Sōchin: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Budopedia
Wechseln zu: Navigation, Suche
Zeile 32: Zeile 32:
 
==Merkmale der ''shōtōkan sōchin'' bzw. ''Kudaka sōchin''==
 
==Merkmale der ''shōtōkan sōchin'' bzw. ''Kudaka sōchin''==
  
Im ''shōtōkan'' gehört die ''sōchin'' nicht zum technischen Kern der stilspezifischen ''kata'', sondern zu den Formen, die erst nach Fixierung des Kata-Curriculums durch Funakoshi Gichin Eingang in den Stil fanden. Sie ist hier charakterisiert von eine Art Mittelposition zwischen den Stellungen ''zenkutsu dachi'' und ''kiba dachi'', dem ''fudō dachi''. Diese, recht tief einzunehmende "unbewegte Stellung" war im ''shōtōkan'' eine Entwicklung von Funakoshi Gichins Sohn [[Funakoshi Gigō]] aus dessen Studien zum Freikampf heraus. In einer leichten Abwandlung wurde sie sogar eine Zeit lang als neue Vorwärtsstellung (''zenkutsu dachi'') diskutiert, konnte sich jedoch als solche nur in der Linie des ''[[shōtōkai]]'' durchsetzen, wo sie bis heute als solche praktiziert wird. Da die Stellung die ganze ''kata'' durchzieht, wird sie auch oft als ''sōchin dachi'' bezeichnet. <br.>Der Beginn der Form vermittelt durch eine sich wiederholende Sequenz wie auch die ''Aragaki sōchin'' eine "ruhende Kraft", hier mit der mehrfach ausgeführten ''musō gamae'' aus ''age uke'' und ''gedan barai'', gefolgt von ''gyaku tate shutō uke'' und ''chūdan ren zuki''. Auch im ''shōtōkan'' wird die Form im zweiten Drittel dynamischer, ohne jedoch bis auf die oben erwähnte Kombination technisch an die Mabuni-Variante anzuklingen. Die moderne ''Kudaka sōchin'' des ''shōrinjiryū kenkōkan'' weist die gleichen Armtechniken, jedoch eine Vielzahl an zusätzlichen Fußtechniken auf, die offensichtlich neueren Datums und auf den Begründer des Stils [[Kudaka Seiki]] (Hisataka Masayoshi) zurückzuführen sind. Der zurückhaltende Charakter der ursprünglichen Form ist in dieser Entwicklung verloren gegangen. Ob Funakoshi Gigō die Shōtōkan-Form seiner Zeit aus der Kudaka-Linie übernommen hat oder ob beide ''kata'' eine gemeinsame Vorgänger-Variante haben, bleibt genauso spekulativ wie die Frage, ob dieser Zweig der Sōchin-Überlieferung nur eine sehr stark veränderte Version der ''Aragaki sōchin'' ist. Im ''shōtōkan'' wird verschiedentlich gemutmaßt, dass es die ''kata'' ''sōchin'' sei, von der Funkoshi Gichin in seinem 1943 erschienen Buch ''Karatedō nyūmon'' erzählt, dass sie sein Sohn unter strengster Geheimhaltung von einem alten okinawanischen Meister kurz vor dessen Tod gelernt habe. Einen Nachweis für diese Vermutung fehlt bislang.             
+
Im ''shōtōkan'' gehört die ''sōchin'' nicht zum technischen Kern der stilspezifischen ''kata'', sondern zu den Formen, die erst nach Fixierung des Kata-Curriculums durch Funakoshi Gichin Eingang in den Stil fanden. Ihr ''ashi sabaki'' ist charakterisiert von eine Art Mittelstellung zwischen ''zenkutsu dachi'' und ''kiba dachi'', dem ''fudō dachi''. Diese recht tief einzunehmende "unbewegte Stellung" war im ''shōtōkan'' eine Entwicklung von Funakoshi Gichins Sohn [[Funakoshi Gigō]] aus dessen Studien zum Freikampf heraus. In einer leichten Abwandlung wurde sie sogar eine Zeit lang als neue Vorwärtsstellung (''zenkutsu dachi'') diskutiert, konnte sich jedoch als solche nur in der Linie des ''[[shōtōkai]]'' durchsetzen, wo sie bis heute als solche praktiziert wird. Da die Stellung die ganze ''kata'' durchzieht, wird sie auch oft als ''sōchin dachi'' bezeichnet. <br.>Der Beginn der Form vermittelt durch eine sich wiederholende Sequenz genauso wie die ''Aragaki sōchin'' eine "ruhende Kraft", hier mit der mehrfach ausgeführten ''musō gamae'' aus ''age uke'' und ''gedan barai'', gefolgt von ''gyaku tate shutō uke'' und ''chūdan ren zuki''. Auch im ''shōtōkan'' wird die Form im zweiten Drittel dynamischer, ohne jedoch bis auf die oben erwähnte Kombination technisch an die Mabuni-Variante anzuklingen. Die moderne ''Kudaka sōchin'' des ''shōrinjiryū kenkōkan'' weist die gleichen Armtechniken, jedoch eine Vielzahl an zusätzlichen Fußtechniken auf, die offensichtlich neueren Datums und auf den Begründer des Stils [[Kudaka Seiki]] (Hisataka Masayoshi) zurückzuführen sind. Der zurückhaltende Charakter der ursprünglichen Form ist in dieser Entwicklung verloren gegangen. Ob Funakoshi Gigō die Shōtōkan-Form seiner Zeit aus der Kudaka-Linie übernommen hat oder ob beide ''kata'' eine gemeinsame Vorgänger-Variante haben, bleibt genauso spekulativ wie die Frage, ob dieser Zweig der Sōchin-Überlieferung nur eine sehr stark veränderte Version der ''Aragaki sōchin'' ist. Im ''shōtōkan'' wird verschiedentlich gemutmaßt, dass es die ''kata'' ''sōchin'' sei, von der Funkoshi Gichin in seinem 1943 erschienen Buch ''Karatedō nyūmon'' erzählt, dass sie sein Sohn unter strengster Geheimhaltung von einem alten okinawanischen Meister kurz vor dessen Tod gelernt habe. Einen Nachweis für diese Vermutung fehlt bislang.             
  
