Kōbō Daishi

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Artikel aus: Lexikon der Kampfkünste<br.>Nachbearbeitet von: Werner Lind

Kōbō Daishi / Kūkai (774-835)

Kōbō Daishi (jap.: 弘法大師) ist der posthume Ehrentitel des japanischen Mönches Kūkai (空海 - „Meer der Leere“, 27.Juli 774 - 22.April 835). Als Gelehrter, Künstler und Mönch im frühen heian jidai wurde er weit über seine Zeit hinaus vereehrt und gilt heute als mystische Gestalt in der japanischen Religionsgeschichte. Er ist der Begründer des mantrisch-esoterischen shingon shū und einer der hauptsächlichen Überbringer der chinesischen Kultur an den Kaiserhof von Heian kyō.

Kūkais Leben

Geschichtlich gesehen war Kūkai eine widersprüchliche Persönlichkeit, in der sich Mythos und Wahrheit vereinigen. Heute ist es schwierig die Legenden über ihn von der Realität zu trennen. Als Sohn von Saeki Tagimi und seiner Frau Tamayori wurde Kūkai mit dem Kindernamen Tōtomono am 27. Juli 774 geboren. Seine Familie war Teil einer untergeordneten Klasse der damaligen provinziellen Adeligen (Provinzverwalter mit dem niederem kabane für atae). Der Junge lernte unter seinem Onkel (Atō Ōtari) bereits im Alter von 15 Jahren die chinesische Sprache und wurde mit 18 als Beamter am daigaku des Kaiserhofes zugelassen.<br.>Nachdem 784 die Hauptstadt von Heijō kyō nach Nagaoka kyō verlagert wurde, trat er im Alter von 20 Jahren (793) eine Lehre zum buddhistischen Mönch im Tempel Makinōsan unter der Leitung des Abtes Yuwabuchi an. Bereits 797 veröffentlichte er im Alter von 24 Jahren seine ersten buddhistischen Studien im Werk Sankyōshiki.<br.>Zwischen seinem 24. und 31. Lebensjahr zog er als Eremit durch die japanischen Berge. Im Jahr 803 gelangte er in den Tempel von Kume, in dem er 804 die Ordination zum buddhistischen Mönch erhielt. In diesem Tempel fand er die Abschrift einer sūtra (mahāvairochana sūtra), die ihn zum tieferen Verständnis des Buddhismus animierte. Dies veranlasste ihn, nach China zu reisen, um den Buddhismus vor Ort zu studieren.

Studien in China

Kūkai hielt sich zwei Jahre lang in der chinesischen Hauptstadt Chang'an (Hauptstadt Chinas in der Qin-Dynastie) auf und war Schüler von verschiedenen Lehrmeistern. Der chinesische Mönch Hui Kuo (jap. Keika) unterrichtete ihn im esoterischen tibetanischen Buddhismus (vajrayâna) und ordinierte ihn, zusammen mit dem früh verstorbenen Imming(義明), zum achten Patriarchen. Der Begriff vajrayâna bezeichnet eine Richtung des Tantrismus, die ursprünglich im 5. Jahrhundert im Norden Indiens entstand und sich aus dem Mahâyâna ableitet. Im späten 8. Jahrhundert wurde die Lehre unter dem Begriff mizong (密宗) von Indien nach China übertragen. Im 9. Jahrhundert wurde sie von Kūkai als mikkyō (密教) nach Japan gebracht, woraus sich dort die Richtungen shingon und tendai entwickelten.<br.>Kūkai hatte in Chang'an auch indische Lehrer, wie den Kaschmir-Mönch Prajnña (744-810) und Muniśrī, die ihn in sanskrit unterrichteten. Zusätzlich lernte er die Kunst der Kalligraphie (shodō) von Han Fang Ming. Während er 806 auf seine Überfahrt nach Japan wartete, verfasste er für seinen verstorbenen Lehrer ein Epitaph. Der Gouverneur von Yüeh schenkte ihm zum Abschied eine Reihe von Sutra-Abschriften.

