Jitte

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Artikel aus: Lexikon der Kampfkünste
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Der Begriff jitte (十手 / 術手) bezeichnet im Folgenden eine Bewegungsform (kata) des okinawanischen und japanischen karate, die 24 bis ca. 30 Bewegungen beinhaltet. Man übt sie unter anderem im kobayashi shōrin ryū (Kyūdōkan), shima ha shōrin ryū, shōtōkan ryū, wadō ryū und shitō ryū.

Jitte: jiai no kamae
(Funakoshi Gichin)

Der Name jitte

Die Bedeutung des Kata-Namens jitte, in anderer Lautung auch jutte, wird im Deutschen in der Regel mit „Zehn Hände“ angegeben, was die beiden meist verwendeten Kanji des Kata-Namens 十手 wörtlich überträgt. Kanazawa Hirokazu interpretiert dies in dem Sinne, dass das Meistern dieser Form einen Kampf gegen zehn Gegner ermögliche. Gleichfalls verweist er auf eine metallene Parierstange der Polizei in der Edo-Zeit, der ebenfalls jitte genannt wurde und durch nach außen gestellte Metallhaken eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Kata-Bewegung (yama uke) habe und damit das Benennungsmotiv sein könne.
Sakagami Ryūshō verwendet - offenbar singulär - in seinem Werk Karatedō kata taikan (Enzyklopädie der Karate-Kata) von 1978 an erster Stelle ein anderes Kanji bei der Schreibung von Jitte:術. Meist jutsu gelesen bedeutet es „Kunst“ oder „Technik“, wodurch sich für den Kata-Namen die Bedeutung „Kunstfertige Hand“ ergäbe. Eine andere, eher seltene Schreibung verwendet an erster Stelle das Zeichen für „Wahrheit“ 実. Die häufig erwähnte Verwandschaft dieser Form zu den anderen beiden „Ji-Kata“ jion und ji'in findet sich durch die Schreibung jedoch nicht bestätigt: das Kanji 慈 wird für jitte nie verwendet.

Geschichte der jitte: Fakten, Indizien, Mutmaßungen

Über die Herkunft der Form ist heute ähnlich wenig wie bei der jion bekannt. Funakoshi Gichin führt die kata bereits in seinen ersten Werken Ryūkyū kenpō karate (1922) und Rentan goshin karate jutsu (1925) mit Beschreibungen des formalen Ablaufs und wenigen Illustrationen auf. Obwohl in diesen Büchern andere Formen bereits mit bedeutungstragenden Schriftzeichen benannt werden, fehlen solche bei der jitte, deren Name nur mit der lauterklärenden Silbenschrift katakana als ジッテ angegeben wird. Gleiches geschieht in der ersten vollständig illustrierten Darstellung der jitte im Buch Karate kenpō des Funakoshi-Schülers Mutsu Mizuho aus dem Jahr 1933. Erst 1935 verwendet Funakoshi in Karatedō kyōhan die Kanji 十手.
Die kata beginnt und endet wie die jion und die ji'in in einer typisch chinesischen bzw. buddhistischen Grußhaltung, jiai no kamae, bei der die linke Hand die rechte Faust umschließt und bei abgewinkelten Armen in Brusthöhe gehalten wird. Dieses Indiz und eine Reihe weiterer technischner Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten führten zu den Annahme, dass die kata jitte mit den Formen jion und ji'in verwandt sei oder dass alle drei kata unterschiedliche Ausprägungen von ein und derselben Form seien. Im Übrigen ist das Bedecken der rechten Hand mit der linken auch in anderen Formen wie etwa bassai (passai) oder enpi (wanshu), die heute wie die „Ji-Kata“ dem tomarite zugeordnet werden, zu beobachten. Insofern könnte jiai no kamae auch auf eine weniger entfernte geographische Zuordnung hindeuten.

Enbusen und Bewegungsstruktur der jitte

Das Schrittdiagramm (enbusen) der jitte ähnelt im shōtōkan einem Petruskreuz, im shōrin ryū eher einem U. - Funakoshi ordnet die jitte der Gruppe des shōrei ryū zu, was sich bei ihm keinesfalls mit der geographischen Herkunft aus dem nahate, sondern vielmehr mit den körperlichen Anforderungen an den Ausübenden begründet. In Karatedō kyōhan schreibt er, dass die Shōrei-Formen die physische Stärke und die Muskelkraft betonen, im Gegensatz zu denen des shōrin ryū, deren Übungsziele er eher in der Schnelligkeit und Beweglichkeit sieht.

