Shuhari

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Artikel von: Werner Lind

Shu Ha Ri (jap.:守破離) bezeichnet drei Entwicklungsetappen auf einem Weg (), die gleichermaßen für die geübte Wegkunst (geidō), wie auch für den Reifeprozess im Leben gelten. Beide gehen Hand in Hand, niemand kann in seiner Kunst ein Meister werden und im Leben ein Kind bleiben.<br.>Daher bezeichnet shuhari in den Wegkünsten denselben Prozess, den ein Mensch im Leben erfährt: Jugend, Reife und Alter. In den Wegkünsten werden die Erfahrungen dieser drei Stufen durch Übung und Kontempaltion komprimiert, so das diejenigen, die sich redlich bemühen, vorausgreifende Erahrungen machen können. Und trotzdem bleibt shuhari ein Weg, der durch Lernen von der Unreife zur Reife, von der Unerfahrenheit zur Erfahrung, von der Jugend zum Alter führt.<br.>Ein Wegübender kann durch wohlverstandene Übung seinen Lebensweg der drei Fortschrittsstufen durchlaufen: shu (Gehorsam gegenüber der Tradition), ha (Befreiung vom System) und ri (Freiheit, individuelle Transzendenz der Tradition). Shu ist die Anfangsstufe, auf der ein Übender bleibt, wenn er die Weglehre nicht nachvollzieht. Die Stufen ha und ri können nur dann verwirklicht werden, wenn die Übung auf einen "inneren Weg" ausgerichtet ist.

Shuhari auf dem Weg der Künste

Den Fortschritt auf dem Weg () der japanischen Künste geidō teilt man seit altersher in drei Stufen, die man als shuhari bezeichnet. Darin findet in drei Etappen eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den tradierten Formen des zu erlernenden Systems statt. Der Dreischritt, der diese Entwicklungsstufen symbolisiert, bezeichnet sowohl die Vollendung der Formen in der Übung (undō), wie auch den Reifeprozess des Übenden (shingitai) durch die Form.<br.>Daher versinnbildlicht shuhari denselben Weg, den ein Mensch im Leben geht: Jugend (shu); mittleres Alter (ha), und Alter (ri). Wie das Leben selbst bezeichnen auch die Japanischen Künste Wege, die durch Lernen von der Unreife zur Reife, von der Unerfahrenheit zur Erfahrung, von der Jugend zum Alter führt.<br.>Die drei Stufen sind keine Titel und keine Rangabzeichen, sondern konkrete Bestandteile jeder traditionellen Lehre des geidō. Sie stellen sich von selbst ein, wenn der Übende ihren Anforderungen entspricht.<br.>Im Prinzip shuhari sind Form und Weg eng miteinander verbunden. Der Mensch übt sich in der Form, um auf dem Weg zu reifen. Nach außen hin vervollkommnet er seine Kunstform, nach innen jedoch Selbstverwirklichung und Bewusstsein.

Shuhari auf dem Weg der Kampfkünste

Shuhari bezeichnet den menschlichen Reifeprozess im budō und steht mit seinen drei Stufen symbolisch für denselben Erfahrensweg, den ein Mensch im Leben geht:

  1. Shu - Kindheit und Jugend
  2. Ha - Mittlere Reife
  3. Ri - Alter und Erfahrung

Als Maßstab zur Entwicklung auf dem Weg () steht shuhari über dem Rangsystem und untergliedert die Ränge (kyūdan) in seine dreigeteilte Struktur. Die Ränge sind also Untergliederungen in die Abschnitte, die im budō das Leben symbolisieren. Übertragen auf das Rangsystems befinden sich die mudansha in der Shu-Stufe, die yūdansha in der Ha-Stufe und die kodansha in der Ri-Stufe.<br.>Doch das Bild der Dreierstufen genügt nicht, um die komplexe Struktur eines Rangsystems zu erfassen. Denn in den genannten drei Lebensabschnitten lernt, erfährt und reift der Mensch in vielerlei Hinsicht. Erst die Vielfalt der Lebenserfahrungen, Lebenswahrnehumgen und Lebensverwirklichungen entwickeln sich innerhalb der oben genannten Überordnungen zu immer neuen Erkenntnissen. Dieser Weg der kleinen Schritte symbolisiert das Rangsystems. Der Prozess ähnelt einer linear aufsteigenden Treppe über drei Etagen - jede Stufe bezeichnet einen neuen Rang (kyū oder dan) der Lebensreife. Fortschritt im budō ist eine sich stetig nach oben windende Spirale an Wissen, Können und Erfahrung, die erst im richtigen Training entsteht und schließlich ins tägliche Leben strahlt.

