglich 46 ryū dem Aufruf des budōkan zur  reorganisierten Vereinheitlichung des japanischen bujutsu zum budō.
 
 
 
 
 
 
 
Bujutsu  und Budō
 
 
 
Die japanischen ryū sind durch ihre Umbenennung von  jutsu zu dō inhaltlich nicht verbessert worden. Auch die klassischen  Stile enthielten das Prinzip dō, doch dieses war weit mehr an den  Unterricht des Lehrers gebunden als an das Stilsystem. Dō (Weg) ist ein  alter Begriff, der die chinesischen, okinawanischen und japanischen  Kampfkünste seit Jahrhunderten begleitet. Die heute oft propagierte  Theorie, bujutsu sei per se nur kämpferisch gewesen und erst durch budō  befriedet worden, ist historisch und inhaltlich nicht korrekt.
 
 
 
Die  Weglehre (dō) ist auch heute nur unter einem sensei der klassischen  Stile zu erlernen. Die meisten modernen Systeme des budō enthalten keine  Weglehre, sondern betreiben Kampfkunst lediglich als Sport.
 

Aktuelle Version vom 29. Mai 2014, 20:06 Uhr

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Ryū (jap. 流), auch ru, nagare, nagasu, bedeutet Schule, Strom, Strömung, Kunstrichtung, Fachrichtung, Stilrichtung, Fließen, Strömen, und ist eine Schulungsmethode der Stile in der Tradition des bujutsu und budō.

Die Situation der Kampfkünste in Japan

Der Begriff bujutsu bezeichnet die japanische Kriegskunst und ist vom Anbeginn der japanischen Geschichte zusammen mit den Begriffen kyūba no michi (Weg des Bogens und des Pferdes) und später bushidō (Weg des Kriegers) der wesentliche Leitfaden in der Entwicklung der japanischen Gesellschaft. Die samurai, die bujutsu praktizierten und sich durch bushidō läuterten, waren der Inbegriff für alle gesellschaftlichen Ideale - sie standen an der Spitze der sozialen Hierarchie und beeinflussten über zwei Jahrtausende als einzige die Geschicke des japanischen Reiches.

Die alten japanischen Ryū

Die Hauptstile des japanischen bujutsu werden als ryū (Fachrichtung, Stilrichtung oder Schulungsmethode) bezeichnet. Traditionell enthält jedes japanische ryū eine große Anzahl von bewaffneten (buki no bu) und unbewaffneten (toshu no bu) Verfahren. Entsprechend dem Meister, der sie lehrt, unterteilen sie sich in verschiedene Zweige, die ryū ha.

Mehr als ein Jahrtausend gründeten die japanischen Meister unaufhörlich neue Kampfmethoden. Vor der Meiji-Restauration (1868) gab es eine große Anzahl von ryū (etwa 9.000), von denen viele geheim waren und nur wenige Schüler (ryūsha) hatten, während andere öffentlich unterrichtet wurden. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts zählte man immer noch über 1.000 ryū in Japan, von denen die meisten dem kenjutsu (Schwertkampf) angehörten. Die Mehrzahl dieser ryū wurde von adeligen bushi (Krieger) gegründet, manch andere aber auch von rōnin (herren- und daher arbeitslose Krieger) oder von „gewöhnlichen“ Menschen aus der unteren Bevölkerungsschicht. Jedes ryū bezog seine Anhänger aus jener sozialen Schicht, aus der auch der Gründer stammte. Der Sitz befand sich dort, wo sich der Stilgründer (shosei oder shodai) aufhielt. Die meisten dōjō befanden sich aber in der Nähe der Regierungssitze der Landesfürsten (daimyō) oder in den großen Städten.

Die Ryū der Krieger

Dementsprechend gehörten die meisten japanischen ryū zu den Familien der japanischen Fürsten (daimyō) und enthielten ein breites Spektrum an bewaffneten und unbewaffneten Kampftechniken, vor allem aber auch Taktiken der Kriegsführung. Die maßgeblichen Meister dieser ryū befanden sich im Dienste der daimyō und hatten am Hof die Funktion eines persönlichen Beraters und die Aufgabe, den Generalstab des Heeres im Kampf und in der Kriegsführung auszubilden. Sie galten als weise Menschen, waren allseits umworben und stets hoch verehrt. Es gab in Japan kaum einen gesellschaftlichen Status, der den ihrigen übertraf. Manchmal hinterließen sie Schriften (makimono und densho), die ihre Überlegungen und Techniken enthielten, denn ihre Ansichten waren sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten sehr gefragt.

Jeder dieser Meister vertrat seinen persönlichen Stil (ryū) oder eine Abzweigung aus dem Stil seines Lehrers (ryūgi), dessen Geheimnisse (hiden) er nur an wenige Auserwählte weitergab. Die ihm zugehörige große Mehrheit waren gewöhnliche samurai, die jedoch nur in praktischen Kriegstechniken für das Schlachtfeld ausgebildet wurden. Sie hatten Teil an der „oberflächlichen Lehre“ (omote), d.h. sie erhielten lediglich einen militärischen Drill.

Die unabhängigen Ryū

Manche ryū wurden von rōnin (herrenlosen Samurai), ninja (Geheimagenten) oder (Bauern) gegründet und waren als solche von den politischen Machthabern Japans unabhängig. Die Lehrer dieser ryū nahmen oft nur einen oder zwei Schüler an, andere gründeten Schulen und unterrichteten öffentlich für Geld.

