Shingitai: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Shingitai''' (jap.: 心技体), bezeichnet '''Geist''' (''[[shin]]''), '''Technik''' (''[[gi]]'') und '''Körper''' (''[[tai]]''). Der Begriff bezieht sich auf die Ganzwerdung des Menschen in der Dreieinheit (''[[san mi ittai]]'') von Geist, Technik und Körper und ist ein Ausdruck in der Verwirklichung des Prinzips ''[[hara]]''.
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'''Shingitai''' (jap.: 心技体), bezeichnet '''Geist''' (''[[shin]]''), '''Technik''' (''[[gi]]'') und '''Körper''' (''[[tai]]''). Der Begriff bezieht sich auf die Ganzwerdung des Menschen durch ''[[san mi ittai]]'' (drei Prinzipien in einem Körper) und ist eine Praxis in der Verwirklichung des ''[[hara]]''.
 
 
==Regulationen für Shingitai==
 
  
Bereits im alten China erkannte man, dass der Mensch mit dem Geist (''shin'') entscheidet, mit der Technik (''gi'') reagiert und mit dem Körper (''tai'') handelt. Gleichzeitig aber erkannte man in dieser Dreiteilung auch gravierende Disharmonien, wenn der ungeübte Mensch, losgelöst vom übergeordneten Verständnis der Zusammenhänge, ständigen Irrtümern und Illusionen unterliegt. Im chinesischen ''[[qìgōng]]'' gib es dafür die Regularien (''[[tiáo]]'') in Japan wurde diese Philosophie als ''[[shingitai]]'' oder ''[[sanmi ittai]]'' bezeichnet. Allerdings wurde sie in Japan ausgehend vom Prinzip ''hara'' bestimmt.<br.>Das Ziel jeder Übung in den japanischen Wegkünsten wurde daher immer mehr die Dreieinheit (''sanmi ittai''), zwischen Geist (''shin''), Technik (''gi'') und Körper (''tai''). Folgendermaßen definieren sich diese Komponente:
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===Regulationen===
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Bereits im alten China erkannte man, dass der Mensch mit dem Geist erkennt, mit der Technik reagiert und mit dem Körper handelt. Es war offensichtlich, dass diese drei Komponente im harmonischen Einklag zusammengeführt werden müssen, will der Mensch in seinen Handlungen Wirkung zu erzielen.<br.>Im Hintergrund begleiten die chinesischen Regulierungen (''[[tiáo]]'') jede Übung im ''[[qìgōng]]'' und ''[[quánfǎ]]'' und bilden die Basis jeder ganzkörperlichen Bewegungslehre. Als ''[[sāntiáo]]'' regulieren sie zunächst den Körper (''tiáoshēn''), die Atmung (''tiáoxī'') und das Herz (''tiáoxīn''). Nachdem die ''sāntiáo'' zu einem natürlichen Teil der Übung geworden sind, wird jede Bewegung von ihnen beeinflusst und bestimmt.
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Diese Konzepte sind jedoch keine Übungen an sich, sondern die Technik begleitende Lehren, durch deren Verwirklichung später eine umfangreiche Kontrolle der Lebensenergie (''[[tiáoqì]]'') und des Geistes (''[[tiáoshén]]'') möglich wird.
  