Technische Merkmale der jitte - Die Versionen des shōtōkan und kyūdōkan im Vergleich

  • Wie bei der jion wird zu Beginn der linke Fuß zu zenkutsu dachi zurückgesetzt, aus jiai no kamae wird im shōtōkan jedoch nicht kosa uke eingenommen, sondern mit der rechten Hand eine Haken-Abwehr (tekubi kake uke) ausgeführt. Es folgt eine Art kosa uke bzw. morote teisho uke (vergleichbar einer in der Form enpi dreimal wiederholten Bewegung) 45 Grad nach links, anschließend erneuter Richtungswechsel nach rechts mit haitō uchi in kiba dachi. In der Variante des kyūdōkan führt man statt dessen dreimal kosa uke (morote teisho uke) mit offenen Händen aus: zuerst mit Schritt nach hinten, dann mit Schritt nach links und schließlich mit Rumpfdrehung nach rechts. Bemerkt sei an dieser Stelle, dass Funakoshi Gichin bei seinen Erläuterungen zur ersten Bewegung der jion in Karatedō Kyōhan eine mögliche Variante des kosa uke mit offenen Händen einräumt, was erneut eine direkte Beziehung der Formen jitte und jion nahelegt.
  • In der Folge geht man im Shōtōkan dreimal mit teisho uke vor, im kyūdōkan dreimal mit einer Abwehr zur mittleren Stufe, ähnlich den soto uke am Ende der jion des gleichen Stils. Die folgenden Bewegungen (jōdan jūji uke...) ähneln sich in beiden Stilen stark, wobei yama uke im shōrin ryū eher auf mittlerer Höhe und ohne Stampftritt ausgeführt wird. Statt dessen mutet die Technik hier wie ein doppelter uraken uchi an.
  • Anschließend kommt es zu deutlichen Abweichungen: Im shōtōkan wird auf der gleichen Linie der Rückweg mit zweimaligem koko dori (Fassen, Entreißen eines "Stocks" mit entsprechendem Konter) und im Wechsel von zenkutsu dachi und sagi ashi dachi. Die komplexe Sequenz mit dem charakteristischen Stand auf einem Bein scheint eine Entwicklung Funakoshis zwischen 1933 und 1935 zu sein, da sie weder von ihm in seinen beiden ersten Büchern Ryūkyū kenpō karate (1922) und Rentan goshin karate jutsu (1925) noch von Mutsu Mizuho (Karate kenpō, 1933) erwähnt wird, wohl aber in Funakoshis Hauptwerk Karatedō kyōhan(1935). Im kyūdōkan wendet man sich an der entsprechenden Stelle nach rechts mit morote teisho zuki und zwei mawashi uke in neko ashi dachi, jeweils mit Vorwärtsschritt, so dass man die ursprüngliche Linie verlässt.
  • Während im shōtōkan nun nach zwei manji uke und vier age uke die Form beendet wird, erweisen sich die Shōrin-Varianten (kyūdōkan und shima ha) erneut als komplexer, da den age uke noch eine weitere technische Abfolge mit Fuß- und Fauststößen, Schlägen und diversen Stellungen, Haltungen sowie Richtungswechseln folgt, für die es sonst kein Äquivalent gibt.

Studien Informationen

Siehe auch: Kata | Karate-Kata | Kata-Liste (Karate) | Jion | Ji'in |

Literatur

  • Funakoshi, Gichin - Ryūkyū kenpō karate, 1922 (Reprint)
  • Funakoshi, Gichin - Rentan goshin karate jutsu, 1925, engl. Tokyo 2001
  • Funakoshi, Gichin - Karatedō kyōhan, 1935, engl. San Diego 2005
  • Kanazawa, Hirokazu - Shōtōkan Karate International. Kata (vol.2), 1982
  • Lind, Werner - Die klassische Kata. Geistige Herkunft und Praxis des traditionellen Karate. Bern, München, Wien 1995
  • Mutsu, Mizuho - Karate kenpō, 1933 (Reprint)
  • Nakayama, Masatoshi - Nakayamas Karate perfekt 7. Jitte, Hangetsu, Empi. Niedernhausen 1990
  • Sakagami, Ryusho - Karatedō kata taikan, 1978
  • Takamiyagi Shigeru, Shinzato Katsuhiko, Nakamoto Masahiro [Autoren und Herausgeber] - Okinawa Karate kobudō jiten [Lexikon des okinawanischen karate und kobudō]. Tokyo 2008.

Weblinks