Studium der Karate-Kata

Aus Budopedia
Wechseln zu: Navigation, Suche
120px-Qsicon Ueberarbeiten.svg.png Der Inhalt dieser Seite ist nicht vollständig und muss überarbeitet werden.

Artikel aus: Lexikon der Kampfkünste<br.>Nachbearbeitet von: Werner Lind

Das Studium der Karate-Kata bezeichnet man als kata bunkai (型分解). Diese Methode ist das Zentrum in der Ausbildung jedes Übenden (deshi) und der rote Leitfaden im Unterricht eines Lehrers (sensei). Der Aufbau eines Stil- und Lehrkonzeptes (ryū) erfolgt nach demselben Schema. Die Methode besteht zunächst aus einem zweigleisigen Studienweg, den man riron to jissen nennt:

Riron to jissen - der zweigleisige Weg

Der Begriff riron to jissen (理論と実践) bezeichnet übergeordnet den zweigeteilten Studienweg einer kata oder eines ryū und enthält:

  • Studium der Theorie (kata no riron, 型の理論) - bezeichnet eine ganze Reihe von wichtigen theoretischen Studien, die zum Verständnis einer kata von Bedeutung sind: Terminologie der asiatischen Sprachen, Geschichte und Philosophie der asiatischen Völker, Grundlagen und Konzepte der alten kata, Diätik, Heilpflanzenkunde, Pharmakologie und Gesundheitskonzepte der alten Lehren, Physik, Biologie und budō-spezifische Bewegungslehre, Studium der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) u.a.
  • Studium der Praxis (kata no jissen, 型の実践) - meint das Training der kata und bindet sich an die körperliche Übung derselben. Dieses Studium ist zweigeteilt und enthält das Studium der Form (genkyo) und das Studium der Anwendung (ōyō).

Das Eine ist ohne das Andere nicht zu verstehen. In der Kombination der beiden wird das korrekte Verständnis einer kata als Wegübung () gegründet. Dies jedoch nur dann, wenn das Gesamtkonzept der Übung einem klassischen Konzept unter der Anleitung eines sensei folgt.

Allgemeines zu Bunkai

Hauptartikel: Bunkai

Der Begriff bunkai bezeichent ein japanisches Gesellschaftsprinzip und überträgt die Methode als kata bunkai auch auf das Studium der kata. Wörtlich bedeutet der Begriff, eine komplexe Angelegenheit zunächst in ihre Einzelteile zu zerlegen (bun - „Teil“, „Zerlegung“, „Analyse“), um ihre Grundlagen erforschen und analysieren zu können. Danach können die Teile mit vertieftem Verständnis (kai - „ Erklärung“, „Interpretation“, „Verständnis“) in ihre komplexe Ganzheit zurückgeführt werden. Gleich ob Theorie (kata no riron) oder Praxis (kata no jissen) bezeichnet bunkai das systematische Studium einer komplexen Angelegenheit.

Das kanji besteht aus:

  • Bun (分) - das Zeichen bedeutet „Teil“, sinngemäß das „Teilen einer Angelegenheit in ihre einzelnen Komponenten“, und meint das Zerlegen eines komplexen Systems - z.B. Zerlegung einer Stunde (jikan) in ihre Unterordnungen für Minuten (fun) und Sekunden (byō). Es ist dasselbe Zeichen, das auch für wa(-karu) - „Verstehen“ oder „Begreifen“ verwendet wird:
- ein gründliches Studieren aller Einzelaspekte einer Angelegenheit, um sie im Anschluss zusammen zu fügen und als Ganzheit (kai) zu verstehen.
- eine Übung des Betrachtens und Analysierens des eigenen Befindens in der Welt.
- ein Erkennen und Beheben eigener Fehlhaltungen und -handlungen durch eine kontemplative Selbstschau, die ein Verstehen ohne Vorurteile ermöglichten.
  • Kai (解) - das kanji bezeichnet die „Auflösung“ der Teile (bun) und ihr Zusammenfügen in ein funktionierendes Ganzes. Das Zeichen kann auch als ge oder to(-ku) - beides bedeutet „auflösen“ - gelesen werden.
- erst nach dem vollkommen Verständnis der oben genannten Bedingungen können die Teile zu einem funktionierenden Ganzen zusammengefügt werden.