* '''[[Shin]] (Geist):''' Die Kunst ist ein Ausdruck der Kultur und seit Alters her ein bewährtes Mittel zur Erhöhung und Vervollkommnung des menschlichen '''Geistes'''. Kunst ist der Ausdruck menschlichen Empfindens und Verstehens, spricht jedoch in erster Linie zur Seele und weniger zum Intellekt. Durch sie bildet und vervollkommnet sich der Mensch und gelangt so zu einem höheren Verständnis seiner inneren Zusammenhänge. Die Fähigkeit zum philosophischen Denken, die Intuition und die Vorstellungskraft gehören dazu.
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==Shingitai - Die Dreieinheit==
* '''[[Gi]] (Technik):''' Es ist der Mensch, der sich übt, und alles, was er übt, hat ein Zentrum, aus dem heraus er sich gestaltet und bewährt: ''hara''. ''Karate'' ist eine Kunst, in deren Übung und Ausdruck der Mensch nicht äußere, sondern innere Vervollkommnung sucht. Er vollendet seine '''Technik''' wie der Künstler sein Werk, er drückt sich durch sie aus, er kehrt sein Inneres nach außen und zeigt in der Technik seine Seele. In einer solchen Übung kann er reifen, darin findet er zunehmend zu seiner „Mitte“ und vervollkommnet sich selbst durch das Ideal des Weges.
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In Japan bezeichnet man sie als ''[[san mi ittai]]'' (drei Prinzipien in einem Körper) und definiert darin die ''shingitai'': ''[[shin]]'' (Geist), ''[[gi]]'' (Technik) und ''[[tai]]'' (Körper).<br.>Diese Regularien sind im Hintergrund versteckte Prinzipien jeder persönlichkeitsbildenden Bewegungslehre, die das Training der Techniken (''[[waza]]'') begleiten. Man geht davon aus, dass '''Innen''' und '''Außen''' im Menschen miteinander verbunden sind und jede Technik immer ein Abbild der inneren Haltung (''[[shisei]]'') ist. Mit den richtigen Mitteln lassen sich beide beeinflussen und harmonisch zusammenführen. Wirkliche ''sensei'' wissen darum und verwenden das Prinzip als Grundlage der Bewegungslehre im ''[[budō]]''.
* '''[[Tai]] (Körper):''' Der '''Körper''' ist das ausführende Organ. Er muss im Training perfektioniert werden, um den Anforderungen das Ganzen entsprechen zu können. Der Körper ist die offensichtliche Instanz im Training, aber es hängt vom unterrichtenden Lehrer ab, wohin er ihn führt: auf einen '''Inneren Weg''' mit ''shingitai'' und ''hara'' oder auf einen '''Äußeren Weg''' in die Vielfalt der Formen.
 
  
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* '''[[Shin]] (Geist):''' Die Kunst ist ein Ausdruck der Kultur und seit jeherher ein bewährtes Mittel zur Erhöhung und Vervollkommnung des menschlichen Geistes. Kunst ist der Ausdruck menschlichen Empfindens und Verstehens, spricht jedoch in erster Linie zur Seele und weniger zum Intellekt. Durch sie bildet und vervollkommnet sich der Mensch und gelangt so zu einem höheren Verständnis seiner inneren Zusammenhänge. Die Fähigkeit zum philosophischen Denken, die Intuition und die Vorstellungskraft gehören dazu.
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* '''[[Gi]] (Technik):''' Es ist der Mensch, der sich übt, und alles, was er übt, hat ein Zentrum, aus dem heraus er sich gestaltet und bewährt: '''Hara'''. ''Karate'' ist eine Kunst, in deren Übung und Ausdruck der Mensch nicht äußere, sondern innere Vervollkommnung sucht. Er vollendet seine Technik wie der Künstler sein Werk, er drückt sich durch sie aus, er kehrt sein Inneres nach außen und zeigt in der Technik seine Seele. In einer solchen Übung kann er reifen, darin findet er zunehmend zu seiner „Mitte“ und vervollkommnet sich selbst durch das Ideal des Weges.
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* '''[[Tai]] (Körper):''' In allen Künsten gibt es ein Instrument, mit dem die jeweilige Kunst zum Ausdruck gebracht wird. In der Literatur ist es die Sprache, in der Malerei der Pinsel, in der Musik die Flöte, etc. - in den Kampfkünsten ist es der Körper, ''tai'' (''karada''). Der Körper muss für seine auszuführenden Aufgaben trainiert sein und seiner Bestimmung gerecht werden. Er ist die offensichtliche Instanz im Training, aber es hängt vom unterrichtenden Lehrer ab, wohin er die Übung seines Schüler führt: auf einen „Inneren Weg“ mit ''shingitai'' und ''hara'' oder auf einen „Äußeren Weg“ in die Vielfalt der sportlichen Formen.
  