 
== Merkmale der ''chitō sōchin''==
 
== Merkmale der ''chitō sōchin''==

Version vom 30. November 2010, 20:59 Uhr

Artikel erstellt von: Werner Lind | Hendrik Felber

Der Begriff sōchin (壯鎭 / 壮鎮 / 荘鎭 ) bezeichnet Bewegungsformen (kata) des okinawanischen und japanischen karate. Man übt sie unter anderem im shitō ryū, im kobayashi shōrin ryū (kyūdōkan), shōrinjiryū kenkōkan, im shōtōkan ryū und im chitō ryū .

Sōchin
Eine typische Bewegung der Form und ihr ōyō
Mabun Sochin 02.jpg Mabun Sochin 04.jpg
Mabuni Kenwa und Shinken Taira 1938

Der Name sōchin

Der Kata-Name wird in der Regel so dargestellt: 壮鎮 . Das erste Kanji ist ein Kompositum aus 爿 (Stab) und 士 (Mann) und verweist mit dem Bild eines einen Stock schwingenden Mannes auf solche maskulinen Tugenden wie "Kraft", "Stärke" und "Mut" bzw. allgemein auf eine Ausstrahlung von "Männlichkeit", so dass das Zeichen alltagssprachlich auch auf einen "Mann in seinen besten Jahren" bezogen werden kann. Das zweite Zeichen assoziert ein beschwerendes "Metallgewicht" 金 und "Fülle" 真 und meint damit ein "Niederdrücken". Das Kanji wird auf menschliche Emotionen bezogen, so dass man unter chin "beruhigen", "besänftigen" versteht. Sōchin ist demnach mit "ruhende Kraft" oder "Stärke und Zurückhaltung" zu übersetzen.<br.>Vor diesem Hintergrund mag es auf den ersten Blick etwas seltsam erscheinen, dass Funakoshi Gichin die Form in hakkō 八荒, d.h. wörtlich "acht Stürme" bzw. "acht Extreme" umbenannte. Verständlicher wird dies jedoch, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass mit dem Begriff hakkō alle japanischen Landesgrenzen gemeint sind (die Zahl 8 steht im Japanischen häufig für eine Gesamtheit, vergl. happō kumite). Auf diese Weise bewahrte Funakoshi mit der Umbenennung den beschränkenden Aspekt des Namens sōchin und implementiere mit dem neuen Namen nationale Anklänge. Eine solche japanophile Attitüde ist auch bei anderen Kata-Umbennungen Funakoshis (etwa von pinan zu heian) zu bemerken. Im Gegensatz zu dieser Formengruppe wurde der Name hakkō jedoch nur kurze Zeit gebraucht; schon bald firmierte die kata auch im shōtōkan wieder unter ihrem ursprünglichen Namen sōchin.