Shuhari - die Fortschrittsstufen im Budō

In einer solchen Übung sind Form und Weg eng miteinander verbunden. Der Mensch übt sich in der Form, um auf dem Weg zu reifen. Nach außen hin vervollkommnet er sichtbare Formen, nach innen jedoch Tugend und Bewusstsein. Der Fortschritt in dieser inneren und äußeren Vervollkommnung ist nicht zu jedem Zeitpunkt exakt messbar und ebenso wie die Abschnitte des Lebens erst aus der Rückschau völlig zu verstehen.<br.>In allen Kampfkünsten, die in der Forschungsgemeinschaft Budo Studien Kreis (BSK) praktiziert werden, stehen der chinesischen und der japanisch-okinawanischen Tradition folgend formale Abläufe (kata) im Zentrum der körperlichen und geistigen Übung. Dabei gilt es, zunächst die kata schrittweise zu erlernen, um später das in ihnen enthaltene kampfmethodische und gesundheitsfördernde Potenzial in seiner Komplexität nach und nach verstehen zu können. Ziel der Übung ist es, schließlich zu verinnerlichen, dass der eigentliche - weil persönlichkeitsfördernde - Wert der Kata-Übung nicht im vermeintlichen Beherrschen der Form, sondern in der Bemühung um die Form oder metaphorisch gesprochen im Weg, den man mit der Form geht, liegt. Demzufolge wird im Budō Studien Kreis Fortschritt daran gemessen, ob der Schüler im Verlaufe seiner Beschäftigung mit einer Kampfkunst neue Qualitätsstufen im Verständnis der kata erreicht und ob die Beschäftigung mit den kata die Entfaltung seiner Persönlichkeit voranbringt, nicht aber daran, ob der Schüler immer neue kata formal beherrscht. Die Basis dieses Konzepts ist das philosophische Konzept der drei Verständnisstufen shu ha ri.<br.>Shu ha ri ist nicht nur ein philosophisches Prinzip, es ist die Wirklichkeit der Übung und des Lebens zugleich. Die innere Einstellung zur Übung ist entscheidend dafür, ob das abstrakte Prinzip shu ha ri in seinen fortgeschrittenen Stufen jemals individuell verwirklicht werden kann.

Shu (beschützen, verteidigen, einhalten, befolgen)

Das Schriftzeichen steht in den Wegkünsten für den ersten Abschnitt des dreigeteilten Übungsweges im budō und bezeichnet das Bekenntnis des Übenden zur traditionellen Lehre des budō.<br.>Es ist das gleiche wie im Leben auch: das Kind wird geboren und hat bis zu dem Zeitpunkt seiner Reife die Aufgabe zu lernen. Andere Menschen vor ihm haben die Systeme des gegenseitigen Verhaltens und des rechten Befindens festgelegt und sie als Gesetze des Lebens geprägt. Der unreife Mensch kann sie weder in Frage stellen noch verändern, sondern er muss sie zuerst lernen, um sie zu verstehen. Ebenso muss der Anfänger in den Kampfkünsten das System beachten, denn er ist ohne das System nicht in der Lage, den hintergründigen Sinn der Kunst zu verstehen. Um jemals über Formen hinausgehen zu können, muss er sich um die Inhalte bemühen, sie lernen und sie achten. Um Fortschritte zu machen, muss er sich auf sein augenblickliches Niveau konzentrieren und Schritt für Schritt lernen. Wenn er Geduld, Bescheidenheit und Vertrauen besitzt, wird im Laufe der folgenden Jahre das richtige Verständnis eintreten und seinen Zielen einen neuen Sinn geben.<br.>Shu ist die Stufe des Anfängers. Seine Aufgabe ist es, das Form-System zu lernen, um später seine Bedeutung zu erfahren. Beides kann er nur mit Hilfe eines Lehrers.

  • Shu 守 bedeutet wörtlich „befolgen“, „bewahren“. Auf dieser ersten Stufe des dreigeteilten Prozesses hat der Übende die Aufgabe, die Formen, die ihm vom Meister vermittelt werden, genau zu erlernen und nachzuahmen. Dies betrifft sowohl die festgelegten kämpferischen Methoden (kata) als auch die vom Meister kodifizierten Regeln für das zwischenmenschliche Verhalten in der Kampfkunstschule (dōjōkun). Sinn und Wert dieser Formen erschließen sich dem Übenden erst nach und nach, weshalb es durchaus zu Missverständnissen und Fehlannahmen kommen kann, die zu klären Aufgabe des sensei ist. Nicht jede seiner Lehren wird den Schüler auf der Shu-Stufe sofort erreichen. Notwendig für den Fortschritt ist aber ein vom Älteren zu etablierendes und vom Jüngeren zu erwiderndes Vertrauensverhältnis, dessen Basis die Zuversicht des Schülers ist, dass der Meister aufgrund seiner langen Erfahrung auf dem Weg der Kampkünste das Richtige tut, um ihn auszubilden, auch wenn er als Schüler dies (noch) nicht versteht. Geht ein Unerfahrener den gegenteiligen Weg und bezweifelt den Sinn der Formen und die Lehre des Meisters, ohne sie tatsächlich verstanden zu haben, so wird er aus diesem Unbehagen heraus dem Meister nicht mehr folgen und dadurch die Tradition, in der jener steht, nicht bewahren können. Die Haltung des Übenden auf der Shu-Stufe muss daher von Geduld, Zurückhaltung und vom Bemühen um rechtes Verständnis geprägt sein. Vorschnelles Urteilen vereitelt weiteren Fortschritt.