''Hara'' bezeichnet die Organisation des Menschen auf seiner vertikalen Achse in Bezug auf seine Körperhaltung (''[[shisei]]''), Spannung/Entspannung (''[[Kinchō/Kanwa]]'') und Atmung (''[[kokyū]]''). Auf dieser Basis entstand das „Prinzip der Mitte“, mit dem man ein psycho-physisches Zentrum im Menschen suggerierte, durch dessen Verständnis man das Vermeiden der menschlichen Fehlhaltungen und Falschentscheidungen üben konnte.<br.>
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Die Verwirklichung dieser Philosophie im praktischen Training geschieht in der kontemplativen Auseinandersetzung mit der Technik (''waza'') unter der Anleitung eines ''sensei''. Darin ist die Technik nur Mittel zum Zweck - das Ziel ist die Einheit des Meschen (Körper, Geist und Technik).
  
Die Verwirklichung von ''hara'' ist in allen japanischen Wegkünsten ein Zeugnis von menschlicher Reife. Jede Wegübung (''[[(Weg)|dō]]'') zielt dementsprechend vor allem auf die Persönlichkeitsbildung und auf die Entwicklung der inneren Werte des Übenden. Nicht durch einseitig hochgezüchtete Technik, sondern erst dadurch lernt er in der Welt zu wirken.<br.>
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==Das Prinzip Hara==
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Anders als in China werden die Regulationen der Dreieinheit (''shingitai'') in Japan dem Prinzip ''hara'' untergeordnet.
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In den japanischen Künsten definiert sich ''hara'' als '''Mitte''' (''[[naka]]'') des Menschen und bildet ein gesamtmenschliches Kontrollzentrum in der die Zusammenführung von Geist (''shin''), Technik (''gi'') und Körper (''tai'') als ''shingitai'' oder ''san mi ittai'' bezeichnet wird. Dieses psycho-physische Konzept zielt auf die '''Ganzwerdung des Menschen''' (''[[shinshin]]''), durch die Übung einer äußeren Tätigkeit (''gi'') und bildet das Zentrum aller japanischen Wegkünste (''[[geidō]]''). Erst in diesem Sinn ist das Sprichwort „ob Teetrinken, Blumenstecken oder Sitzen, es ist immer das gleiche“ oder „was richtig geschieht, muss immer mit ''hara'' geschehen“, zu verstehen.<br.>Zunächst aber muss auf der Basis der Ganzkörperbewegung (''[[shitai undō]]'') die Technik perfektioniert werden. Alle im ''[[budō]]'' zu erzielenden Persönlichkeitswerte hängen von der Verwirklichung dieses Prinzips ab. Das verbindende Element zwischen Körper und Geist (''shintai'') wird in der Philosophie der Körpermitte (''hara'') gesehen. ''Hara'' ist der Sitz der Energie (''ki''), das Zentrum der Bewegung (''undō'') und der innerste Kern unseres Selbst. Die gesamte Philosophie des ''budō'' kreist um die Lehre von ''hara'' und ist in den Weglehren (''geidō'') unverzichtbar.<br.>In allen Weglehren des ''budō'' geht es nicht um die Übung bloser Körpertechniken, sondern um die Vereinheitlichung von Geist, Technik und Körper '''durch''' das Training der Techniken. Dadurch führt der Lehrer seine Schüler auf einen '''Inneren Weg'''.
  