Varianten der sōchin: Fakten, Indizien, Mutmaßungen

Über die Herkunft der Form ist nicht viel mehr bekannt, als dass sie wie auch die unsu und die niseishi von vielen Interpreten dem Meister Aragaki Seishō 新垣世璋 (1840-1920) als Gründer bzw. maßgeblichen Überlieferer zugeordnet wird. Funakoshi Gichin erwähnt in seinen ersten Werken Ryūkyū kenpō karate (1922) und Rentan goshin karate jutsu (1925) in der lauterklärenden Silbenschrift katakana wohl als erster eine Form namens sōchin ソーチン, ohne jedoch näher auf sie einzugehen. So blieb es Mabuni Kenwa vorbehalten, 1938 im von Nakasone Genwa herausgegebenen Sammelband Karatedō taikan in einem recht umfangreichen Kapitel den vollständigen Ablauf der kata und grundlegende Anwendungen einem breiteren Publikum vorzustellen. Dabei ordnet er die nun mit Kanji bezeichnete Form explizit der Überlieferungslinie des Meisters Niigaki 新垣 zu, wobei das erste Namensschriftzeichen des bereits erwähnten Aragaki Seishō in einer Aussprachevariante erscheint. In der Einleitung zu seinen Erläuterungen räumt Mabuni jedoch ein, dass es eine Reihe von anderen Versionen dieser Form gebe, jeweils abhängig von den unterrichtenden Meistern. Mabuni selbst erwähnt in seinem Werk Kōbō kenpō karatedō nyūmon 攻防拳法空手道入門 (etwa: "Einführung in den Karateweg der offensiven und defensiven Methode der Faust") aus dem Jahr 1935, dass es eine sōchin des Meisters Higaonna Kanryō gebe, die mit der Form des Meisters Aragaki nicht mehr als den Namen gemein habe. Ähnlich formuliert Itoman Seishin 糸満盛信 in seinem Buch Karatejutsu no kenkyū 唐手術の研究 (etwa: "Studien zu den Techniken der Chinesischen Hand") 1938, dass es neben Aragakis Form (Aragaki-shi sōchin 新垣氏ソーチン) noch eine auf Motobu Chōyū zurückgehende kata (Motobu-shi sōchin 本部氏ソーチン) gebe.<br.> Die Motobu sōchin und die Higaonna sōchin gelten heute als verloren, wenngleich eine Beziehung der letzteren zu einer sōchin im kodōkan gōju ryū des Amerikaners Kimo Wall, die über Kina Seikō 嘉納正興 (1911-) auf den Higaonna-Schüler Kyoda Jūhatsu 許田重発 (1887-1968) zurückgeführt wird, denkbar ist. Daher bleibt es fraglich, ob Formen, die sich signifikant in Bewegungsstruktur und technischem Repertoire von Mabunis sōchin unterscheiden, auch nur irgendeinen Bezug zu dieser inzwischen allgemein als Aragaki sōchin bezeichneten Form besitzen. Zu diesen unähnlichen Varianten zählen die Formen des chitō ryū, die des shōtōkan sowie die auch als Kudaka sōchin bekannte kata des shōrinjiryū kenkōkan. Bemerkt werden muss dabei, dass die beiden zuletzt genannten Versionen offensichtlich untereinander verwandt sind.

Merkmale der shitō sōchin bzw. Aragaki sōchin

Aragaki sōchin
(Mabuni Kenwa)

Der Auftakt dieser Version ist geprägt von einer mehrfach wiederholten Sequenz von morote chūdan uchi uke mit folgendem chūdan gyaku zuki in der Stellung neko ashi dachi, worin die Form anderen kata des nahate wie seisan oder sanchin in gewisser Weise ähnelt. Die mit diesem Auftakt vermittelte und im Namen der kata angedeutete "ruhende Kraft" entfaltet sich im zweiten Drittel der ca. 46 Bewegungen umfassenden Form zu einem recht kämpferischem Vortrag mit vielen beidhändigen Techniken mit geschlossener und offener Hand. Charakteristisch ist eine Sequenz kurz vor Ende der Form, bei der aus einer kamae im Einbein-Stand mit erhobenen Armen diese schnell vor dem Körper zu osae uke und nukite zuki gekreuzt und ein Fußtritt nach vorn ausgeführt werden. Diese Angriffskombination ist die einzige signifikante Übereinstimmung mit der shōtōkan sōchin. Bei Mabuni folgen zwei Fauststöße und mawashi uke, worauf die Form mit beiden Fäusten vor den Genitalien in derselben kamae beendet wird, mit der sie eröffnet wurde. In der technisch etwas umfangreicheren und im Ablauf variierenden kata des kyūdōkan wird der besagte Fußtritt nicht aus einem Einbeinstand getreten. Die abschließende kamae gleicht einer Gebetshaltung und wird daher als ogami uke, d.h. betende Abwehr, bezeichnet.