Beide kanji (分解) bedeuten in ihrer Kombination „Analyse“ und bezeichnen in ihrem Bedeutungsspektrum sowohl das „Teilen“ als auch das „Auflösen“ - quasi als Vorbedingung für das vollkommene Verständnis. Dieser Aspekt ist nicht nur in Bezug auf das karate, sondern auch in Bezug auf die gesamte japanische Mentalität von Bedeutung: um das Ganze zu verstehen, muss man erst die Teile analysieren. Erst wenn diese vollkommen verstanden sind, kann man sie zu einem funktionierenden Ganzen zusammenfügen.

Komponenten des Kata bunkai

Hauptartikel: Kata bunkai

Erst unter Beachtung der oben genannten Prämissen kann ein Studium der Karate-Kata (kata bunkai) entstehen. Dieses teilt sich in Weiterfolge zunächst in das Studium ihrer Form (genkyo) und das Studium ihrer Anwendung (ōyō) wodurch kihon und kumite entsteht. In beiden Kategorien gibt es die Prinzipien henka (変化 - Veränderung, d.h. Variationen der Techniken und Verfahren, die immer wieder zweckentsprechend verändert werden müssen, um den vielfältigen Absichten einer kata gerecht zu werden) und kakushi (隠し - Verstecken, d.h. hintergründige, nicht offensichtliche Seiten, vergleiche hierzu auch omote und ura), die nur von einem sensei vermittelt werden können. Sowohl in genkyo als auch in ōyō gibt es eine Vielzahl von Untergruppierungen, aus denen man im modernen karate vereinfacht die Systeme des kihon, kumite und kata (die heute bekannten drei Säulen des karate) abgeleitet hat.

Genkyo - die Form

Hauptartikel: Genkyo | Kata-Liste (Karate)

Jede kata ist ein in sich abgeschlossener Kampfstil (ryū). Der Begriff genkyo (原拠) bezeichnet das Üben ihrer Basisform - also das, was man unter ihrem technischen Ablauf versteht. Doch diese Übung (keiko) ist keine bloße Formübung, sondern eröffnet Möglichkeiten zum Studium des Selbst. Sie enthält sowohl henka waza als auch kakushi waza und teilt sich zunächst in:

  • Kihon waza - der Begriff kihon waza (基本技) teilt den Ablauf einer kata in einzelne Techniken und ermöglicht das Training derselben im Einzelstudium (kihon) unter verschiedenen Gesichtspunkten des qigong (Selbsterkenntnis, Persönlichkeitsbildung, Gesundheitstraining, Energielenkung, u.a). Die Ausführung der Technik erfolgt wie in der kata und beabsichtigt das Verständnis der Form als „innere Methode“, um sie auf einem Weg () zu studieren. Diese Techniken sind „Mittel zum Zweck“, sie haben keine direkt kämpfererische Absicht und dienen der Herausforderung an eigene innere Unebenheiten, dem Studium zur Selbstwerdung, der Reife und Entwicklung zur eigenen Persönlichkeit. Hier übt man die Techniken mit einem Blick nach innen, ergründet sich dabei selbst und schafft optimale körperliche und geistige Voraussetzungen für die spätere Fähigkeit zum Kämpfen.<br.>Die Techniken im kihon sind definitiv nicht kämpferisch, ihre Übung ermöglich hintergründige Studien (kakushi) zum Weg (). Vielfältige Betrachtungsmöglichkeiten eröffnen sich dabei für den Übenden. Voraussetzung dafür ist, dass dieses Training von einem sensei gelenkt wird, da dahinter ein ganzheitliches Studium asiatischer Philosophien und Bewegungslehren steht, die dem westlichen Sporttreiben diametral entgegengesetzt sind.
  • Jiyū waza - der Begriff jiyū waza (自由技) bezeichnet die Veränderung (henka) der Grundschultechniken (kihon waza) in Kampftechniken, in ein von Grundschulstandards befreites Verhalten im Kampf. Erst diese Methode übersetzt die Grundtechniken der kata ins freie Verhalten und ermöglicht damit den Zugang zur Selbstverteidigung (goshin) und zum tatsächlichen Kampf (jissen).<br.>Im Gegensatz zu kihon waza wird jiyū waza aus freier Deckung (kamae), freier Distanz (maai) und freier Bewegung (sabaki) ausgeführt. Nach der Ausführung der Technik zieht sich der Übende mit frei gewählter Bewegung in einen Sicherheitsabstand zurück. Zum besseren Verständnis können die Techniken der kata isolliert geübt werden, wodurch kihon (Grundschule) entsteht.

Ōyō - die Anwendung

Hauptartikel: Ōyō | Kata kumite | Kumite

Mit ōyō (応用) bezeichnet man die Anwendung der Kata-Techniken mit einem Partner. Der Begriff kata kumite bedeutet „Partnerübungen auf der Formgrundlage“ und bezeichnet begrifflich dasselbe, im überlieferten Verständnis aber eine systembefreite Partnerübung in eigener Zusammenstellung durch den sensei. Im okinawanischen karate wird der Begriff als yakusoku kumite bezeichnet.<br.>Das System ist vielschichtig und begründet die Methoden der Partnerübungen (kumite) im karate. Innerhalb des ōyō gibt es in der Tradition verschiedene Möglichkeiten der Übung. Zunächst aber besteht auch ōyō aus den Methoden bun (teilen) und kai (zusammenfügen) aus bunkai und enthält, je nach dem Fortschrittsgrad des Übenden, die Prinzipien omote und ura.<br.>Im klassischen Sinn bezeichnet ōyō die Anwendungsverfahren der Techniken einer bestimmten kata unter verschiedenen Betrachtungsaspekten. Diese verfolgen stets ein klares Konzept, das sich als roter Faden durch die ōyō der genkyo zieht. Zunächst werden sie geteilt (bun) und danach zusammen gefügt (kai):

  • Bun (分) - spaltet die Anwendungen der Techniken in Einzelaktionen auf. Daraus entstehen kihon ippon kumite und jiyū ippon kumite, die in der Ausbildung des Übenden unterschiedliche Absichten verfolgen. Beide Methoden enthalten viele weitere Unterkategorien.
- Kihon ippon kumite (基本組手) - analog zu kihon waza werden diese Partnerübungen nicht als direkte kämpferische Aktionen verwendet, sondern als psycho-physische Ausbildung in den Methoden des qigong.
- Jiyū ippon kumite (自由一本組手) - analog zu jiyū waza verändert und übersetzt diese Methode mit henka) und kakushi der Grundschultechniken in den realistischen Kampf.
  • Kai (解) - fügt die durch bun verstandenen Teile zu einem Ganzen. Im kombinierten (zusammengefügten) kai des Prinzips bunkai ist es wichtig zu beachten, dass kai das Folgeresultat eines jahrelangen Studiums des bun ist und nicht willkürlich improvisiert wird. Bun ist die Allgemeinbildung, kai ihr Ergebnis. Das Prinzip kai (Zusammenfügen) ohne bun (Studium der Einzelteile) ist Halbwissen und führt im karate dazu, dass der Zusammenhang zwischen kata und kumite nicht mehr verstanden werden kann. Zusammengefügt bezeichnet man das ōyō (Anwendung) einer kata als:
- Hōmen kumite (方面組手) - dieser Begriff bezeichnet komplexe Anwendungen der kata gegen mehrere, aus verschiedenen Richtungen (hōmen) angreifenden Übungspartner auf dem enbusen der kata oder als vom sensei erstellte Trainingsmethoden auf dem Karategramm. Man wendet die Einzeltechniken der kata der Reihe nach gegen mehrere Angreifer an, die von vorn, hinten, links, rechts oder diagonal angreifen. Daraus entstehen Übungsmethoden in acht Richtungen (happō kumite) und in vier Richtungen (shihō kumite). Die komplexe kata kann, im Ablauf leicht verändert, auch als Kontinuum (renzoku waza / renraku waza), gegen einen einzelnen Angreifer innerhalb des ippon kumite angewendet werden.

Studien Informationen

Siehe auch: Bunkai | Kata bunkai | Karate-Kata | Geschichte der Karate-Kata | Methoden der Karate-Kata | Bedeutung der Karate-Kata | Prinzipien der Karate-Kata | Philosophie der Karate-Kata | Kata-Liste (Karate) |

Literatur

  • Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste, BSK-Studien 2010.
  • Werner Lind: Budo - der geistige Weg der Kampfkünste, Scherz 1991.
  • Werner Lind: Karate Grundlagen, BSK 2005.
  • Werner Lind: Karate Kihon, BSK 2007.
  • Werner Lind: Karate Kumite, BSK 2010.
  • Werner Lind: Karate Kata, BSK 2011.
  • Shoshin Nagamine: The Essence of Okinawan Karate, Tuttle 1976.
  • Richard Kim: The Weaponless Warriors, Ohara 1974.
  • Morio Higaonna: Okinawa Goju ryū, Minamoto Research, 1985.
  • Pierre Portocarrero: Tode les origines du Karate do, Sedirep.

Weblinks