Sich als Selbst zu gestalten und gleichzeitig die natürlichen Bedingungen des „Werdens und Vergehens“ zu akzeptieren, wird in den Wegkünsten als Grundlage zur Entwicklung jeder Persönlichkeit angesehen. Das Wissen, wie man die Philosophie des ''hara'' im Training umsetzen kann, ist nur einem klassischen ''[[sensei]]'' gegeben. Es ist vor allem gebunden an die folgenden Prinzipien:
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* '''[[Shitai undō]]''' - bezeichnet die Ganzkörperbewegung, innerhalb derer der Körper (tai) durch die Technik (gi) perfektioniert wird. Bei Betrachtung der körperlichen Techniken ist festzustellen, dass es sowohl im ''budō'' als auch im Sport immer um die Verwirklichung eines harmonischen Verhältnisses zwischen Extremitätenbewegung (''tsuki'', ''uke'', ''uchi'', ''keri'') und der Fortbewegung des Körpers im Raum (''sabaki'') geht. Durch die Verbindung der Extremitätenbewegung (''shishi undō'') mit der Rumpfbewegung (''tai sabaki'') entsteht die Ganzkörperbewegung, durch die höchstmögliche körperliche Leistung erzielt werden kann.
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* '''[[Shinshin]]''' - heißt „Geist-Körper“ und bezeichnet die Verbindung der Ganzkörperbewegung (''shitai undō'') mit allen dem Menschen zur Verfügung stehenden geistigen Kontrollinstanzen (''shin''). Dadurch verändert sich die körperliche Übung in ein anhaltendes psycho-physisches Experiment der Selbstbetrachtung. Auf diese Weise wird ''shingitai'' verwirklicht, die Einheit zwischen Geist, Technik und Körper.
  
====Kano====
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===Zusammenhänge===
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''Hara'' bezeichnet die Organisation des Menschen auf seiner vertikalen Achse in Bezug auf seine Körperhaltung (''[[shisei]]''), sein Spannung (''[[kinchō]]'') und seine Atmung (''[[kokyū]]''). Auf dieser Basis entstand das „Prinzip der Mitte“, mit dem man ein psycho-physisches Zentrum im Menschen suggerierte, durch dessen Verständnis man das Vermeiden der menschlichen Fehlhaltungen und Falschentscheidungen üben konnte.<br.>Die Verwirklichung von ''hara'' ist in allen japanischen Wegkünsten ein Zeugnis von menschlicher Reife. Jede Wegübung (''[[Dō (Weg)|dō]]'') zielt dementsprechend vor allem auf die Persönlichkeitsbildung und auf die Entwicklung der inneren Werte des Übenden. Nicht durch einseitig hochgezüchtete Technik, sondern erst dadurch lernt er in der Welt zu wirken.<br.>Sich als Selbst zu gestalten und gleichzeitig die natürlichen Bedingungen des „Werdens und Vergehens“ zu akzeptieren, wird in den Wegkünsten als Grundlage zur Entwicklung jeder Persönlichkeit angesehen. Das Wissen, wie man die Philosophie des ''hara'' im Training umsetzen kann, ist nur selten gegeben.
  
Diese drei Werte sind untrennbar und müssen parallel zu den zwei Grundprinzipien der Kampfkünste beachtet werden: ''seiryoku zenyō'' („das wirksame Nutzen der Energie“) und ''jita kyōei'' („gegenseitiges Helfen und Anspornen“). Diese Prinzipien stammen ursprünglich aus dem ''[[bushidō]]'' („Weg des Kriegers“). Die Schwarzgurte (''[[dansha]]''), die ''shingitai'' verwirklicht haben, vereinigen auf sich gleichzeitig Himmel (''shin''), Erde (''gi'') und Mensch (''tai''). Sie sind daher „vollständige“ Menschen.
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''Hara'' ist das Zentrum und die hauptsächliche Verbindung zwischen Geist, Technik und Körper (''shingitai'') und als solches das zentrale Prinzip jeder Übung. Um ''shingitai'' zu verwirklichen, werden drei Maßstäbe genannt, die den Mittelpunkt jeder Technik-Übung im ''budō'' bilden:
  
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===Prinzipien der Hara-Übung===
  
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* '''[[Shisei]]''' - die '''Haltung''' ist eine der Ausdrucksformen von ''hara'' und bezieht sich auf die Haltung des Körpers. Aus der in ihrem Mittelpunkt verankerten Gestalt erwächst der obere Körper auf seiner vertikalen Achse in vollkommenem Gleichgewicht nach oben. Der Nacken ist gerade, die Schultern entspannt, während sich die Schwerkraft nach unten senkt und im Bauch (''hara'') versammelt. Man entwickelt das Gefühl einer schweren Kugel in der Bauchgegend, deren Eigengewicht den Stand verankert und die den Oberkörper trägt. Sowohl im Stand als auch in der Bewegung geht es darum, dieses körperliche Gefüge zu erhalten, um die Kraft der Mitte voll zur Geltung kommen zu lassen.<br.>Die Mitte ist das Zentrum der Kraft und das Zentrum des Gleichgewichtes. Durch den Einsatz der Hüfte kommt diese Kraft zur Geltung, indem durch den richtigen Umgang mit dem Schwerezentrum das Gleichgewicht im Stand und in der Bewegung gewahrt wird.
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* '''[[Kinchō/Kanwa]]''' - bezeichnet das Verhältnis zwischen '''Spannung und Entspannung''' in allen Handlungen. Unter Berücksichtigung der rechten Haltung (''shisei'') bewegt sich der Körper in der auszuführenden Aktion - immer ausgehend von ''hara'' - entweder in einer Hüftdrehung oder in einem Hüftschub. Um darin höchstmögliche Kraft zu entwickeln, bedarf es des rechten Spannungsverhältnisses der Muskeln in der Bewegung. Grundsätzlich wird jede Bewegung in der Entspannung ausgeführt, um eine maximale Endgeschwindigkeit der Technik (und somit kinetische Energie) zu erreichen, die am Ende durch ein kurzzeitiges Anspannen in destruktive Energie umgesetzt wird.
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* '''[[Kokyū]]''' - bezeichnet den Vorgang der '''Atmung'''. In allen Techniken des ''karate'' ist die Atmung von entscheidender Bedeutung. Im unmittelbaren Handlungsvorgang bestimmt sie das „Geben und Nehmen“, das „Spannen und Entspannen“ und den psychologischen Aspekt der Technik. Die Atmung ist nicht nur ein körperlicher Vorgang, sondern kommuniziert mit den psychologischen Strukturen des Menschen: so heißt Einatmen grundsätzlich „Nehmen“ und Ausatmen grundsätzlich „Geben“. Auch ungeübte Menschen verwenden unbewusst dieses Prinzip (z.B. beim Holzhacken - niemand spaltet einen Holzklotz, während er einatmet).<br.>In den Kampfkünsten stehen deshalb die Prinzipien der Haltung (''shisei''), der rechten Spannung (''kinchō'') und der Atmung (''kokyū'') in beständiger Relation zueinander. Wenn man entspannt und aufrecht ist und das Zwerchfell während der Einatmung nach unten zieht, drückt sich der Bauch ganz natürlich nach vorne. Der Atem strömt in den Bauch, in das Zentrum der Kraft (''hara''). Wenn wir ausatmen, drückt das Zwerchfell nach oben, und die Luft strömt heraus. Der Atem strömt in den Bauch, in das Zentrum der Kraft (''hara'').
  
 
== Studien Informationen ==
 
== Studien Informationen ==
 
'''Siehe auch:''' [[Hara]] | [[Naka]] | [[Tiáo]] | [[Shin]] | [[Waza]] | [[Tai]]
 
'''Siehe auch:''' [[Hara]] | [[Naka]] | [[Tiáo]] | [[Shin]] | [[Waza]] | [[Tai]]
<br.>[[Yōi]] | [[Yōi shizentai]] | [[Yōi dachi]] | [[Yōi gamae]]<br.>
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<br.>[[Yōi]] | [[Yōi shizentai]] | [[Yōi dachi]] | [[Yōi gamae]] | [[Shisei]] | [[Kinchō]] | [[Kokyū]] <br.>
 
[[Ablage Shingitai]]  
 
[[Ablage Shingitai]]  
  

Aktuelle Version vom 23. Oktober 2014, 23:06 Uhr

Artikel von: Werner Lind<br.>Nachbearbeitet von:

Shingitai (jap.: 心技体), bezeichnet Geist (shin), Technik (gi) und Körper (tai). Der Begriff bezieht sich auf die Ganzwerdung des Menschen durch san mi ittai (drei Prinzipien in einem Körper) und ist eine Praxis in der Verwirklichung des hara.