Rückkehr nach Japan

Im Jahre 806 kehrte Kūkai nach Japan zurück und präsentierte am Hof des tennō seine neue Sūtra-Sammlung (shōrai mokuroku), die er aus China mitgebracht hatte. Bereits 805 war Saichō aus China zurückgekehrt und hatte mit der Erlaubnis des Kaisers die esoterische Schule tendai shū gegründet. Für Kūkai zog sich die Genehmigung des Kaiserhauses in die Länge und so verbrachte er zunächst mehrere abwartende Jahre auf der Südinsel Kyūshū. Erst nach der Inthronisation des Saga-Tennō (Regierunsgzeit 809-823), der ein Befürworter des Buddhismus war, erhielt Kūkai eine Zusage. Er trat 809 dem Tempel Takaosanji bei, der über viele Jahre sein Zentrum blieb. Dort führte er als Erster in Japan das Abhiṣeka-Ritual (灌頂, kanjo) aus.<br.>Zwischen 810 und 813 war er Vorstand (bettō) des Tempels Tōji im Stadtbezirk Minami der Hauptstadt Kyōto und im Otokunidera. Saga-Tennō bat ihn darum, Kalligraphien, Gedichte und Briefe zu verfassen (seirei shū), die den Inhalt seiner Lehre dokumentieren sollten. Im Jahr 813 verfasste er eine Schrift (kōnin no goyuikai), in der er u.a. auch den Unterschied zwischen dem esoterischen Buddhismus und dem exoterischen Buddhismus (benkenmitsu nikyō ron) erläutert. Am 19. Mai 816 bat er den Kaiser um Erlaubnis, auf dem Kōya san eine Tempelanlage errichten zu dürfen. Bevor er sich dieser Aufgabe widmete entstanden ab 817 mehrere seiner bedeutendsten Werke. Seine literarischen Arbeiten setzten sich bis 821 fort. Er reproduzierte viele mandala und 26 Gemälde, die er aus China mitgebracht hatte. Im Jahre 822 errichtete er auch eine Shingon-Kapelle innerhalb des Tōdaiji (Nara).

Anerkennung der Shingon shū

Nachdem Saga-Tennōs Nachfolger, Junna-Tennō, im Jahr 823 an die Macht kam, genehmigte er am 10. Oktober 823 die Lehre des Kūkai als eigenständige Richtung des japanisch-esoterischen Buddhismus (mikkyō) und die Gründung der Sekte shingon shū. Ihr geistlicher Initiator (shōsōzu) war Kūkai. Innerhalb der Hierarchie der japanischen Geistlichen stieg er 827 zum daisōzu (Groß-Vikar) auf. 825 wurde er Lehrer des Kronprinzen, 829 wurde er zum Verwalter des Daianji in Nara.<br.>Ein Jahr davor (828) unternahm Kūkai den Versuch, in Heian kyō eine Privatschule (shugei shuchiin) zu gründen, in der er das gemeine Volk an die esoterischen Lehren des shingon heranführen wollte. Dieser Versuch misslang und die Schule wurde 845 wieder geschlossen. Daraufhin konzentrierte er sich in den folgenden Jahre bis 835 auf seine literarischen Veröffentlichungen.

Kūkais Tod

Seit Mai 831 zeigten sich deutliche Symptome einer auftretenden Krankheit. Ab diesem Zeitpunkt hielt er sich nur noch in den Tempelanlagen auf dem Kōya san auf und begann ab 832 jede vegetarische Nahrung abzulehnen, da er darin den Grund seiner Krankheit vermutete. Zurückgezogen widmete er sich ausschließlich der Niederschrift seiner Lehrinhalte. Nach der Inthronisation des Nimmyō-Tennō (833) führte er 834 im Kaiser-Palast erstmals das mishushō-Ritual durch. Dafür erhielt er 835 die kaiserliche Erlaubnis jährlich drei Mönche im shingon shū zu ordinieren.<br.>Kūkai verstarb am einundzwanzigsten Tag des dritten Monats (japanische Zeitrechnung, nengō) in den Tempelanlagen auf dem Kōya san. Im Jahr 851 wurde ihm postum der Titel daisōjō verliehen. Den Ehrentitel Kōbō Daishi erhielt er erst 921 von Daigo-Tennō.

Kūkais Lehre

Kūkai gilt als Begründer des japanischen shingon, einer mantrischen und esoterischen Richtung des Buddhismus (vajrayâna) aus Tibet. Diese Lehre stammt ursprünglich aus der indischen Version des mantrayāna, die zu jener Zeit im chinesischen Binnenland (Kūkai studierte in Chang'an) Hochkonjunktur hatte. Sie basiert auf den heiligen Schriften des tantrischen Vajrayâna-Buddhismus und wurde in den indischen Schriften als vajrochana sūtra (jap. dainichi kyō) und als vajrasekhara sūtra (jap. kongocho kyō) propagiert. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts gelangte die Lehre nach China. Sie bestand aus überwiegend mystischen Praktiken (mizong) und wurde von Kūkai als mikkyō nach Japan gebracht. Der Begriff mikkyō wurde in Japan zum Synonym all jener Schulen, die den mystischen Buddhismus unterrichteten.<br.>Kūkai konnte den japanischen Kaiser davon überzeugen, dass der esoterische Buddhismus (mikkyō) dem japanischen Reich von Nutzen sei (chingo kokka), weil er den Menschen schon in ihrer irdischen Existenz zur Erleuchtung (sokushin jōbutsu) verhelfen kann. Zugleich glaubte er in den Gottheiten des shintō die Verkörperungen von buddhistischen Göttern zu erkennen. Damit verband er den alten japanischen Götterglauben shintō mit neuen Elementen aus dem chinesischen Buddhismus (shinbutsu shūgō). Er verkündete, dass jeder Mensch ein ursprüngliches Erleuchtungspotenzial (hongaku) hat, das er suchen und ausbauen kann. Die umherwandelnden Praktiker des bisher unsystematisierten shintō und esoterischen Buddhismus (zōmitsu) vereinigten sich durch seine Lehre schließlich zum shugendō.

Tempel Kongōbuji

Der Kongōbuji (金剛峰寺) war Kūkais erster Tempel außerhalb der großen Städte. Kūkai ließ ihn 816 auf dem Kōya san erbauen und weihte ihn am 5.März 819 ein. Als Kōya san bezeichnet man eine Gruppe von Erhebungen in den Bergen der Halbinsel Kii südlich von Ōsaka. Kūkai hielt sich längere Zeit dort auf. Neben dem Tempel befinden sich in der Anlage noch eine Pagode (Konpon daitō, 根本大塔) und Kūkais Mausoleum (Okunoin, 奥の院). Der Kongōbuji ist einer der Haupttempel der shingon shū und wurde 2004, zusammen mit allen weiteren Anlagen auf dem Kōya san von der UNESCO zum Weltkulturerbe in Japan erklärt.

Tempel Tōji

Der Tōji (東寺) im südlichen Bezirk (Minami) der Stadt Kyōto war der hauptsächliche Ort, von dem aus Kūkai seine Lehre verbreitete. Der Tempelbau wurde bereits 793 von Kanmu-Tennō in Auftrag gegeben und sollte als Schutztempel für die neue Hauptstadt Kyōto dienen, ähnlich wie die vorausgegangenen Anlagen in Nara (Tōdaiji und Saidaiji). Doch nachdem die Bauarbeiten 823 immer noch nicht abgeschlossen waren, übertrug Saga-Tennō die Leitung des Tempels auf Kūkai. Vom nachfolgenden Junna-Tennō erhielt dieser im selben Jahr die Erlaubnis, den Tempel als Hauptsitz des shingon zu betreiben und darin 50 Mönche zu unterweisen. Dadurch war das Zentrum der shingon shū gegründet und gleichzeitig die erstbekannte Inanspruchnahme eines Tempels von einer einzelnen Lehrrichtung in Japan.<br.>Der Vorgang wird heute in überlieferten Dokumenten bestätigt. Daraus geht hervor, dass die esoterische Schulungsrichtung des shingon staatlich anerkannt und gefördert wurde. Die Anlagen des Tempels wurden 1994 von der UNESCO zum Weltkulturerbe in Japan ernannt.

Dichtung und Wahrheit

Kūkai wird heute in Japan als mythologische Gestalt verehrt, um den sich Dichtungen und Legenden ranken. Zweifellos war er ein kultureller Führer seiner Zeit und neben Saichō einer der Begründer des japanischen mikkyō. Doch ihm werden Taten und Initiativen zugeschrieben, die von der Geschichtsforschung nicht bestätigt oder zumindest in Zweifel gezogen werden.