Schließlich gab es noch die ryū der Kriegermönche (sōhei), die in den buddhistischen und shintoistischen Klöstern (ji) ihren Sitz hatten. Hozoin ryū, kashima shin ryū und tenshin shōden katori shintō ryū sind drei Beispiele dafür. Auch die Einsiedler in den Bergen (yamabushi) hatten ihre eigenen ryū. Sie beeinflussten die Entstehung der vielen ninjutsu ryū, die sich später mit den Kampfkünsten am Hofe der daimyō verbanden (z.B. yoshitsune ryū oder takeda ryū). Daraus entstanden die meisten ryū der Tokugawa-Polizei (metsuke), die noch heute in den japanischen Polizeisystemen eine wichtige Rolle spielen.

Die Reformation der japanischen Ryū

Jahrhundertelang lang war Japan eine Militärdiktatur, in der die Kriegssysteme einen hohen Stellenwert hatten. Die darin ausgebildeten samurai wurden zu einem bedingungslosen Leben und Sterben für ihren Herrn erzogen, aber auch Philosphie und andere Künste wurden zumindest den höheren Rängen nicht vorenthalten. Bereits 792 ließ Kammu Tennō den butokuden (Halle der Kriegstugenden) in Kyōtō errichten, der mehr als ein Jahrtausend hindurch Orientierung und Maßstab für die japanischen ryū war. Respekt, Hingabe, Dankbarkeit, Integrität und Ehre waren die Tugenden dieses ehrwürdigen Instituts.

Im April 1895 wurde der butokuden im Auftrag der Regierung reformiert, und 1899 wurde in Kyōtō eine neue Halle gebaut, in der der neu gegründete dai nippon butokukai untergebracht wurde. Diese von der Regierung finanzierte Institution wurde den bujutsu ryū als zentrales Forum vorgesetzt und hatte den Auftrag, alle japanischen Stile zu kontrollieren. Der butokukai sollte als politische Organisation den japanischen ryū übergeordnet sein, ihre Kampfkraft testen und sie dem japanischen Militär zugänglich machen. Dazu wurde ein Komitee gegründet, das die budō menjo (Rangbescheinigungen der Meister) und die shihan menjo (Lehrerlizenzen) vergab. Alle Stilvorstände, die nicht bereit waren, sich dem butokukai unterzuordnen, standen plötzlich außerhalb des offiziellen Rahmens.

Aus bujutsu wurde budō, und alle bisher gültigen Stilbezeichnungen (kenjutsu, aikijutsu, usw.) wurden entsprechend in kendō, aikidō usw. geändert. Die Organisation betonte zunächst den Wert des budō in der Erziehung der Jugendlichen, doch im Jahre 1911 gründete der butokukai mit finanzieller Unterstützung der Regierung eine akademische Militärschule (budō senmon gaku), in der Eliteoffiziere in einem Programm von zwei, bzw. vier Jahren ausgebildet wurden. Die Absolventen dieser Elite-Universität, später bekannt als busen galten als die hochangesehensten Kampf- und Militärexperten ihrer Zeit.

Die mächtige Organisation überwachte peinlichst genau das gesamte japanische Kampfkunstgeschehen. Innerhalb der Lehrerlizenzen wurden offizielle Titel wie renshi, kyōshi und hanshi vergeben, wodurch die Institution ihre politische Macht zu festigen versuchte. Die Meister der traditionellen ryū wurden dadurch gezwungen, sich der staatlich verordneten Ideologie zuzuordnen oder mit ihrem Stil unterzugehen.

Das Ende der traditionellen japanischen Ryū

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden von den Siegermächten zunächst alle Kampfkünste in Japan verboten. 1946 durfte das japanische budō in einem kleinen, von den Amerikanern kontrollierten Maß wieder betrieben werden, und 1953 erhielt auch der als subversiv geltende butokukai überraschend die Genehmigung zu seiner Neugründung. Doch seine Glanzzeiten waren vorbei. Während der Olympischen Spiele 1964 in Tokyō wurden die Kampfkünste bereits vom neugegründeten budōkan vertreten.

Die meisten japanischen ryū, die noch bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg existierten, sind heute verschwunden. Die letzten Meister sind häufig ohne Nachfolger verstorben, weil viele sich weigerten, in dem sportlich ausgerichteten System des budōkan zu unterrichten und Nachfolger zu hinterlassen. Von den ehemals 9.000 traditionellen japanischen ryū waren nach dem Krieg nur noch etwa 1.000 in kontinuierlichen Lehrertradionen vertreten, und davon folgten lediglich 46 ryū dem Aufruf des budōkan zur reorganisierten Vereinheitlichung des japanischen bujutsu zum budō.

Bujutsu und Budō

Die japanischen ryū sind durch ihre Umbenennung von jutsu zu inhaltlich nicht verbessert worden. Auch die klassischen Stile enthielten das Prinzip , doch dieses war weit mehr an den Unterricht des Lehrers gebunden als an das Stilsystem. (Weg) ist ein alter Begriff, der die chinesischen, okinawanischen und japanischen Kampfkünste seit Jahrhunderten begleitet. Die heute oft propagierte Theorie, bujutsu sei per se nur kämpferisch gewesen und erst durch budō befriedet worden, ist historisch und inhaltlich nicht korrekt.

Die Weglehre () ist auch heute nur unter einem sensei der klassischen Stile zu erlernen. Die meisten modernen Systeme des budō enthalten keine Weglehre, sondern betreiben Kampfkunst lediglich als Sport.

Studien Informationen

Siehe auch: |

Literatur

  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.

Weblinks