Merkmale der shōtōkan sōchin bzw. Kudaka sōchin

Im shōtōkan gehört die sōchin nicht zum technischen Kern der stilspezifischen kata, sondern zu den Formen, die erst nach Fixierung des Kata-Curriculums durch Funakoshi Gichin Eingang in den Stil fanden. Ihr ashi sabaki ist charakterisiert von eine Art Mittelstellung zwischen zenkutsu dachi und kiba dachi, dem fudō dachi. Diese recht tief einzunehmende "unbewegte Stellung" war im shōtōkan eine Entwicklung von Funakoshi Gichins Sohn Funakoshi Gigō aus dessen Studien zum Freikampf heraus. In einer leichten Abwandlung wurde sie sogar eine Zeit lang als neue Vorwärtsstellung (zenkutsu dachi) diskutiert, konnte sich jedoch als solche nur in der Linie des shōtōkai durchsetzen, wo sie bis heute als solche praktiziert wird. Da die Stellung die ganze kata durchzieht, wird sie auch oft als sōchin dachi bezeichnet. <br.>Der Beginn der Form vermittelt durch eine sich wiederholende Sequenz genauso wie die Aragaki sōchin eine "ruhende Kraft", hier mit der mehrfach ausgeführten musō gamae aus age uke und gedan barai, gefolgt von gyaku tate shutō uke und chūdan ren zuki. Auch im shōtōkan wird die Form im zweiten Drittel dynamischer, ohne jedoch bis auf die oben erwähnte Kombination technisch an die Mabuni-Variante anzuklingen. Die moderne Kudaka sōchin des shōrinjiryū kenkōkan weist die gleichen Armtechniken, jedoch eine Vielzahl an zusätzlichen Fußtechniken auf, die offensichtlich neueren Datums und auf den Begründer des Stils Kudaka Seiki (Hisataka Masayoshi) zurückzuführen sind. Der zurückhaltende Charakter der ursprünglichen Form ist in dieser Entwicklung verloren gegangen. Ob Funakoshi Gigō die Shōtōkan-Form seiner Zeit aus der Kudaka-Linie übernommen hat oder ob beide kata eine gemeinsame Vorgänger-Variante haben, bleibt genauso spekulativ wie die Frage, ob dieser Zweig der Sōchin-Überlieferung nur eine sehr stark veränderte Version der Aragaki sōchin ist. Im shōtōkan wird verschiedentlich gemutmaßt, dass es die kata sōchin sei, von der Funkoshi Gichin in seinem 1943 erschienen Buch Karatedō nyūmon erzählt, dass sie sein Sohn unter strengster Geheimhaltung von einem alten okinawanischen Meister kurz vor dessen Tod gelernt habe. Einen Nachweis für diese Vermutung fehlt bislang.

Merkmale der chitō sōchin

Die gegenwärtig im chitō ryū praktizierte sōchin scheint singulär zu sein. In ihrer vierfach wiederholten Auftakt-Sequenz gleicht sie etwas der Form pinan shodan, auch sonst sind weitere Parallelen zu den pinan zu bemerken.

Studien Informationen

Siehe auch: Kata | Karate-Kata | Kata-Liste (Karate) | Aragaki Seishō | Mabuni Kenwa| Funakoshi Gigō

Literatur

  • Habersetzer, Roland - Koshiki Kata. Die klassischen Kata des Karatedō. Chemnitz 2005
  • Mabuni, Kenwa - Die Form sōchin und die zugehörige Erläuterung. aus: Nakasone Genwa - Karatedō taikan, 1938
  • Kanazawa, Hirokazu - Shōtōkan Karate International. Kata (vol.1), 1982
  • Lind, Werner - Die klassische Kata. Geistige Herkunft und Praxis des traditionellen Karate. Bern, München, Wien 1995
  • Nakayama, Masatoshi - Best Karate 10. Unsu, Sōchin, Nijūshiho. 1987
  • Sakagami, Ryushō - Karatedō kata taikan, 1978
  • Takamiyagi Shigeru, Shinzato Katsuhiko, Nakamoto Masahiro [Autoren und Herausgeber] - Okinawa Karate kobudō jiten [Lexikon des okinawanischen karate und kobudō]. Tōkyō 2008.
  • Wittwer, Henning - Shōtōkan. Überlieferte Texte, historische Untersuchungen. Niesky 2007

Weblinks

  • Redmond, Rob - Kata. The Folk Dances of Shotokan.[1]
  • Sōchin (Shitō) [2]
  • Sōchin (Kyūdōkan) [3]
  • Sōchin (Shōtōkan) von Kanazawa Hirokazu [4]
  • Sōchin (Shōrinjiryū kenkōkan) [5]
  • Sōchin (Chitō ryū) [6]