Jitoku
Artikel aus: Werner Lind<br.>Nachbearbeitet von:
Jitoku (jap.: 自得) bedeutet Selbst (ji), und Gewinn, Vorteil (toku). Der Begriff für das Lernen (gakushu, manabu) in einer Lehrer-Schüler Beziehung (shitei) des budō, bestehend aus den Prinzipien jiriki (Kraft aus dem Selbst) und tariki (Hilfe durch andere).
Inhaltsverzeichnis
Jiriki
Jiriki, (eigenes Verstehen, eigene Initiative) ist ein Begriff aus der buddhistischen Philosophie und bedeutet im übertragenen Sinn „hilf dir selbst“. Im budō meint jiriki dass der Schüler durch beständiges Hinterfragen seiner Haltungen und Handlungen die Grundvoraussetzungen dazu formt, durch die wahres Verstehen möglich wird.
Tariki
Tariki bezeichnet die Notwendigkeit der Hilfe von ausserhalb, z.B. durch einen Lehrer. Dies kann nicht geschehen, wenn er nur den Formanforderungen ohne eigenes Denken folgt. Der den Regeln bedingungslos unterworfene Schüler (Stufe shu) ist ein braver Bürger jedoch ein fortschrittsunfähiger Mensch. Um fortschreiten zu können, muss er über die Regel hinausgehen und um eigenes Verstehen (Stufe ha) kämpfen. Nur dann verwirklicht er eine eigenständige Persönlichkeit (Stufe ri).
Erläuterungen des Konzeptes
Zum Fortschritt braucht ein Schüler beide Prinzipien im Verhältnis 50 zu 50. Im bloßen Kopieren (manabu) dessen, was der Meister sagt oder tut, gibt es kein Verstehen. Der Weg des budō ist nicht dem Nachahmer, sondern nur dem Sinn-Suchenden zugänglich.
Ohne selbständige Initiative im Suchen gibt es auch keinen Weg (dō). Diese Intitiative in der Haltung zu entwickeln und zu erhalten, ist eine wichtige Aufgabe des Schülers. Sie erlaubt, dass jede erlernte Form auf individuelle Weise im Menschen wächst und Teil von ihm selbst wird. Was nur kopiert, nachgeahmt oder im herkömmlichen Sinn gelernt ist, bleibt vom Verstehen getrennt und hat auf dem Weg keine Bedeutung.
Doch die Initiative zum Eigenen führt über einen schmalen Grat. Es ist nicht damit getan, oberflächliches Verstehen zu entwickeln, um den Anschein tiefer Erkenntnisfähigkeit zu erwecken. Das Eigene muss in einer Wegübung entstehen, in Selbsterfahrungsprozessen reifen und schließlich mit dem, was vom übergeordneten Standpunkt der Welt haltbar und vertretbar ist, übereinstimmen. In jedem anderen Fall ist es ohne Bedeutung und naiv, wenn es den Anspruch auf Richtigkeit erhebt. Der Wegerfahrung geht eine harte Arbeit an sich selbst voraus. Die Zeit allein, ohne den beständigen Kampf um legitime Erkenntnisse, bringt weder im Leben noch im dōjō einen Fortschritt. In der oberflächlichen Meinung, in der bloßen Dialektik oder im Anspruch auf Rechthaberei gibt es nirgends einen Weg.
Auch der Übungsfleiß ist dafür keine Garantie, wenn er keine Richtung hat. Ohne die rechte Grundhaltung zum Weg, ohne das Miteinbezogensein in die Gesamtheit der hintergründigen Wegprozesse (dōjōkun) führt auch der Fleiß zur leeren Form. Jeder Schritt über sie hinaus erfordert vom Übenden eine grundlegende Selbstverantwortung für die Art und Weise seines Lernens. Fehlt sie, ahmt der Schüler unverstandene Techniken nach oder verwirklicht naive Eigenvorstellungen. Das Lernen hingegen, das mit jitoku gemeint ist, verwirklicht die Wahrheit des Weges im eigenen Selbst.
Ein Kampfkunstübender muss daher bereit sein, mit umfassenden Selbstverantwortungen umzugehen, und verstehen, dass das einzige Hindernis zum Weg nur eine falsche innere Haltung sein kann. So ist es eine der Hauptverantwortungen auf dem Weg, sich um wahres Verstehen selbst zu bemühen. Das Verstehen darf weder von einem Geist, der davon ausgeht, bereits verstanden zu haben, noch von einem Geist, der nur am Nachahmen interessiert ist, verhindert werden.
Aus demselben Grund bezeichnen die traditionellen Meister die nur leistungssportlichen Methoden als unzureichend für den Wegfortschritt. Diese Methoden überbetonen den Formaspekt und lassen grundlegende Wegbedingungen außer acht. Richard Kim vergleicht einen Budō-Meister mit einem Menschen, der in den Bergen jodelt. Er kann viele Echos hören, doch er weiß nicht, ob es jemanden gibt, der ihn verstanden hat. Den Meister hören zu lernen, gehört in die Selbstverantwortung des Schülers. Der rechte Schüler hört ihn nicht mit seinen Ohren, sondern mit einem Wahrnehmungsorgan, das die sportwissenschaftliche Methode überschreitet. Fehlt es, erkennt der Schüler nur den Maßstab. Jitoku heißt, den Maßstab zu lernen, um den Sinn zu verstehen.
Anders als in den Wissenschaften gibt es auf dem Weg keine feste Formel, die man ohne weiteres lernen und anwenden kann. Alles, was in den Weglehren danach aussieht, ist relativ und für jeden anders. Daher muss die alte Formel, auch wenn sie sich tausendfach durch die Zeit bewährt hat, im eigenen Verstehen Schritt für Schritt neu gegründet werden. Zwar ist es einfacher, sie aus der Tradition zu lernen, doch es ist ein Fehler, sie auf diese Weise übernehmen zu wollen und zu denken, man hätte sie verstanden. Es geht um das Gründen der Formel, auch wenn sie längst existiert, nicht um das Übernehmen. Das, was die vergangenen Meister überliefert haben, dient nur als Beispiel und darf nicht kopiert werden. Es muss auf individuelle Weise neu entstehen. Die eigene Initiative dies zu tun, nennt man jitoku.
Studien Informationen
Siehe auch: Shitei | Giri | Nesshin |
Literatur
- Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste. BSK-Studien 2010.
- Inaze Nitobe: