Neujahrsfeier im dōjō

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Das Dojo Jahr

Du solltest dich als privilegiert betrachten, wenn du in einer Entfernung zu deinem Dojo lebst, die es dir ermöglicht zu Fuß dort hinzugehen. Zum einen ist es natürlich komfortabel schnell an einen Ort zu kommen, an dem man so viel Zeit verbringt. Darüber hinaus ermöglicht es dir aber auch auf dem Hin- und Rückweg noch mal ein wenig Zeit, um in dich zu gehen. Du kannst gedanklich von den Anforderungen und Anstrengungen des bisherigen Tages in dein Training gehen und dabei den Alltag hinter dir lassen. Das ist ebenfalls möglich, wenn du z.B. mit dem Zug oder dem Auto zum Training kommst. Diese Zeiten sind durchaus wertvoll. Wenn du außerdem für den Weg zum Dojo ins Freie treten mußt, wirst du zusätzlich von der Natur auf die jeweilige Jahreszeit hingewiesen, die sich im ständigen Wandel befindet.

Der traditionelle japanische Jahreskalender war in 24 Perioden unterteilt, die jeweils aus mehreren Wochen bestanden und einen eigenen Namen hatten, die bestimmte Charaktermerkmale der Saison beinhalteten. Die Sensibilität gegenüber der Beobachtung von Veränderungen und der sich ständig im Wandel befindenden Jahreszeiten ist ein wichtiger Bestandteil in der japanischen Literatur und allen anderen traditionellen Künsten Japans. Es scheint vielleicht beliebig zu klingen, auch eine Verbindung zu budō herstellen zu wollen und ich käme in große Bedrängnis nachweisen zu müssen, dass ein Schüler große Fortschritte macht, weil er aufmerksam gegenüber den Jahreszeiten ist. Es lässt sich nicht statistisch nachweisen, was für einen Effekt es auf dich hat, wenn du auf dein Umfeld achtest und wie es sich auf dich und auf das, was du im Dojo tust, auswirkt. Es hängt von vielen Faktoren ab und wenn du es jetzt als unlogisch empfindest, leg den Gedanken zur Seite und überdenke ihn in ein paar Jahren noch einmal. Für das Jetzt reicht es aus sich über die Jahreszeiten Gedanken zu machen bzw. über den Kalender, da mit ihm unterschiedliche Festlichkeiten und Ereignisse im Dojo verbunden sind. Wenn man ein Mitglied eines Dojo ist, sollte man seine Zugehörigkeit zum Ausdruck bringen, indem man versucht an möglichst vielen solcher Ereignissen teilzunehmen.

Wir fangen am Ende des Jahres an - in den letzten Wochen des Dezembers, in denen die Vorbereitungen für die Festlichkeiten für das neue, kommende Jahr beginnen...

Noch vor ein paar wenigen Wochen haben die Schüler im Dojo in der späten Sommerhitze geschwitzt, während sich nun der Frost über das ganze Land gezogen und die Straßen und Felder in weiß getaucht hat. Der Fußboden im Dojo ist kalt. Dicke Gi, am besten extra schwer, sind nun besonders beliebt. In der Umkleide wird nicht viel geredet. Die Schüler wollen schnell ins Dojo, um sich bereits etwas vorzuwärmen, bevor der Unterricht beginnt. Der Winter ist wieder eingekehrt.

Wo es üblich ist, beginnen nun die Mitglieder des Dojo die Vorbereitungen für das wichtigste Ereignis im Kalenderjahr: das O shōgatsu (お正月), die Feier zum neuen Jahr.

Sich für das neue Jahr vorzubereiten nennt man auf Japanisch kotohajime (事始). Im Dojo beginnt kotohajime in den meisten Fällen am 13. Dezember. An diesem Tag bzw. je nach Trainingstagen und -zeiten zu einem späteren Zeitpunkt, beginnt zusätzlich zu den täglichen Säuberungen des Dojo die Reinigung aller Gegenstände in und um das Dojo herum. In jeder Spalte und jeder Ritze wird Staub gewischt oder gefeudelt. Böden und andere Holzoberflächen werden poliert. Fenster werden ausgehoben und geputzt.

Am 13. Dezember kleiden sich Schüler aus allen Kampfkünsten ebenfalls in formelle Kimono und besuchen ihren Lehrer mit kleinen Geschenken, bedanken sich bei ihm für seine Anleitungen und sprechen mit ihm über das Training des vergangenen Jahres.

Die kamidana (神棚, shintōistischer Hausaltar) und alles, was sich darauf befindet, werden ebenfalls gereinigt. Um den 27igsten Dezember wird shōgatsu shitaku gefeiert (正月仕度), indem die kamidana oder ein extra aufgestellter Tisch davor dekoriert wird. Es spielt keine Rolle, ob diese Dekoration üppig oder einfach gehalten wird. Flaschen mit Sake, eine Art Orange und Reis werden neben weiteren Gegenständen mit symbolischem Charakter auf dem Tisch drapiert. Die Orange, die daidai (ダイダイ, bzw. 橙) genannt wird, enthält eine doppeldeutige Aussprache, die, wenn man sie mit anderen Schriftzeichen ausdrückt (代々), "von einer Generation zu der Nächsten" bedeutet. Das Gewächs urajiro (裏白) ist ein immergrünes Farnkraut, deren Zweige nur paarweise wachsen und aus diesem Grund die Treue von menschlichen Beziehungen symbolisiert.

Yuzu (柚) ist eine Pflanze, bei der die Blätter erst hinabfallen, wenn die neuen bereits kurz vor ihrer Reife stehen. Sie symbolisiert die Übermittlung des Wissens von einer Generation zur Nächsten. Sie wird ebenfalls dargereicht.

Wenn das Dojo vollends gereinigt und das Brett des Altar mit Gaben gedeckt ist, kann eine neue Trainingssaison beginnen.

Heutzutage schließen die meisten Dojo für zwei Wochen um Neujahr. Dies hat mehr Praktische, als zeremonielle Gründe, da Japaner in dieser Zeit viele Verpflichtungen zu erfüllen haben, wie z.B. Besuch der Familie und verschiedenen Schreins etc. Sie haben schlichtweg meistens keine Zeit für reguläres Training. Einige Dojo veranstalten jedoch nach wie vor ein spezielles Training zur Neujahrsstunde, wobei die erste Stunde des Training im Alten, und die zweite Stunde im neuen Jahr stattfindet. Man nennt dieses Training toshikoshi-geiko (年越し稽古), das „Neujahrsvorabend Training“ bedeutet. Das erste reguläre Training im neuen Jahr nennt man keiko hajime (稽古始め) und bedeutet "das Üben beginnen". In der Zeit dazwischen haben einige Dojo einen Abend, an dem zur Feier des neuen Jahres gemeinsam gegessen und getrunken wird, das man kagami biraki (鏡開き) nennt, das "den Spiegel öffnen" bedeutet. Im übertragenen Sinn bezeichnet es eine Pause vom regulären Training, um tief in sein Inneres zu blicken.

Neujahrsfestlichkeiten können sich je nach Kunst und Stil unterscheiden. Einige treffen sich am Hausschrein ihres Stils oder zu einem gemeinsamen Essen bei ihrem Lehrer. Andere führen formelle Rituale oder besondere Traininge durch, wobei alles zu Ehren der Ahnen ihres Stils durchgeführt wird.

In unterschiedlichen Wegen führen alle Rituale und Zeremonien zu Ehren der Feier des neuen Jahres in einem Ziel zusammen: jeder wird dazu angehalten sich zu erinnern und zurückzublicken.

Ein weiteres Jahr in der Übung der Künste geht zu Ende. Neue Mitglieder sind ins Dojo gekommen - andere sind eventuell gegangen und hatten diesen oder jenen Grund dafür.

Nach all diesen Berücksichtigungen und Lehren aus dem Vergangenen beginnt nun ein neues Jahr des Training - und eine neue Saison des Dojo ist eröffnet.


Textauszug aus dem Buch „In the dojo“ von Dave Lowry