  • Kūkais Lebensdaten - Kūkais Geburtsdatum ist geschichtlich unbestätigt. Die Aussage, dass er am 15.Juni 774 geboren sei entstammt einer Dokumentation, die 400 Jahre später geschrieben wurde. Offiziell wird heute der 27.Juli 774 als sein Geburtsdatum anerkannt.
  • Kūkais Erfindung der Kana - keinesfalls erfand Kūkai - wie mythologisch behauptet - die japanische Silbenschrift kana, jedoch beeinflusste er ihre spätere Entwicklung in Japan durch das von ihm verbreitete siddham. Seine mündliche und schriftliche Sprache ist heute auch für Fachleute schwer verständlich. Zum einen schreibt er in schnörkelhaftem klassischen Chinesisch, zum anderen verwendet er eine Vielzahl von Ausdrücken aus dem sanskrit.
  • Kūkais Kunst - Kūkai überlieferte 26 Gemälde, die er nach chinesischen Vorlagen anfertigte. Ihre Kopien wurden von den umherziehenden Kōya-Mönchen (kōya hijiri) im ganzen Land verbreitet. Dargestellt ist darauf oft der Mönchsgelehrte als Mystiker mit drei Gesichtern und sechs Armen.
  • Kūkais Teezeremonie - die Einführung der chinesischen Teesamen nach Japan und ihrer Verwendung in Japan wird in der Mythologie Kūkai zugeschrieben. Doch Gleiches nimmt auch Saichō für sich in Anspruch. Tatsächlich belegt ist die Tee-Zeremonie (cha no yu, 茶の湯 / chadō, 茶道) erst durch den Zen-Mönch Eisai (明庵栄西, 1141-1215). Doch wahrscheinlich viel früher wurde die Teepflanze von Händlern nach Japan gebracht aber erst im 12. Jahrhundert großflächig angebaut.
  • Kūkais Reinkarnationen - die Mythologie enthält verschiedene Theorien der Reinkarnation (Wiedergeburt) Kūkais, wie z.B. Jinkyō Shōnin oder Shirakawa-Tennō.
  • Kūkais Testament - nur einige Textteile aus Kūkais Testament (nijūgokajō no goyuigō) stammen von ihm selbst. Laut Legende soll er das Testament sechs Tage vor seinem Tod verfasst haben, doch es wurde später nachweislich überarbeitet.
  • Iroha - das iroha oder iroha uta ist ein bekanntes japanisches Silbengedicht, dessen Gründung Kūkai zugeschrieben wird. Doch es konnte nachgewiesen werden, dass es erst 1079 entstand.

Studien Informationen

Siehe auch: Japanische Religion | Japanischer Buddhismus | Shingon | Mikkyō | Shugendō

Literatur

Gesammelte Werke

  1. Kōbō Daishi zenshū, 1910
  2. Kōbō Daishi shodeshi zenshū (Werke der Schüler in drei Bänden), Kyōto 1942

Angelehnte Werke

  • Sankyōshiki - Gegenüberstellung zwischen Buddhismus, Konfuzianismus und Daoismus, englisch von Hakeda, 1972
  • Bunkyō kitsu-ron (Bunkyō Hifuron) - "Poetik des chinesischen Gedichts"
  • Jūjū-jinron - Enzyklopädie der "Zehn Stufen des Daseins", mit Zitaten aus dem chinesischen buddhistischen Kanon.
  • Jistugo-kyō - Sitten- und Morallehre
  • Seirei-shū (Shōryō shū) - Gedicht- und Essaysammlung
  • Jikkan-shō - Pflichtlektüre für Shingon-Mönche, englisch von Hakeda, 1972

Weiterführende Literatur

  • Alfred Bohner - Nijūgokajō no goyuigō, "Abschiedsworte", 1946
  • Alfred Bohner - Wallfahrt zu zweien. Die 88 heiligen Stätten von Shikoku, Tokio/Leipzig 1931; Bonn 1940.
  • Hermann Bohner - Kōbō Daishi in "Monumenta Nipponica", 1946
  • Kawahara Eihō - Kōbō Daishi - Ausgewählte Schriften München 1992, ISBN 3-89129-304-6
  • Hakeda, Yoshido - Kūkai - Major Works New York, London 1972, ISBN 0-231-03627-2
  • Tanimoto, T. - Kōbō Daishi, his position in the history of Japanese civilisation Kōbe 1907
  • Moriyama Shōshin (Hrsg.) - Bunkashijō yori mitaru Kōbō Daishi den, Tokyo 1934
  • U. A. Casal - The Saintly Kōbō Daishi in Popular Lore (a.d. 774-835) in Asian Folklore Studies, Hagiographie

Weblinks