Ha (zerreißen, zerbrechen)

Dies ist das zweite Prinzip des Lernweges. Das Schriftzeichen übersetzt man mit „zerreißen“ oder „zerbrechen“. Es bezeichnet die zweite Etappe der Weglehre (, in welcher der Schüler die Normen und Konventionen der Systeme verlässt und seiner Übung eigene Inhalte gibt. Daher bezeichnet man die Ha-Stufe auch noch als „Stufe der Befreiung vom Formsystem“. Im Shu-Abschnitt hat er die Formen nachgeahmt und gelernt, in der Ha-Stufe lernt er sie zu hinterfragen und zu verstehen.

  • Ha 破 wird mit „zerreißen“ oder „zerbrechen“ übersetzt und bezieht sich in erster Linie auf ein Ausbrechen des Übenden aus der Phase des strikten Nachahmens von Formen. Hat der Übende sich über einige Jahre intensiv mit den formalen Abläufen seiner Kampfkunst beschäftigt und ist er in der Lage, die kata auf einem hohen Niveau zu reproduzieren, so besteht die Gefahr, dass er diesen Prozess der Aneignung und Reproduktion nur noch wiederholt und ohne Erkenntnisgewinn, ohne Verständnis und damit ohne tatsächlichen Fortschritt auf der Shu-Stufe verharrt. Das, was in einer frühen Phase des Kampfkunstweges den Übenden am Fortschritt noch hindern kann, ist für dessen weiteres Voranschreiten nun zur notwendigen Bedingung geworden: er muss die Details der Formen auf ihren Sinngehalt hin prüfen, er muss im Geflecht des Formensystems einer Kampfkunstschule Wechselbeziehungen (d. h. wiederkehrende Prinzipien) erkennen und für sich nutzbar machen, er darf die Form schließlich nicht mehr als Eigenwert betrachten, sondern als Mittel zur Verwirklichung übergeordneter Werte. Der Übende auf der Shu-Stufe dient der Form, der Übende auf der Ha-Stufe bedient sich der Form.

Ri (sich trennen, sich entfernen)

Auch hanasu, bezeichnet das dritte Prinzip auf dem Wegfortschritt. Ri versinnbildlicht die Fähigkeit zur Transzendenz, zur Vollendung des Geistes.<br.>Ri ist die Stufe der Trennung und Unabhängigkeit von jeder begrifflichen Form, denn sie existiert nun in einer anderen Dimension. Der Zen-Meister Takuan bezeichnete ri als das höchste Ziel aller Wegkünste (ri no shugyō). Er verstand unter ri die vollkommene Meisterschaft der Haltung, die der Übende erreichen kann, wenn er sich endgültig von den Fesseln des Ich befreit. Das daraus entstehende „Nichthaften“ (mushotoku) an den weltlichen Dingen erlaubt einen inneren Zustand (mushin), aus dem heraus die Wirklichkeit so gesehen werden kann, wie sie ist.

  • Ri 離 steht für das fortgeschrittenste Stadium der Wegübung und bedeutet „sich los- oder ablösen“, womit das Verhältnis des Übenden zur Form bereits charakterisiert ist. In dieser Phase der Meisterschaft ist es für den Übenden selbst nicht mehr notwendig, die kata seiner Tradition im Ablauf nachzuahmen oder vergleichend zu analysieren, da er die in den Formen enthaltenen Prinzipien und die durch ihre Übung vermittelten Werte verinnerlicht hat und lebt. Gleichwohl weiß er um die gewichtige Funktion der kata im Unterrichtsprozess und vermittelt diese als Methode an seine Schüler weiter. Dazu kann er die Formen seiner Kampfkunsttradition nutzen oder auch - mit den Worten Ōtsuka Hironoris - „etwas noch vortrefflicheres Neues“ erschaffen.

Studien Informationen

Siehe auch: | Budō | Graduierungen | Shuhari und Kyūdan | Kyūdan | Prüfungen |

Literatur

  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.

Weblinks