Regulationen

Bereits im alten China erkannte man, dass der Mensch mit dem Geist erkennt, mit der Technik reagiert und mit dem Körper handelt. Es war offensichtlich, dass diese drei Komponente im harmonischen Einklag zusammengeführt werden müssen, will der Mensch in seinen Handlungen Wirkung zu erzielen.<br.>Im Hintergrund begleiten die chinesischen Regulierungen (tiáo) jede Übung im qìgōng und quánfǎ und bilden die Basis jeder ganzkörperlichen Bewegungslehre. Als sāntiáo regulieren sie zunächst den Körper (tiáoshēn), die Atmung (tiáoxī) und das Herz (tiáoxīn). Nachdem die sāntiáo zu einem natürlichen Teil der Übung geworden sind, wird jede Bewegung von ihnen beeinflusst und bestimmt. Diese Konzepte sind jedoch keine Übungen an sich, sondern die Technik begleitende Lehren, durch deren Verwirklichung später eine umfangreiche Kontrolle der Lebensenergie (tiáoqì) und des Geistes (tiáoshén) möglich wird.

Shingitai - Die Dreieinheit

In Japan bezeichnet man sie als san mi ittai (drei Prinzipien in einem Körper) und definiert darin die shingitai: shin (Geist), gi (Technik) und tai (Körper).<br.>Diese Regularien sind im Hintergrund versteckte Prinzipien jeder persönlichkeitsbildenden Bewegungslehre, die das Training der Techniken (waza) begleiten. Man geht davon aus, dass Innen und Außen im Menschen miteinander verbunden sind und jede Technik immer ein Abbild der inneren Haltung (shisei) ist. Mit den richtigen Mitteln lassen sich beide beeinflussen und harmonisch zusammenführen. Wirkliche sensei wissen darum und verwenden das Prinzip als Grundlage der Bewegungslehre im budō.

  • Shin (Geist): Die Kunst ist ein Ausdruck der Kultur und seit jeherher ein bewährtes Mittel zur Erhöhung und Vervollkommnung des menschlichen Geistes. Kunst ist der Ausdruck menschlichen Empfindens und Verstehens, spricht jedoch in erster Linie zur Seele und weniger zum Intellekt. Durch sie bildet und vervollkommnet sich der Mensch und gelangt so zu einem höheren Verständnis seiner inneren Zusammenhänge. Die Fähigkeit zum philosophischen Denken, die Intuition und die Vorstellungskraft gehören dazu.
  • Gi (Technik): Es ist der Mensch, der sich übt, und alles, was er übt, hat ein Zentrum, aus dem heraus er sich gestaltet und bewährt: Hara. Karate ist eine Kunst, in deren Übung und Ausdruck der Mensch nicht äußere, sondern innere Vervollkommnung sucht. Er vollendet seine Technik wie der Künstler sein Werk, er drückt sich durch sie aus, er kehrt sein Inneres nach außen und zeigt in der Technik seine Seele. In einer solchen Übung kann er reifen, darin findet er zunehmend zu seiner „Mitte“ und vervollkommnet sich selbst durch das Ideal des Weges.
  • Tai (Körper): In allen Künsten gibt es ein Instrument, mit dem die jeweilige Kunst zum Ausdruck gebracht wird. In der Literatur ist es die Sprache, in der Malerei der Pinsel, in der Musik die Flöte, etc. - in den Kampfkünsten ist es der Körper, tai (karada). Der Körper muss für seine auszuführenden Aufgaben trainiert sein und seiner Bestimmung gerecht werden. Er ist die offensichtliche Instanz im Training, aber es hängt vom unterrichtenden Lehrer ab, wohin er die Übung seines Schüler führt: auf einen „Inneren Weg“ mit shingitai und hara oder auf einen „Äußeren Weg“ in die Vielfalt der sportlichen Formen.

Die Verwirklichung dieser Philosophie im praktischen Training geschieht in der kontemplativen Auseinandersetzung mit der Technik (waza) unter der Anleitung eines sensei. Darin ist die Technik nur Mittel zum Zweck - das Ziel ist die Einheit des Meschen (Körper, Geist und Technik).

