Tai

Aus Budopedia
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3. Tai (karada) – der Körper

In allen Künsten gibt es ein Instrument, mit dem die jeweilige Kunst zum Ausdruck gebracht wird. In der Literatur ist es die Sprache, in der Malerei der Pinsel, in der Musik das Instrument – in den Kampfkünsten ist es der Körper, tai (auch karada). Der Körper muss für seine auszuführenden Techniken (waza) trainiert sein und seiner Bestimmung entsprechen – gleich allen Künsten, in denen ohne das grundlegende handwerkliche Können keine Kreation mit dem Instrument gelingt. Das grundlegende Instrument jeder physischen Budō-Technik ist die Bewegung (sabaki). Sie hat zum Ziel, durch die intensive Wiederholung der Körpertechniken die Ganzkörperbewegung (shitai undō) zu entwickeln, auf die das gesamte Training der Techniken zielt. Durch ihre Verwirklichung kann der Übende in der Technik auszudrücken, was ihn als „Ganzheit“ ausmacht. Doch der Ausdruck im Bewegungsbild eines Menschen hängt vom psychischen Standpunkt gegenüber dem Leben in einem ebenso hohen Maß ab, wie von der Verwirklichung der physischen Technik. Um sie im Training zu realisieren, ist es dringend notwendig, dass das Bewusstsein des Übenden auf jene Punkte gelenkt wird, die die Grundvoraussetzungen zur Ganzkörperlichkeit ermöglichen: Die Ganzkörperbewegung besteht aus dem harmonischen Zusammenspiel zwischen Geschicklichkeit (Extremitätenbewegung – shishi undō) und Gewandtheit (Rumpfbewegung – tai sabaki). Mit Geschicklichkeit bezeichnet man die arbeitsverrichtenden Bewegungen der Extremitäten, während Gewandtheit die vom Rumpf ausgehende Schwerkraftüberwindung und Gleichgewichtserhaltung in der Bewegung ist. Um diese in der Übung zu vermitteln, muss die Aufmerksamkeit des Übenden auf die richtigen Schwerpunkte im Training gelenkt werden. Dies erfordert die Umstellung herkömmlicher Denkgewohnheiten und Zweckvorstellungen im Training, die sich vom Sporttreiben hin zu einer Wegerfahrung deutlich unterscheiden:

• Logik: Die Erklärung, für die im Laufe der Zeit im Leistungsdenken erkrankte Bewegungsauffassung des modernen Menschen liegt in seiner Evolution: Infolge der Entwicklung des logischen Denkens begann der Mensch, die Geschicklichkeitsbewegung (machen, gestalten, verändern) gegenüber der Gewandtheitsbewegung (lassen, dulden, bewahren) zu überakzentuieren. Durch das logische Denken, verbunden mit der Geschicklichkeit seiner Extremitäten, erleichterte er sein Leben und begann eine seinen Zielen und Vorstellungen entsprechende Welt zu bauen, durch die er in Widerspruch zur Anpassung fordernden Natur geriet. Das sich durch Bewusstsein verwirklichende Leben begann in einem immer größeren Maß von der logischen Beurteilung einer Situation abzuhängen. Überhaupt bedingen diese im Geschicklichkeitstun verflochtenen Prozesse des Erkennens, der Analyse und nutzbringenden Arbeit das Werden jenes Lebens, das sich vom duldenden, der Natur unterworfenen unterscheidet. Das logische Denken ist eng mit der arbeitverrichtenden Extremitätenbewegung verbunden und erkennt als einziges Ziel die Leistung. Im logischen Denken ist daher jede Übung eine Übung zu einem Zweck. Das logische Denken kann keine Wegübung verstehen. • Intuition: Die Gewandtheit hingegen bezeichnet die Bewegung des Rumpfes, des tragenden Teils jeder extremen Beweglichkeit. Sie ist das Sinnbild für das angepasste Sich-Befinden in der Welt, unterliegt hauptsächlich der Intuition und entwickelt einen ausgeprägten Sinn für inneres und äußeres Gleichgewicht, für die Orientierung in der Umgebung und den Umgang mit sich selbst. Als fundamentale Form der Bewegung hat sie eine intensive Verbindung zu den tiefsten Schichten der Seele, das heißt zum Vertrauen in den natürlichen Ursprung. Dies steht im Gegensatz zu dem Anspruch an ein bewusstes Leben, sich gegenüber der Natur zu behaupten. Es ist die tragende und zugleich grundlegende Seite des Lebens, die für den Menschen ebenso wichtige, ohne die er nicht existieren kann. Es ist der Auftrag, in allem Streben die Achtung vor dem Sein zu erhalten, in jedem Anspruch das Gleichgewicht zu wahren und in jedem Gestalten dem Sinn des natürlichen Lebens zu gehorchen. In dem Maß, in dem der Mensch die Welt durch dieses Bewusstsein erkennt, lebt er im Gleichgewicht seiner beiden Bestimmungspole. Er kann sich anpassen, und er kann wirken. Dieses Bewusstsein wird im budō durch die Übung der korrekten Technik vermittelt.

Im Trainingsprozess wird daher jeder Weg-Lehrer seine Schüler vornehmlich auf den Prinzipien der rechten Haltung (shisei), in den Spannungsverhältnissen (kinchō) und in der Atmung (kokyū) ausbilden.