Das Prinzip Hara

Anders als in China werden die Regulationen der Dreieinheit (shingitai) in Japan dem Prinzip hara untergeordnet. In den japanischen Künsten definiert sich hara als Mitte (naka) des Menschen und bildet ein gesamtmenschliches Kontrollzentrum in der die Zusammenführung von Geist (shin), Technik (gi) und Körper (tai) als shingitai oder san mi ittai bezeichnet wird. Dieses psycho-physische Konzept zielt auf die Ganzwerdung des Menschen (shinshin), durch die Übung einer äußeren Tätigkeit (gi) und bildet das Zentrum aller japanischen Wegkünste (geidō). Erst in diesem Sinn ist das Sprichwort „ob Teetrinken, Blumenstecken oder Sitzen, es ist immer das gleiche“ oder „was richtig geschieht, muss immer mit hara geschehen“, zu verstehen.<br.>Zunächst aber muss auf der Basis der Ganzkörperbewegung (shitai undō) die Technik perfektioniert werden. Alle im budō zu erzielenden Persönlichkeitswerte hängen von der Verwirklichung dieses Prinzips ab. Das verbindende Element zwischen Körper und Geist (shintai) wird in der Philosophie der Körpermitte (hara) gesehen. Hara ist der Sitz der Energie (ki), das Zentrum der Bewegung (undō) und der innerste Kern unseres Selbst. Die gesamte Philosophie des budō kreist um die Lehre von hara und ist in den Weglehren (geidō) unverzichtbar.<br.>In allen Weglehren des budō geht es nicht um die Übung bloser Körpertechniken, sondern um die Vereinheitlichung von Geist, Technik und Körper durch das Training der Techniken. Dadurch führt der Lehrer seine Schüler auf einen Inneren Weg.

  • Shitai undō - bezeichnet die Ganzkörperbewegung, innerhalb derer der Körper (tai) durch die Technik (gi) perfektioniert wird. Bei Betrachtung der körperlichen Techniken ist festzustellen, dass es sowohl im budō als auch im Sport immer um die Verwirklichung eines harmonischen Verhältnisses zwischen Extremitätenbewegung (tsuki, uke, uchi, keri) und der Fortbewegung des Körpers im Raum (sabaki) geht. Durch die Verbindung der Extremitätenbewegung (shishi undō) mit der Rumpfbewegung (tai sabaki) entsteht die Ganzkörperbewegung, durch die höchstmögliche körperliche Leistung erzielt werden kann.
  • Shinshin - heißt „Geist-Körper“ und bezeichnet die Verbindung der Ganzkörperbewegung (shitai undō) mit allen dem Menschen zur Verfügung stehenden geistigen Kontrollinstanzen (shin). Dadurch verändert sich die körperliche Übung in ein anhaltendes psycho-physisches Experiment der Selbstbetrachtung. Auf diese Weise wird shingitai verwirklicht, die Einheit zwischen Geist, Technik und Körper.

Zusammenhänge

Hara bezeichnet die Organisation des Menschen auf seiner vertikalen Achse in Bezug auf seine Körperhaltung (shisei), sein Spannung (kinchō) und seine Atmung (kokyū). Auf dieser Basis entstand das „Prinzip der Mitte“, mit dem man ein psycho-physisches Zentrum im Menschen suggerierte, durch dessen Verständnis man das Vermeiden der menschlichen Fehlhaltungen und Falschentscheidungen üben konnte.<br.>Die Verwirklichung von hara ist in allen japanischen Wegkünsten ein Zeugnis von menschlicher Reife. Jede Wegübung () zielt dementsprechend vor allem auf die Persönlichkeitsbildung und auf die Entwicklung der inneren Werte des Übenden. Nicht durch einseitig hochgezüchtete Technik, sondern erst dadurch lernt er in der Welt zu wirken.<br.>Sich als Selbst zu gestalten und gleichzeitig die natürlichen Bedingungen des „Werdens und Vergehens“ zu akzeptieren, wird in den Wegkünsten als Grundlage zur Entwicklung jeder Persönlichkeit angesehen. Das Wissen, wie man die Philosophie des hara im Training umsetzen kann, ist nur selten gegeben.

Hara ist das Zentrum und die hauptsächliche Verbindung zwischen Geist, Technik und Körper (shingitai) und als solches das zentrale Prinzip jeder Übung. Um shingitai zu verwirklichen, werden drei Maßstäbe genannt, die den Mittelpunkt jeder Technik-Übung im budō bilden:

Prinzipien der Hara-Übung

  • Shisei - die Haltung ist eine der Ausdrucksformen von hara und bezieht sich auf die Haltung des Körpers. Aus der in ihrem Mittelpunkt verankerten Gestalt erwächst der obere Körper auf seiner vertikalen Achse in vollkommenem Gleichgewicht nach oben. Der Nacken ist gerade, die Schultern entspannt, während sich die Schwerkraft nach unten senkt und im Bauch (hara) versammelt. Man entwickelt das Gefühl einer schweren Kugel in der Bauchgegend, deren Eigengewicht den Stand verankert und die den Oberkörper trägt. Sowohl im Stand als auch in der Bewegung geht es darum, dieses körperliche Gefüge zu erhalten, um die Kraft der Mitte voll zur Geltung kommen zu lassen.<br.>Die Mitte ist das Zentrum der Kraft und das Zentrum des Gleichgewichtes. Durch den Einsatz der Hüfte kommt diese Kraft zur Geltung, indem durch den richtigen Umgang mit dem Schwerezentrum das Gleichgewicht im Stand und in der Bewegung gewahrt wird.
  • Kinchō/Kanwa - bezeichnet das Verhältnis zwischen Spannung und Entspannung in allen Handlungen. Unter Berücksichtigung der rechten Haltung (shisei) bewegt sich der Körper in der auszuführenden Aktion - immer ausgehend von hara - entweder in einer Hüftdrehung oder in einem Hüftschub. Um darin höchstmögliche Kraft zu entwickeln, bedarf es des rechten Spannungsverhältnisses der Muskeln in der Bewegung. Grundsätzlich wird jede Bewegung in der Entspannung ausgeführt, um eine maximale Endgeschwindigkeit der Technik (und somit kinetische Energie) zu erreichen, die am Ende durch ein kurzzeitiges Anspannen in destruktive Energie umgesetzt wird.
  • Kokyū - bezeichnet den Vorgang der Atmung. In allen Techniken des karate ist die Atmung von entscheidender Bedeutung. Im unmittelbaren Handlungsvorgang bestimmt sie das „Geben und Nehmen“, das „Spannen und Entspannen“ und den psychologischen Aspekt der Technik. Die Atmung ist nicht nur ein körperlicher Vorgang, sondern kommuniziert mit den psychologischen Strukturen des Menschen: so heißt Einatmen grundsätzlich „Nehmen“ und Ausatmen grundsätzlich „Geben“. Auch ungeübte Menschen verwenden unbewusst dieses Prinzip (z.B. beim Holzhacken - niemand spaltet einen Holzklotz, während er einatmet).<br.>In den Kampfkünsten stehen deshalb die Prinzipien der Haltung (shisei), der rechten Spannung (kinchō) und der Atmung (kokyū) in beständiger Relation zueinander. Wenn man entspannt und aufrecht ist und das Zwerchfell während der Einatmung nach unten zieht, drückt sich der Bauch ganz natürlich nach vorne. Der Atem strömt in den Bauch, in das Zentrum der Kraft (hara). Wenn wir ausatmen, drückt das Zwerchfell nach oben, und die Luft strömt heraus. Der Atem strömt in den Bauch, in das Zentrum der Kraft (hara).

Studien Informationen

Siehe auch: Hara | Naka | Tiáo | Shin | Waza | Tai <br.>Yōi | Yōi shizentai | Yōi dachi | Yōi gamae | Shisei | Kinchō | Kokyū <br.> Ablage Shingitai

Literatur

  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.
  • Werner Lind: Budo - der geistige Weg der Kampfkünste. Scherz 1991.
  • Werner Lind: Karate Kihon. BSK 2007.
  • Werner Lind: Karate Kata. BSK 2011.